Europas grösster Portalroboter steht in der Schweiz
Werkstücke von bis zu 48 m Länge, 5.6 m Breite und 1.4 m Höhe kann eine neue, siebenachsige Portalroboteranlage bei der Firma Erne im Werk Stein (Aargau) bearbeiten. Derzeit realisiert sie das aus über 45 000 Einzelelementen bestehende freigeformte Holzdach des künftigen Instituts für Technologie ITA in der Architektur der ETH Zürich.
Ursprünglich wollte Erne bloss die Wandproduktion automatisieren und suchte eine dafür geeignete Anlage. Zur selben Zeit fragte die ETH an, ob die projektierte Dachkonstruktion des ITA im Rahmen eines voll digitalisierten Planungsprozesses zu realisieren sei. Die dafür notwendige Investition von 4 Millionen Franken ist eine Weiterentwicklung der aus der Autoindustrie stammenden Technologie, einem an das Bauen angepassten Wechselkopf der für die Aufnahme unterschiedlichster Werkzeuge ausgestattet ist.
Die Dachkonstruktion des «Arch_Tec_Lab» genannten Neubaus der ETH setzt sich aus 45 000 einzelnen Elementen zusammen, die der Portalroboter vollautomatisch zum freigeformten Holzdach verwebt. Der Entwurf stammt von Gramazio Kohler Research.
Digitaler Freiraum im Holzbau
Die Maschine steht bereits seit Januar 2015 im Werk, Ende Juni nun stellte die Firma die neue Anlage und damit auch die derzeit produzierte komplexe Dachkonstruktion der Fachwelt und auch der Bevölkerung vor.
An einem Fachanlass für Architekten, Ingenieure und Unternehmer stellten die Spezialisten das Forschungsprojekt Arch_Tec_Lab vor, es wurde er neue digitale Freiraum für den Holzbau dargelegt und auch die Holzskulpturen für den Flagshipstore von Hermès in Paris kamen zur Darstellung. Nach einem Exkurs in die mögliche bauliche Zukunft besichtigten die über 200 Teilnehmenden den neuen Portalroboter bei der Arbeit.
Die Möglichkeiten für neue Tragwerksformen dank digitaler Fabrikation im Grossmassstab umrissen Matthias Kohler (Gramazio Kohler Research ETH Zürich) und Andrea Bassetti (Dr. Lüchinger + Meyer Bauingenieure, Zürich). Das 80 x 28 m grosse Dach des Arch_Tec_Lab ist eine aus Holzlatten zusammengesetzte Struktur. Die Latten sind mit Nagelverbindungen statisch wirksam verbunden.
Das Dach wird aus 168 Bindern aus rund 50 000 Latten gebildet. Es ist durch 100 000 Verbindungen und 800 000 Nägeln gesichert. Ähnlich wie das Zollinger.Dachsystem bilden kleinteilige Holzelemente das Dach des Arch_Tec_Lab, allerdings mit einer neuartigen, freien Formgebung.
Die automatische Verarbeitung und Fügung der Holzelemente zu einzelnen Fachwerkträgern erlaubt ein effizientes Herstellen der komplexen Dachgeometrie für dieses «sequenzielle Dach» (Gramazio Kohler). Dachstruktur, statische Bemessung und das Bereitstellen der für die Fabrikation notwendigen Daten sind in einem integrierten digitalen Planungsprozess verbunden.
Lernen vom Automobilbau
Thomas Wehrle bezeichnete den Automobilbau als digitaler Vorreiter. Parallelen zum Bauwesen seien erkennbar, vorgefertigte Teile werden zu einem Ganzen gefügt. Allerdings sind die Ziele diametral unterschiedlich: Im Automobilbau sind Grossserien die Regel, beim Bauwesen aber sind es Einzelobjekte.
BIM heisst das Zauberwort: Building Information Modelling, die durchgehend digitalisierte Planung von Gebäuden. Wehrle schätzt das Potenzial, das sich aus dem direkten Zusammenwirken von Gestaltung und Produktion ergibt als gross ein. Die Planung profitiert so von mehr Freiheiten, die Ausführung wird präziser und sicherer. Der Weg von der Projektidee zur Ausführung umgeht so fehleranfällige Schnittstellen.
Intuitive Entwürfe mit präziser Geometrie
Am Beispiel der Einrichtung für Hermès Rive Gauche im ehemaligen Schwimmbad des Hotels Lutetia in Paris zeigten Agnes Weilandt (Bollinger + Grohmann Ingenieure, Frankfurt am Main) und Denis Montel (RDAI Architectes, Paris) wie mit einfach erscheinenden technischen Mitteln (Lattenstruktur) eine hochwertig wirkende Innenarchitektur zu produzieren ist.
