Er­tüch­ti­gung mit Re­spekt

Selektiver Gesamtleistungswettbewerb für die Instandsetzung des Konvikts in Chur

Für die Instandsetzung des Churer Konvikts – eines Baudenkmals von überregionaler Bedeutung – wurden die Lösungen über ­einen Wettbewerb gesucht. Einmal mehr zeigt sich, dass damit eine ­qualitätssteigernde ­Vielfalt der Ansätze entsteht.

Publikationsdatum
19-01-2017
Revision
20-01-2017

Wie ein komplexes Burgensemble türmt sich das Konviktgebäude der Kantonsschule Chur auf, das Otto Glaus1 1966–1968 unterhalb der Strasse nach Maladers an der «Halde» südöstlich von Chur erbaut hat, als Wohnheim für die Schülerinnen und Schüler aus entlegenen Tälern. Durch eine geschickte Staffelung des Baukörpers steht das enorme Volumen wie selbstverständlich im steilen Gelände. Seine hohe Qualität gewinnt es zunächst im kubischen Aufbau des Sichtbetonbaus, ebenso sehr aber in der trotz ihrer hohen Komplexität klaren innenräumlichen Struktur und durch seinen bis in die Einzelheiten durchgestalteten Innenausbau. Das Konvikt ist ein herausragendes Zeugnis der Architektur der Nachkriegszeit und hat in seinem baukulturellen Wert weit über den Kanton Graubünden hinaus eine hohe Bedeutung. An einer Tagung des Bündner Heimatschutzes im Oktober 2013 wurde eindringlich auf die Bedeutung der Anlage hingewiesen und die Notwendigkeit unterstrichen, sie mit ihren zeittypischen Einzelheiten zu bewahren.

Das Wettbewerbsverfahren wurde in der ersten Stufe als ­Präqualifikation im Frühling, in der zweiten Stufe im Sommer und Spätherbst 2016 mit fünf ausge­wählten Teams durchgeführt.2 Wie vielfältig die Herangehensweisen waren, zeigt der Vergleich der eingegangenen Projekte. Mit anderen Worten: Ein Wettbewerb lohnt sich selbst für eine blosse Instandsetzung mit Nutzungsanpassungen.

Wer den Ausführungen im Jury­bericht folgt, wird feststellen, dass für die Beurteilung neben den Nutzungsanforderungen der Umgang mit dem Bestand und – richtiger­weise – nicht die Kosten ausschlaggebend waren. Einmal mehr stellt sich aber die Frage, ob nicht bei solchen Aufgaben ein ­Wettbewerb unter Architekten und anschliessend, auf präziser Planungsgrundlage, ein Submissionswettbewerb unter Generalunternehmern für alle Beteiligten rationeller und zielführender wäre.

Präzise Eingriffe

Das siegreiche Projekt «Weniger ist mehr» von Pablo Horváth aus Chur bringt die zusätzlich einzubringenden Nutzungen im Wesentlichen sinnvoll unter. Eine Neuordnung der rückwärtig angeordneten Nass­zellen und einige veränderte Raum­einteilungen lösen die bestehenden Probleme. Die technischen Ver­bes­serungen werden durch die Kon­zentration der notwendigen neuen Leitungen bei den bestehenden Lavabo-Zonen in den Zimmern gelöst, was eine leicht zu bewältigende Ausführung mit kleinem Eingriff ergibt. Auf eine Zwangslüftung wird klugerweise verzichtet – sie würde zu massive Eingriffe bedingen. ­ Die namhaften Verbesserungen der Wärmedämmung werden konzentriert an Stellen vorgenommen, die die Erscheinung des Baus nicht beeinträchtigen (Pläne).

