Ei­ne Fra­ge - Zwei Mei­nun­gen: Jürg Con­zett und Chris­ti­an Pen­zel

In der Schweiz wird Interdisziplinarität zwischen Ingenieuren und Architekten im Vergleich zu den Nachbarländern häufig praktiziert. Trotzdem existieren Vorurteile gegenüber der jeweils anderen Berufsgruppe. TEC21 fragte nach: Was erwarten Ingenieure von Architekten in der Zusammenarbeit –und umgekehrt?

Publikationsdatum
04-05-2012
Revision
01-09-2015

Jürg Conzett

«Die Zusammenarbeit mit einem Architekten ist zunächst eine Zusammenarbeit mit einem Menschen – die Beziehung zwischen Architekt und Ingenieur folglich eine Beziehung zwischen zwei Menschen, die ebenso vielgestaltig ist wie jede andere auch. Daher ist für mich die Entscheidung, ob ich mit einem Architekten zusammenarbeite, immer mit einer persönlichen Erwartung verbunden. Im Brückenbau etwa braucht es nicht zwingend einen Architekten. Entscheide ich mich für die Zusammenarbeit, habe ich einen gewissen Anspruch daran. Ich hänge dem modernistischen Ideal nach, dass Form und Wirkung zusammenkommen sollen. Teilt der Architekt diese Auffassung, kann die Zusammenarbeit fruchtbar sein. Architekten und Ingenieure machen auf verschiedene Weise dasselbe: Sie betrachten eine Aufgabe aus unterschiedlichen Blickwinkeln, aber letztlich geht es um die gleichen Fragen. Konvergenz ist für mich die Voraussetzung für den Dialog. Das erfordert von beiden Offenheit, sich auf dieses Spiel einzulassen, mit Kritik und Gegenkritik produktiv zu arbeiten. Es gibt nichts Schlimmeres, als eine vorgegebene Skizze zu realisieren. Die Frage nach dem Beginn der Zusammenarbeit ist für mich daher auch nicht entscheidend. Architekten sind teilweise so erfahren, dass sie den Ingenieur zu Beginn nicht unbedingt benötigen. Auch wenn es Entwürfe gibt, die anders entstehen, wie etwa beim Voltaschulhaus in Basel. Die Architekten Quintus Miller und Paola Maranta präsentierten mir das Projekt in einem sehr frühen Sta­dium. Ich stellte das Prinzip des Scheiben-Platten-Tragwerks vor, und so wurde es ein Werkzeug des Entwurfs. Jedes Bauwerk zeigt architektonische und ingenieurtechnische ­Aspekte. Je nach Bauaufgabe geht es nicht nur um die Zusammenarbeit von Architekten und Bauingenieuren, sondern ebenso um die ­Zusammenarbeit unter Ingenieuren oder zwischen Ingenieuren und Unternehmern. Ein Bauwerk soll in einem umfassenden Sinn ­seine Aufgaben erfüllen. Gerade wenn diese Synthese gelingt, ist es oft schwierig, auf Anhieb zu erkennen, wer was eingebracht hat.»

Christian Penzel

«Wenn wir weiterhin als Generalisten und Gesamtverantwortliche zeichnen wollen, sehe ich vor allem uns Architekten in der Pflicht, das sinnvolle Mass einer Beteiligung von Ingenieuren und Spezialisten am Planungsprozess festzulegen. Wir sollten den Rahmen für diesen Diskurs mit dem notwendigen Gespür für die zu bewältigenden Probleme definieren. Mit der zunächst unteilbaren Gesamtverantwortung für ein Projekt fällt uns die Aufgabe zu, technische Teilaspekte im Verhältnis zum Ganzen abzuwägen und Fachwissen pro­duktiv zu integrieren. Die Ingenieure sollten im Gegenzug ihr Fachwissen kritisch und soweit verständlich in die Diskussion einbringen, dass es als formbares Material die Basis für die Entwicklung eines Projekts bilden kann. Grundsätzlich gibt es sowohl für gestalterische als auch für technische Probleme verschiedene Lösungen, deren jeweilige Quali­täten mit den unterschiedlichen Sichtweisen variieren. Im besten Fall können im integrativen Prozess die technischen Bedingungen zu gestalterischen Regeln transformiert und konstruktive Ansätze in entwerferische Strategien überführt werden. Die diskursive Leitung liegt dabei beim Architekten. Er trägt für die fruchtbare Nutzung des gesammelten kreativen Potenzials aller Beteiligten die Verantwortung.»

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