Eine neue Bildsprache für die Zukunft der alten Architektur
Areal Depot Deutweg, Winterthur; Projektwettbewerb im selektiven Verfahren
Das Areal Depot Deutweg in Winterthur wird durch Wohnungen und Gewerbe erweitert. Einige Eingaben überraschen und verleiten zum Nachdenken über Darstellung, Sprache und Umgang mit dem Bestand bei Wettbewerbsprojekten.
Im besten Fall ist die Bildsprache einer Raumdarstellung auch Ausdruck des architektonischen Inhalts. Die Bilder einiger Eingaben beim Wettbewerb Deutweg heben sich klar von den homogenisierten 3-D-Visualisierungen ab, an die man sich in den letzten Jahrzehnten gewöhnt hat. Statt eines Grau- oder Beigefarbfilters, der die Bilder glättet und anonymisiert und vom Betrachter entrückt, kommt eine andere Darstellung zum Zuge. In den Abgaben werden überdurchschnittlich viele Farben, Details, Materialien, Bestand und Pflanzen gezeigt. Dies fällt beim Gewinnerprojekt «Tapis» von Conen Sigl Architekten, aber auch bei einigen anderen, eher konventionell bebilderten Projekten auf. Ist dieser überraschende Ausdruck eine Modeströmung? Oder schlagen sich die darin ausgedrückten Attribute auch im Projektvorschlag und in der Umsetzung nieder? Wie findet das Anklang bei der Jury? Und woher kommt dieser neue Mut, in der Architektur zukünftig eine neue Geschichte zu erzählen?
Infrastruktur bewohnbar machen
Doch zuerst zur Bauaufgabe und den vorgeschlagenen Lösungen. Das flache Areal Depot Deutweg im Winterthurer Quartier Mattenbach ist mit 10 504 m² eine zentrale Baulandreserve der Stadt. Das Depot wurde 1904 für den Trambetrieb erbaut und später für Busse genutzt. Auf dem Wettbewerbsperimeter (zweites Bild) stehen die Urhalle und das Verwaltungsgebäude (rot) um eine prominente Piazza (rot gestrichelt). Alle drei sind unter Schutz gestellt. An die Urhalle angebaut sind zwei nicht geschützte Erweiterungsbauten. Im Nordosten wird die Parzelle von der lärmbelastenden Tösstalstrasse, im Südosten von der ruhigeren Talgutstrasse begrenzt. Im Nordwesten liegen vier weitere Wohnparzellen. Im Südwesten schliesst das Grundstück an die Wohnsiedlung der WBG Talgut an.
Die Stadt gab das Areal im Baurecht an gemeinnützige Wohnbauträger ab. Die drei Winterthurer Genossenschaften gaiwo (Genossenschaft für Alters- und Invalidenwohnungen), GWG (Gemeinnützige Wohnbaugenossenschaft Winterthur) und WBG Talgut (Wohnbaugenossenschaft Talgut) schlossen sich mit dem Ziel einer Arealentwicklung zusammen und erhielten im Bewerbungsverfahren den Zuschlag.
Im Wohnviertel ist eine genossenschaftliche Mischung von wohnergänzenden Nutzungen und Gewerbebetrieben mit hohem Quartiernutzen gefragt. Das Depot soll zum lokalen Treffpunkt werden und die Identität des Orts stärken. Die Aufgabenstellung umfasst Neubauten mit rund 120 Wohnungen, die Urhalle und den Verwaltungsbau. Letzterer ist bezüglich Einbindung ins Areal Wettbewerbsbestandteil, sein Innenausbau ist jedoch nur betroffen, wenn dort der Doppelkindergarten untergebracht wird.
Zum Projektwettbewerb gingen 75 Bewerbungen ein, davon 15 Nachwuchsteams, von denen zwölf zum Wettbewerb zugelassen wurden (zwei Nachwuchsteams), alle in Zusammenarbeit mit einem Landschaftsarchitekturbüro.
Zeilenzahl und Holz
Grundsätzlich führte die überbaubare Grundstückstiefe von der Talfeldstrasse sowie auf der Seite des Verwaltungsbaus zu unterschiedlichen Vorschlägen. Die Anzahl der von den Büros vorgeschlagenen Zeilenbauten variieren zwischen drei und fünf. Fünf Zeilen weist die drittrangierte Überbauung «Omnibus» von KilgaPopp Architekten auf. Die Jury bemängelte das beengende Massgerüst, gemeint sind wohl die schmalen Aussenräume – von Krebs und Herde Landschaftsarchitektur bearbeitet –, sowie die komprimierten Wohnungsgrundrisse. Bei nur drei Zeilen war dagegen deren Tiefe eine Herausforderung, sie führte zu langen, schmalen Wohnungsgrundrissen – wie zum Beispiel im Gewinnerprojekt «Tapis» von Conen Sigl Architekten oder im Projekt «Magnet» von Staufer & Hasler (nicht platziert).