Der Vorschlag orientiert sich grundsätzlich an den räumlichen und architektonischen Qualitäten des bestehenden Gebäudes. Dabei wird die Sichtbetonfassade mit ihren differenzierten Oberflächen erhalten, repariert und konserviert.3  Allerdings macht die explizit formulierte Absicht, dem Konvikt «einen neuen, frischen Glanz zu verleihen», stutzig. Im Innern mögen Neuanstriche nötig sein; die Fassade aber mit dem aufwendigen und die Oberfläche verletzenden Verfahren des ­Trockeneisstrahlens porentief zu reinigen, um sie wie neu erscheinen zu lassen, ist fragwürdig. Auch der geplante unbesehene Ersatz aller bestehenden Holzfenster geht in die falsche Richtung. Hier müssten die guten Erfahrungen genutzt werden, die andernorts mit der Instand­setzung auch wesentlich älterer Fenster gemacht worden sind. Die vorgeschlagene Absturz­sicherung auf den Dachterrassen mit grossen Pflanztrögen wirkt unbeholfen; andere Projekte machten weit bessere Vorschläge.

Der Umgang mit den Innenräumen, die in ihrer Materialität erhalten bleiben, ist sowohl in der Gesamtausrichtung wie in den Einzelheiten positiv zu werten. So werden sich die halböffentlichen Zonen, namentlich die Treppenhäuser, kaum verändern. In den Einzelzimmern, die einen speziellen, überaus wohnlichen Charakter aufweisen und ein wesentliches Element des Baus sind, sollen die feste wie auch die mobile Ausstattung erhalten bleiben. Der für die Installationen nötige ­Eingriff ist auf die erneuerte Lavabo-­Zone beschränkt.

Bemerkenswert ist die Gestaltung der Umgebung. Sie nimmt die früher mit kleinen Trocken­mäuerchen terrassierte Struktur der Bergflanke auf. Die nötigen Fluchtwege werden so in den Gesamtzusammenhang integriert. Der bestehende Patio wird zu einem ­kontemplativen Hof umgestaltet.

Zu viel gewollt

Auch wenn sie alle von der Erhaltung des historischen Gebäudes ausgehen, dem eindeutig der Rang eines überregionalen Baudenkmals zukommt, weisen die anderen Projekte im Einzelnen wesentliche Unterschiede auf. Das Projekt «convivere» von SAM Architekten und Partner auf dem zweiten Rang versucht mit neuen Elementen und Materialien dem Gebäude einen heutigen Zeitgeist einzuhauchen. Dabei wird der Gesamt­eindruck, namentlich in den Einzelzimmern, die neu ausgestattet werden, empfindlich gestört. Bemerkenswert ist der Vorschlag «pierre sauvage» der ARGE horisberger wagen | stehrenberger architektur auf dem dritten Rang, der sich besonders intensiv mit dem Bau auseinandersetzt. Der Entwurf weist nach, dass die Fenster zumindest in den Gemeinschaftsräumen erhalten, repariert und nachgerüstet werden können. Die Absturzsicherung erreicht man überzeugend durch das Erhöhen der Brüstungen in Beton, im Innern werden die Installationen neu offen geführt; beide Eingriffe kritisiert die Jury allerdings als zu weitgehend. Der Vorschlag scheiterte an Mängeln in der Umsetzung von Anforderungen seitens der Nutzerschaft (und am hohen Honoraran­spruch).

Diskurs am Detail

Mit dem Wettbewerb ist ein erster wichtiger Schritt getan – die eigentliche Arbeit aber beginnt erst jetzt. Es geht um die Detailplanung: Welche Originalteile sollen erhalten werden, selbst wenn sie Spuren des langjährigen Gebrauchs zeigen? Können Fenster und Fensterfronten repariert und sinnvoll ertüchtigt werden? Ist an diesem Bau eine Begrünung der Dachflächen wirklich angezeigt? Wie weit sind den jungen Bewohnerinnen und Bewohnern ­Imperfektionen, kleine Einschränkungen und Normabweichungen zuzumuten?

Bei diesen Fragen sind alle gefordert, Eigentümer- und Betreiberschaft wie Planer. Sie müssen sich mit einer klaren Ausrichtung dafür einsetzen, den Zeugniswert des Baus möglichst uneingeschränkt zu erhalten. Am Resultat dieser Anstrengungen wird der Erfolg der Instandsetzung zu messen sein.

