«Wer stellt eigentlich die Frage? Und wer bestimmt die Themen?»
Das Büro Comte/Meuwly startete seine Tätigkeit an vielen Fronten – bei Wettbewerben wie den Swiss Art Awards und Lausanne Jardins, mit selbst initiierten Projekten und durch akademische Tätigkeiten in Lausanne, Zürich und Mendrisio. Die Agentur nutzt jeden Wettbewerb auch als Gelegenheit zum Experimentieren.
espazium.ch: Wie steht es in der Westschweiz um den Wettbewerb?
Comte/Meuwly: Für uns ist der Wettbewerb ein Werkzeug von vielen, um Ideen zu formulieren und Projekte zu entwickeln. Der offene Wettbewerb gibt uns die Möglichkeit, den ewigen «Röschtigraben» zu überwinden. Die Anonymität gibt uns die Chance, ebenso ein Projekt in Küttigen zu entwickeln wie in Échandens.
Für uns entwickelt sich ein Wettbewerbsprojekt durch die Lektüre seines Kontexts, auf Basis des Verstehens, der Aneignung und der Interpretation einer bestimmten Situation. Doch allzu oft wird das durch das Wettbewerbsprogramm bereits vorweg definiert. Mit seinen voreiligen, fixen Schlussfolgerungen lässt es den Architekten letztlich nur die Möglichkeit, einem gegebenen Programm mit bereits festgelegten Regeln eine «Form» zu geben.
Diese Vorgehensweise stellt die Rolle des Architekten unmittelbar infrage, der zu einem späten – unserer Meinung nach zu spätem – Zeitpunkt in die Entwicklung des Projekts eingreifen muss. Die wesentlichen, entscheidenden Voraussetzungen sind da bereits geschaffen. Aber von wem? Sind diese Entscheidungen immer gerechtfertigt?
Standort, Budget, Fläche, ein Programm, das bis auf den Quadratmeter genau vordefiniert ist … So entsteht ein Spiel (dessen Suchtcharakter nicht zu verbergen ist) der Datenmanipulation, die das Projekt zu einem mehr oder weniger kohärenten Ergebnis führt.
Andererseits sehen wir in starren Wettbewerbsprogrammen auch einen Vorteil: nämlich genau den, dass sie uns zu maximaler Flexibilität nötigen. Ist das Projekt stark genug, um auf bestimmte fragwürdige programmatische Kriterien, auf mehr oder weniger legitime Vorgaben zu reagieren, so wird es auch in der Lage sein, eine erhebliche Anzahl an Nutzungsänderungen und Nutzerwechseln zu verkraften. Für uns ist es diese Vielfältigkeit in der Interpretation eines Projekts, die es robust macht: flexible und durchlässige Strukturen, die auf das Programm reagieren und es gleichzeitig erlauben, das Projekt in seinem Kern zu hinterfragen, aber auch seine Beziehung zu einem sich ständig verändernden Kontext.
espazium.ch: Ist man beim Wettbewerb im Vorteil, wenn man experimentell vorgeht?
Comte/Meuwly: Wie oft mussten wir schon diese gefürchtete Excel-Tabelle ausfüllen, die den wirtschaftlichen Aspekt eines Projekts auf das banale Verhältnis von verglaster Fläche reduziert und die Lesart eines Projekts auf vereinfachte quantifizierbare Parameter?
Wir betrachten jedes Projekt als eine Gelegenheit zum Experimentieren. Wie kann man die engen Vorgaben des Wettbewerbs als Hebel nutzen? Wie macht man sie zu Qualitäten? Und wie können wir dem Urteil einen Bewegungsspielraum geben, um diese Einschränkungen zu interpretieren?
Für uns besteht die Faszination des Experimentierens im Rahmen des Wettbewerbs gerade darin, dass es sich mit einer bestimmten Realität, bestimmten Anforderungen, bestimmten Kriterien auseinandersetzen muss. Der ganze Sinn des Experimentierens liegt in seiner Realisierbarkeit.
espazium.ch: Müsste man die Wettbewerbe weiterentwickeln?
Comte/Meuwly: Wir sind der Meinung, Architekten sollten in die Ausarbeitung von Projektprogrammen stärker miteinbezogen werden. Das Gleiche gilt auch für die Jurymitglieder, die sich vermutlich zu oft vor die Aufgabe gestellt sehen, Projekte auf der Grundlage eines vorgegebenen Programms zu beurteilen, das zwar validiert, aber kaum hinterfragt wurde.
Die Jury wählt dann die nach ihrer Meinung beste Antwort auf die Frage aus. Aber wer stellt eigentlich die Frage? Und wer bestimmt die Themen?
Ein starkes Projekt geht über programmatische Erwartungen hinaus, deren Entwicklung nicht vorhersehbar ist, und formuliert seine eigenen Themen, indem es Zwänge in Qualitäten verwandelt. Ein starkes Projekt stellt Fragen und wirft Themen auf, die über sie hinausgehen.
Übersetzung aus dem Französischen: Christof Rostert
Serie «u40 und der Wettbewerb»
Passend zum Wettbewerbsthema der Januar-Ausgabe 2021 von TRACES haben wir drei Fragen an Gewinner von Architekturwettbewerben aus den Jahren 2015 bis 2020 unter 40 Jahren gestellt. Wir baten sie auch, einen prägenden Wettbewerb ihrer jungen Karriere als Referenz zu wählen.
Weitere Beiträge lesen Sie hier.
Comte/Meuwly ist eine 2017 gegründete Agentur in Zürich und Genf von Adrien Comte (*1990) und Adrien Meuwly (*1993).
Facts & Figures
- 13 Wettbewerbsteilnahmen
- Nominierung der Installation «Palace of Joy» für die Swiss Art Awards 2019
- Lausanne Jardins 2019: Jurypreis und Preis «Mobilière» für «Parc de l’amour éternel» (in Zusammenarbeit mit huber.huber et Johannes von Pechmann)
Weitere Beiträge aus der Serie u40 und der Wettbewerb finden Sie hier.