Es ist al­les schon da

Anfang Juni fand in Basel das dritte Tageslichtsymposium statt. Das Motto: «Das Tageslicht braucht eine stärkere Lobby». Denn: Tageslicht ist zwar gratis und im Gegensatz zu etlichen anderen Ressourcen im Überfluss vorhanden. Produkte oder Dienstleistungen wie beim Kunstlicht lassen sich damit aber kaum verkaufen. Die Tageslichtplanung fristet daher ironischerweise ein Schattendasein im Bauwesen.

Publikationsdatum
05-07-2022

Dieser Crux widmeten sich auch diesjährigen Referentinnen und Referenten. Dass Tageslicht nicht nur hell macht, sondern auch positive gesundheitliche Auswirkungen auf die Menschen hat, ist spätestens seit der Entdeckung der fotosensitiven Ganglienzellen Ende der 1990er-Jahre erwiesen. Diese Fotorezeptoren im Auge steuern – vereinfacht gesagt –, den Schlaf-Wach-Rhythmus und haben damit einen grossen Einfluss auf unser Wohlbefinden. Ist eine Person wenig Tageslicht ausgesetzt, gerät dieser Rhythmus aus dem Takt; Beschwerden wie Schlaflosigkeit, Konzentrationsstörungen und Antriebslosigkeit können die Folge sein. Umgekehrt gilt dafür aber: Tageslicht ist für alle vorhanden und leicht zugänglich, seine positiven Effekte müssen eigentlich nur geerntet werden.

Da sich die Menschen aber zunehmend in Innenräumen aufhalten, ist es schwierig, an die empfohlene Tageslichtdosis zu gelangen. Ein weiterer Stolperstein ist der durch das energieeffiziente Bauen forcierte Trend zu kompakten Gebäuden. Ausreichend natürliches Licht ins Innere eines tiefen Kubus zu bringen, ist nicht einfach.

Oder ist es etwa doch gar nicht so kompliziert? Dieser Ansicht sind Renate Hammer vom Wiener Institute of Building Research & Innovation und Lichtplanerin Paula Longato, die in ihrem Vortrag «24 things I (should have) learned about daylight» im Wesentlichen eines forderten: die frühzeitige Berücksichtigung des Tageslichts bei der Planung und die Sensibilisierung von jungen Architektinnen und Architekten für das Thema.

«Architektur ist das kunstvolle, korrekte und grossartige Spiel der unter dem Licht versammelten Baukörper», sagte einst Le Corbusier und verankerte damit die Bedeutung von Tageslicht in der Baukunst. Trotzdem ist Tageslicht in der Architekturausbildung, wenn überhaupt, nur am Rand ein Thema. Für gute Tageslichtverhältnisse braucht es grosse Gebäudeabstände und Fensteranteile, geringe Raumtiefen, Fenstergläser mit hohem Lichttransmissionsgrad und bester Farbwiedergabe sowie einen flexiblen Sonnen- und Blendschutz – also vieles, was in direktem Widerspruch zur heute praktizierten energieeffizienten, verdichteten Bauweise steht.

Janine Stampfli von der Hochschule Luzern untermauerte dies implizit: Mit einem an der HSLU entwickelten Lichtdosimeter mass sie während einer durchschnittlichen Arbeitswoche ihre Tageslichtexponierung. Das ernüchternde Fazit: (Büro-)Arbeitstage, vor allem solche mit zahlreichen Sitzungen, schnitten in Bezug auf die nötige Tageslichtdosis von mindestens zwei Stunden ungenügend ab. Besprechungszimmer sind oft in fensterlosen Räumen im Gebäudezentrum oder in zweiter Reihe angeordnet – wie übrigens auch der Konferenzsaal des Tageslichtsymposiums.

Das gilt nicht nur für Büroarbeitsplätze: Lichtplaner Michael Josef Heusi untersuchte an verschiedenen Fallbeispielen die Tageslichtversorgung von Schulhäusern. Heutige Bauten schneiden dabei schlecht ab, sie entsprechen oft nicht einmal der Tageslichtnorm SN EN 1703. Obenauf hingegen schwingen die – meist freistehenden – Schulhäuser der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert, mit ihren hohen Raumhöhen und dem grossen Fensteranteil. Hält man sich dazu  die Langlebigkeit und Robustheit dieser Bauten vor Augen, führt das fast zu einem Plädoyer für eine Architektur, wie wir sie vor hundert Jahren kannten. Und dies sogar, ohne im Widerspruch zu heutigen Forderungen nach Energieeffizienz zu stehen: Kunstlicht ist für 14% des Schweizer Stromverbrauchs zuständig. Ein gründliche Tageslichtplanung spart also mindestens Kunstlicht und ist damit durchaus ein Faktor für ein energetisch zeitgemässes Gebäude. Dass damit auch qualitätvolle Architektur entstehen kann und in den Gebäuden wache (und produktive!) Menschen wohnen und arbeiten, ist dann schon mehr als nur ein Nebeneffekt.

Weitere Infos: tageslicht-symposium.ch

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