Weitere Informationen über das Konvikt in Chur finden Sie unter der Rubrik Wettbewerbe.


Anmerkungen

1 Otto Glaus ist einer der markantesten Schweizer Architekten der 1960er-Jahre und Schöpfer zahlreicher bedeutender Bauten, darunter das inzwischen stark veränderte Flughafengebäude in Agno (1956–1958) oder die Kantonsschule in Wattwil (1968–1970). In Chur arbeitete er zusammen mit Rudolf Lienhard. Weiterführende Literatur: Ueli Lindt: Otto Glaus, Architekt, Basel 1995.

2 Der Baukredit soll in der Juni­session 2017 dem Grossen Rat vorgelegt, mit der Instandsetzung im Sommer 2018 begonnen werden. Fertigstellung und Inbetriebnahme sind auf Ende Oktober 2020 geplant.

3 Im Lehrerseminar Cleric von Architekt Andres Liesch (1964), heute Teil der Kantonsschule, hatte Pablo Horváth bei der Sanierung 2010–2012 die Sichtbetonfassade ersetzt, damit einen wesentlichen Teil des Originals eliminiert und gegen aussen einen Neubau im Gewand der 1960-Jahre präsentiert.

Auszeichnungen
 

1. Rang «Weniger ist mehr»: Implenia Schweiz, Buildings-Local, Chur; Pablo Horváth, Chur; Bänziger Partner, Chur; r + b engineering, Elektroplanung Chur; Broenner, Energie Spar Systeme, Neuenkirch; Marco Felix, Planungsbüro für Haustechnik, Chur; Pernette + Wilhelm Ingenieure (PWI), Maienfeld; Alex Jost, Chur; Joseph Kolb, Romanshorn; Chromo planning, Gastroplanung, Chur; Carbotech, Umweltprojekte und Planung, Binningen
 

2. Rang «convivere»: Steiner, St. Gallen; SAM Architekten und Partner, Zürich; WaltGalmarini,  Zürich; HEP Helvetica Engineering Partners, Volketswil; 3-Plan Haustechnik, Winterthur; Kolb Landschaftsarchitektur, Zürich; Hpmisteli Hotel- und Gastrokonzepte, Oberwangen; CDS Ingenieure, Zürich; li.li licht mit konzept, Winterthur
 

3. Rang «pierre sauvage»: Strabag, Schlieren; ARGE horisberger wagen | stehrenberger architektur,  Zürich; dsp Ingenieure & Planer, Greifensee, Hefti.Hess.Martignoni St. Gallen, St. Gallen; Gerber + Partner Haustechnik, Volketswil; Bakus Bauphysik und Akustik, Zürich; Hager Partner, Zürich; Timbatec Holzbauingenieure Schweiz, Zürich; GaPlan, Würenlingen; UB Bauquality, Chur; mosersidler für Lichtplanung Zürich; Giovanni Menghini, Bern
 

4. Rang «Am Hang»: Ralbau, Chur; Andreas Senn Architekt, St. Gallen; Wälli, St. Gallen; Espro St. Gallen; Richard Widmer Energiekonzepte, Wil; Studer + Strauss Bauphysik,
St. Gallen; Mettler Landschafts­architektur, Gossau; Baubüro Hollenstein, Zuzwil; Acherman Revital, Kloten
 

5. Rang «Maurus, Nadia, Flurina»: HRS Real Estate, Frauenfeld; ARGE Vincenzo Cangemi & Michele Vasella, Architekten, Chur; IG Widmer Ingenieure AG – Flückiger + Bosshard, Chur; Amstein + Walthert, Chur; Kopitsis Bauphysik, Wohlen; Lichtplaner Reflexion, Zürich; Maxwave, Zürich

 

Jury


Simon Berger, Kantonaler Denkmalpfleger, Amt für Kultur Graubünden, Chur
Stefan Bitterli, Architekt, Meilen
Jürg Conzett, Bauingenieur, Chur
Markus Dünner, Kantonsbau­meister, Hochbauamt Graubünden, Chur

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