Die wie grosse Hurden und Körbe gestalteten Raumstrukturen dienen als Hintergrund für die Präsentation hochwertiger Luxusprodukte und respektieren zugleich die Vorgaben der Denkmalpflege, allfällig später leicht und spurlos abbaubar zu sein.
Die räumliche Wirkung ist überraschend und völlig ungewöhnlich, stiehlt aber den Taschen, Kleidungsstücken, Schals und Möbeln von Hermès nicht die Schau. Die parametrische Modellierung und Produktionsdaten erarbeitete designtoproduction, Erlenbach (CH), der Holzbau stammt von Amann, Weilheim-Bannholz (D).
Der Portalroboter auch für alltägliche Bauaufgaben geeignet
Ein 2240 m2 grosses, frei geformtes Dach aus zahlreichen einzelnen Holzteilen zusammengebaut, das ist eine wahrlich nicht alltägliche Aufgabe. Erne hätte kurzsichtig gehandelt, einen derart grossen Portalroboter bloss für diesen Auftrag anzuschaffen.
Die Maschine bewältigt nämlich nicht allein derartige Sonderprojekte, sondern kann durchaus auch zur Produktion von Wänden eingesetzt werden. Auf Anfrage erläuterte Bereichsleiter Spezialbau bei Erne Holzbau, Thomas Wehrle, bei den Überlegungen zum Roboter habe natürlich nicht allein das Arch_Tec_Lab eine Rolle gespielt. Grundsätzlich sei es das Ziel gewesen, die Wandproduktion zu automatisieren.
Eine Variante mit KUKA Robotern (einarmige Industrieroboter) sei aus Kostengründen wieder beiseite gelegt worden, da für die Herstellung von Wandelementen sehr grosse Dimensionen eines «klassischen» Roboters notwendig sind eines Roboters, der ebenfalls zuerst noch hätte gebaut werden müssen. Dies hätte einer Neuentwicklung entsprochen, denn der grösste KUKA verfüge nur über 3.20 m Auskragung bei einer Nutzlast von rund 100 kg. Eine Auskragung von mindestens 4 Metern und eine Nutzlast von 250 kg sei eine grosse Herausforderung für die Hersteller.
Wehrle erläuterte, dass im Laufe der Projektentwicklung für die Wandautomatisation die neue Produktionslinie auch für die Träger des Daches der ETH tauglich sein sollte. Durch Zufall sei die Firma Güdel ins Spiel gekommen, so konnten Roboterkompetenz und Holzbaukompetenz zusammengeführt und der wohl grösste Portalroboter Europas in Betrieb genommen werden.
Nach Abschluss der Arbeiten am Arch_Tec_Lab wird der Erne-Portalroboter Wände herstellen. Dazu wird im September noch ein Fördersystem installiert, das den Transport der Wände innerhalb der Roboterzone sicherstellt.
Der Roboter kann dann folgende Arbeiten bewältigen: Egalisieren des Wandrahmens (roh, noch ohne Beplankungen), Selbständiges Holen und Legen der Beplankungen der Wände, Befestigen und Zuschneiden der Beplankungen und das Anreissen von Markierungen.
Klassisch von Hand wird noch der rohe Wandrahmen hergestellt, Dämmung und Installationen eingebracht. Nachbearbeitungen wie Storenausbildungen und Leibungen der Fenster und Türen werden ebenfalls noch von Hand im Nachgang ausgebildet.
Aber Thomas Wehrle betonte, dass der Roboter, da er über drei drehbare Achsen verfügt, weiter Freiformbearbeitungen ausführen kann. Bei der Programmierung der Schnittstellen sei der Roboter über die vorhandene CAD-Software direkt über die BTL-Schnittstelle (allgemeine Schnittstelle für den Abbund) ansteuerbar.
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Beteiligte am Arch_Tec_Lab
Projekt: Gramazio Kohler Research, ETH Zürich
Auftraggeber: ETH Zürich Infrastrukturbereich Bauten
Mitarbeiter: Aleksandra Anna Apolinarska (project lead construction), Michael Knauss (project lead building project), Jaime de Miguel (project lead preliminary project), Selen Ercan, Olga Linardou
Ausgewählte Experten: Dr. Lüchinger+Meyer Bauingenieure AG, SJB. Kempter Fitze AG, Estia SA, Chair of Structural Design (Prof. Dr. Josef Schwartz), ETH Zürich, Institute of Structural Engineering (Prof. Dr. Andrea Frangi), ETH Zürich, ROB Technologies AG
Produktion: Erne AG