Auch die Anbindung an die Urhalle bot Gestaltungsspielraum. Dieser wurde genutzt durch eine direkte Verbindung der Neubauten über Zwischenräume. In einigen Fällen werden die alten und neuen Bauten zu einem einzigen Konglomerat, in anderen sind sie klar voneinander getrennt. So im zweitrangierten Projekt «Doppeldecker» von Esch Sintzel. Die Jury bemerkt, dass dies durchaus eine konsequente Haltung sei, gleichzeitig aber zu einem Nebeneinander führe, die Urhalle zum Relikt aus vergangener Zeit werden könne und weniger in die Nutzung und Anbindung der Wohnteile miteinbezogen sei. In einigen Fällen, so im Projekt «Symbiose» von Comte Meuwly Architekten (nicht platziert), entsteht eine Hierarchie zwischen den Neu- und Altbauteilen. Der L-förmige Neubau umgibt die Halle und schafft wenig Bezug zum Wohnteil.
In vielen Projekten ist eine Holzkonstruktion, oft in Hybridbauweise mit Beton oder Stahl, ein Thema – vor allem bei den Fassaden von «Omnibus», «Fundus» von Marazzi Reinhardt (nicht platziert), «Magnet» und bei «Tapis».
Mit dem Bestand verwoben
Conen Sigl Architekten mit Schmid Landschaftsarchitekten überzeugten die Jury. Der Vorschlag sieht im alten Hallenkonglomerat – neben der Urhalle bleiben auch die zwei angebauten Erweiterungen stehen – eine kräftige gemeinschaftliche Mitte vor, einen lebendigen Treffpunkt für Bewohner und Gewerbetreibende. Die Verfassenden ergänzen die Hallen seitlich um zwei Wohnzeilen. Die Zwischenräume und die alten und neuen Strukturen sind zu einer Gesamtkomposition verwoben. So nimmt die freigelegte bestehende Tragstruktur die Funktion einer Überdeckung der Wohn- und Gewerbegassen auf und schafft stimmungsvolle Räume, die sich die Bewohner und Bewohnerinnen aneignen können.
Für die Abgabe arbeiteten die Architekten mit Modellbildern. Raoul Sigl von Conen Sigl Architekten sagt, dass die Abstraktion der Modellbilder Freiheit in der Darstellung und Wahrnehmung zulasse. Sie eignen sich besonders für Umbau- und Erweiterungsprojekte, da sie eine gewisse Offenheit und Leichtigkeit haben. Im Gegensatz dazu vermitteln Renderings eine Wirklichkeit, die oftmals eine schwierige Genauigkeit in der Darstellung verlange.
Konglomerat statt Perle
Neben den Modellbildern fallen die gewählten Referenzen auf. Das Büro führt unter anderem die Struktur des Basler Gundeldingerfelds von Baubüro in situ, die Gemeinschaftsgärten Grünhölzli und die Piazza des Kanzleiareals in Zürich auf. Wie ist das zu verstehen? Architekturklassiker, die sonst oft bei Wettbewerbsabgaben als Referenzen aufgeführt werden, sollen den Projektvorschlag in die Nähe berühmter Vorbilder rücken und so – jeweils mehr oder weniger erfolgreich – in der Geschichte verankern. Die von Conen Sigl aufgeführten Beispiele liegen weit davon entfernt. Es handelt sich um organische, über die Zeit gewachsene Konglomerate, Orte der Gemeinschaft und der Partizipation; sie sind eher so etwas wie eine «No-Name Architecture». Es gibt hier zum einen keine aufwendig renovierte «Bestandsperle», mit der ein wenig Geschichte und meist der Namen des alten Areals, von dem der Grossteil durch Neubauten ersetzt wurde, in die neue Zeit hinübergerettet wird – ein einzelner alter Bau also, der alibihaft als Enklave der Historie für die Adresse, etwa ein ehemaliges Fabrikareal, eine Landwirtschafts- oder Infrastrukturanlage, stehen gelassen wurde. Zum anderen gibt es bei den gewählten Referenzen auch keine Neubauten. Am Deutweg werden solche jedoch entstehen. Die Überarbeitung und Umsetzung werden daher zeigen, ob der Bestand signifikanter und integrativer Teil der Anlage und die von der Jury hervorgehobene Qualität des Projekts erhalten bleibt: «Der Reiz von ‹Tapis› ist der spielerische und zugleich sorgfältige Umgang mit der Gebäudesubstanz. Dieser ganzheitliche Ansatz führt in allen Massstäben, vom Städtebau bis zum Re-use von Bauteilen, zu stimmigen und überzeugenden Resultaten.»
Die vorgeschlagene Architektur geht auch über den sozialen Ansatz hinaus und weist durch den grosszügigen Erhalt und die Re-use-Vorschläge sehr gute Nachhaltigkeitswerte auf. Der SIA-Effizienzpfad kann auch dank der gewählten Holzkonstruktion problemlos erreicht werden.
