«Entscheidend ist die Qualität der Jury»
Für das junge Zürcher Atelier Prati Zwartbol ist ein Architekturwettbewerb immer auch ein Ideenwettbewerb, bei dem die Teilnehmenden die Möglichkeit haben, die Pflichtenhefte infrage zu stellen.
espazium.ch: Wie steht es um den Architekturwettbewerb?
Atelier Prati Zwartbol: Es ist schwierig, eine Gesamtbilanz der Situation zu ziehen. Einige Wettbewerbe überraschen uns in positiver Hinsicht, andere hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack, das gehört mit zum Spiel. Entscheidend ist nicht die Art des Verfahrens, sondern die Qualität der Jury. Damit meinen wir vor allem die Objektivität der Jurymitglieder, ihre Fähigkeit, die Wahl der Bauherrschaft zu begleiten, und ihre Neutralität mit Blick auf die lokale Architekturszene. Eine gute Jury macht es möglich, zugunsten einer radikaleren Position auf Konsensentscheide zu verzichten.
Wenn wir an einem Wettbewerb teilnehmen, fragen wir uns zunächst, welchen Beitrag wir als Architekten leisten können. Das ist eine ganz offene, abstrakte Art, über die Aufgabenstellung nachzudenken. In dieser Phase können unsere Ideen die zuvor bei der Formulierung des Programms von der Bauherrschaft getroffenen Entscheidungen infrage stellen. Doch für die jungen Büros spielt die Jury eine entscheidende Rolle. Junge Büros neigen dazu, bestimmte Konventionen zu hinterfragen und experimentellere Lösungen vorzuschlagen.
espazium.ch: Ist man beim Wettbewerb im Vorteil, wenn man experimentell vorgeht?
Atelier Prati Zwartbol: Heute sind die Normen und gesetzlichen Vorschriften, die es zu berücksichtigen gilt, zunehmend einengend, und die Wettbewerbsverfahren sind minutiös durchgeplant. Diese Anforderungen schlagen sich in der Volumetrie und den typologischen Entscheidungen nieder.
Vergleicht man zum Beispiel die Wettbewerbsergebnisse für das Kunstmuseum Graubünden in Chur miteinander, den Vorschlag von Luigi Snozzi (1983) und in jüngerer Zeit den von Barrozzi Veiga (2012), so stellt man fest, dass die Radikalität der Projekte nicht nur vom Wettbewerb abhängt, sondern auch und vor allen Dingen vom Willen der Architekten.
Der offene Wettbewerb ist in seiner Form radikal. Die Anzahl der Teilnehmenden kann leicht die Hundert überschreiten. Die schiere Anzahl an Eingaben zwingt uns unsererseits dazu, in unseren Intentionen radikal zu sein. Aber das kann auch den gegenteiligen Effekt haben: Für ein junges Büro, das sich etablieren möchte, birgt ein allzu experimenteller Vorschlag das Risiko, rasch auszuscheiden.
Der offene Wettbewerb ist eine Agora, in der man sich über zwischengeschaltete Projekte austauscht. Jeder Architekt hat das Recht, daran teilzunehmen; die Aufmerksamkeit, die sein Vorschlag bekommt, hängt nicht von seinem Renommee ab, sondern von der Qualität seines Beitrags. Durch seine inklusive Dimension, die Raum für Experimente lässt, ist der offene Wettbewerb für die Baukultur von fundamentaler Bedeutung.
espazium.ch: Müsste man die Wettbewerbe weiterentwickeln?
Atelier Prati Zwartbol: Die Vielfalt der Verfahren gilt es um jeden Preis zu bewahren. Das Problem liegt nicht in der hohen Anzahl der selektiven Wettbewerbe, sondern darin, dass die offenen Wettbewerbe mehr und mehr verschwinden. Wir stecken da in einem Teufelskreis: Je weniger offene Wettbewerbe es gibt, desto problematischer ist ihre Organisation für Bauherrschaften, die daran festhalten möchten.
Der «Ideenwettbewerb», ein Verfahren, das für Experimente offener ist, wird nur selten ausgeschrieben. Die Mehrheit der Wettbewerbe bringt die Architekten erst ins Spiel, wenn die Reflexion weit fortgeschritten ist und zahlreiche Entscheidungen bereits getroffen sind. Ein Teil des Programms sollte für Einreichungen im offenen Verfahren zugänglich sein, denn der Raum und seine Nutzung sind zwangsläufig miteinander verknüpft. Wenn alles bereits vorweg entschieden ist, wird die pragmatischste Lösung den Sieg davon tragen.
In den selektiven Wettbewerben der Deutschschweiz gibt es eine Kategorie, die jungen Büros vorbehalten ist, der «Nachwuchs». In dieser Kategorie sind die Kriterien der Vorauswahl leicht angepasst, und zwar dahingehend, dass das ein Team ein gewisses Alter nicht überschreiten darf – im Allgemeinen liegt die Schwelle bei 35 bis 40 Jahren. Diese Kategorie existiert in der Romandie praktisch nicht. Dort erwartet man, dass sich die jungen Teams mit einem etablierten Büro zusammentun, das dann als Garant fungiert. Das junge Büro muss also gut vernetzt sein, um sich auf die Suche nach einer solchen Patronage begeben zu können. Das ist kontraproduktiv, insbesondere in der Wettbewerbsphase, in der sich die jungen Architekten beweisen möchten.
Serie «u40 und der Wettbewerb»
Passend zum Wettbewerbsthema der Januar-Ausgabe 2021 von TRACES haben wir drei Fragen an Gewinner von Architekturwettbewerben aus den Jahren 2015 bis 2020 unter 40 Jahren gestellt. Wir baten sie auch, einen prägenden Wettbewerb ihrer jungen Karriere als Referenz zu wählen.
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Das Atelier Prati Zwartbol ist ein 2016 von Lea Prati (*1987) und Tieme Zwartbol (*1986) gegründetes Büro in Zürich.
Wettbewerbsteilnahmen (Auswahl):
Réalisation d’un nouvel établissement psycho-social à Yverdon-les-Bains (1. Rang/1. Preis)
Construction d’un établissement medico-social sur le site de Siviriez (1. Rang/1. Preis)
Naturhistorisches Museum Fribourg (2. Rang/2. Preis)
Logements, et mise en valeur des espaces publics à Confignon (5. Rang/2. Preis)