Qualitäten vertiefen
Doch bis zur Umsetzung werden noch Anpassungen erfolgen. Die Jury bemängelt die Eingangssituationen bei einigen der schmal geschnittenen Maisonettewohnungen. Bei den Längsfassaden wäre mehr vom gestalterischen Reichtum wohltuend, wie er in der Komposition der Stirnfassaden im Zusammenspiel von Bestand und Neubau zum Ausdruck kommt. Vor allem im Süden wäre eine bessere Ablesbarkeit von Bestand und Aufstockung erwünscht. Die Verkehrsbaulinie an der Talgutstrasse könnte mit einer Rückbaureserve mit Balkonen überstellt werden. Die Durchlässigkeit der vorgeschlagenen Pergola als Auftritt zur Stadt ist zudem zu klären und offener zu halten.
Auch erfüllt das Projekt die ökonomischen Vorgaben noch nicht. Es sind in der Weiterbearbeitung Strategien zu den im Programm formulierten Kostenzielen zu erarbeiten. Zum Beispiel über die Erhöhung der Ertragsflächen, die Senkung der Erstellungskosten oder die Reduktion der zu erhaltenden Hallenteile – was schade wäre und genau den von der Jury gelobten Qualitäten entgegenlaufen könnte.
Wort- und Bildsprache gefordert
Bei vielen der eingereichten Projekte ist der Umgang mit dem Bestand sowie mit den alten neben den neuen Ressourcen zentral. Das Gebrauchte wird klar als Gestaltungselement, teils sogar als Gestaltungsgrundlage mit einbezogen. Der Grat zwischen dem einen und dem anderen ist schmal – zeigt aber wie im Fall von «Tapis», dass er den Erfolg eines Projekts ausmachen kann. Der integrative Einbezug des Gebrauchten stösst auf positive Resonanz bei der Jury. Sprachlich artikuliert sich das im Gebrauch von Worten und Formulierungen wie «Aneignung», «Entwicklung aus Ort und Bestand heraus» – man kennt sie aus anderen Berichten. Doch darüber hinaus sind dem Jurytext auch weniger geläufige und weiterreichende charakteristische Umschreibungen der Bauaufgabe zu entnehmen, darunter «souk-artige Aussenräume», «der herbe Charakter des Depotplatzes», «Patina», «die Halle als Bühnenraum» oder «Paradigma der Vielfalt». Dies kulminiert bei «Tapis» in der Konklusion der Jury: «In der Erhaltung der Wesensart, der Geschichte und der Patina des Depots liegt die Kraft seiner Bestimmung.» Die Gewichtung und Verwebung von Bestand und Neuem erhält so eine andere Bedeutung, als man das von vielen anderen Projekten gewohnt ist.
Andere Beiträge zum Depot Deutweg zeigen, dass es durchaus möglich ist, diese mit Renderings zu illustrieren. Doch die Zustimmung, auf die das Projekt «Tapis» bei der Jury stiess, zeigt auch auf, dass eine andere Bildsprache bei der Darstellung von kreislaufwirtschaftlich begründeten Projekten diese neuen Inhalte angemessener vermittelt. «Tapis» und ansatzweise auch andere Projekte zum Deutweg erzählen, motiviert durch die brisante Dynamik der Kreislaufwirtschaft in der Architektur, von einem anderen Umgang mit dem Bestand. Sie finden wohl gerade darin einen frischen und adäquaten Ausdruck in Bildern, Worten und Referenzen. Es ist zu hoffen, dass das visuelle Versprechen auch baulich eingelöst wird.
Jurybericht und Pläne auf competitions.espazium.ch
Empfehlung zur Weiterbearbeitung
1. Rang: «Tapis»
Conen Sigl Architekten, Zürich; Schmid Landschaftsarchitekten, Zürich
Preisträger
2. Rang: «Doppeldecker»
Esch Sintzel, Zürich; Ganz Landschaftsarchitekten, Zürich
3. Rang: «Omnibus»
KilgaPopp Architekten Winterthur; Krebs Herde Landschaftsarchitekten, Winterthur
4. Rang: «Depot Cooperatif»
ARGE Penzel Valier, Zürich; Robertneun Architekten, Berlin; Atelier Loidl Landschaftsarchitekten, Berlin
FachJury
Oliver Erb, Architekt, Winterthur; Zita Cotti, Architektin, Zürich; Elisabeth Boesch, Architektin, Zürich; Michael Boogman, AfS Winterthur; Stefan Rotzler, Landschaftsarchitekt, Gockhausen; Gian Trachsler (Ersatz), Architekt, Zürich
SachJury
Samuel Schwitter, Geschäftsführer gaiwo, Winterthur; Jann Wäckerli, Vorstand GWG, Architekt, Winterthur; Yves Hartmann, Präsident WBG-Talgut; Marco Oss (Ersatz), Präsident gaiwo; Andreas Siegenthaler (Ersatz), Geschäftsführer GWG; Heinz Hunn (Ersatz), Vorstand WBG Talgut