Stan­dards eta­blie­ren

Mehrgenerationenhaus in Davos

JOM Architekten kombinieren beim ­Mehrgenerationenhaus in Davos alpinen Holzbau mit Fassadenphotovoltaik aus Standard­paneelen. Das Resultat ist ein Gebäude, das mehr Energie erzeugt, als es verbraucht – ein wichtiger Beitrag auf dem Weg zu Netto-Null.

Publikationsdatum
21-03-2025

Um das dringliche Ziel einer klima­neu­­tralen Schweiz bis 2050 zu erreichen, muss sich das Bauen verändern. Derzeit ist die Schweizer Baubranche für 40 % der CO2-Emissionen und 80 % des Abfalls verantwortlich. Nachhal­tige Materialien sind daher ebenso wichtig wie die Nutzung von erneuerbaren Energiequellen. 

Im Alpen­raum liegt die Kombination von Holzbau und Photovoltaik nahe. Die re­gionale Verfügbarkeit, vorteilhafte bauphysikalische Materialeigenschaften sowie die einfache Bearbeitbarkeit sprechen für den Baustoff Holz. Die Integra­tion von Photovoltaik­modulen zur Gewinnung der reichlich vorhandenen Solarenergie trägt der Prämisse einer Nutzung von lokal verfügbaren Energiequellen Rechnung. 

Die Stromausbeute im Winter verbessern

Die solare Energiegewinnung nimmt aktuell Fahrt auf. Gemäss der vom BFE veröffentlichten «Statistik Sonnen­energie» für das Jahr 2023 ist der Photovoltaikausbau in der Schweiz gegenüber dem Vorjahr um 51 % auf 1641 MW angestiegen. Im Gegensatz zu Dachanlagen ist der Zubau von Photovoltaik an Fassaden derzeit noch bescheiden. Photovoltaikanlagen an Fassaden erfreuen sich zwar steigender Beliebtheit, machen aber bisher immer noch weniger als ein halbes Prozent der neu installierten PV-Anlagen aus. 

Lesen Sie auch: 
Für die Um­welt ­ver­träg­lich
Das Öko­nomiegebäude am Lützelsee von Clou Architekt:innen repräsentiert gleichermassen ästhetische wie ökologische Kriterien.

Auch wenn die Energieausbeute in der Vertikalen schlechter ist als bei einer Dachmontage, bietet Photovoltaik an der Fassade einige Vorteile. So kann der Solarertrag im Winter besser sein als auf dem Dach: Wenn die Sonne besonders tief steht, treffen die Sonnenstrahlen möglicherweise in einem günstigeren Winkel auf die Fassade. Bei Schneefall werden die Solarmodule auf dem Dach oft von Schnee bedeckt. Ausserdem reflektiert der Schnee auf dem Boden die Sonneneinstrahlung in Richtung der Fassade.

Wie eine solche Fassadengestaltung im alpinen Umfeld aussehen kann, demonstriert der Neubau «Haus Egga» in Davos. Das dreistöckige Gebäude steht gleich neben dem Viadukt der Parsenn-­Bergbahn. Es ist das erste Wohnhaus mit integrierter Fassadenphotovoltaik der Bündner Gemeinde. 

Die Bauherrschaft, eine junge Familie mit zwei kleinen Kindern, hatte die am Hang gelegene unbebaute Parzelle 2023 erworben. Gemeinsam mit dem Vater der Frau sollte dort ein neuer Lebensmittelpunkt geschaffen werden. «Alle drei Generationen unter einem gemeinsamen Dach war unser Ziel», erklärt der Bauherr. «Ausserdem wünschten wir uns einen energieeffizienten Holzbau.» 

Auf die Machbarkeitsstudie von JOM Architekten folgte der Direktauftrag. Zunächst war ein reiner Holzbau geplant, doch das Grundstück befindet sich in der Lawinengefahrenzone 2. Bei einem Bauvorhaben in dieser Zone eruieren die Gefahrenkommissionen die prozessspezifische Gefährdung am vorgesehenen Standort. Die Prüfingenieure der Gebäudeversicherung legen anschliessend die baulichen Auflagen für das geplante Bauvorhaben fest. 

Im Fall des Mehrgenerationenhauses «Egga» berechnete ein Testingenieur durch Simulationen, mit welcher Wucht eine Lawine auf das Haus treffen könnte. Daraufhin entwickelten die Architekten eine gemischte Konstruktion aus Beton und Holz. Die ersten zwei Geschosse und die hangseitige Hauswand sind aus massivem Beton gebaut und wirken wie eine Staumauer. Den hangseitigen Fenstern ist zudem im Erdgeschoss ein Panzerglas vorgehängt, das im Lawinenfall die Last abwehren würde. Der oberste Stock ist in Holzelementbauweise umgesetzt, die hinterlüftete Fassade besteht aus heimischem Lärchenholz. 

Standard-PV-Module für eine optimale Energieerzeugung

Die Herausforderung lag darin, preisgünstige Standard-­PV-Module in eine Holzelementfassade zu integrieren, sodass sie ein selbstverständlicher Teil des Hauses werden. Grundsätzlich gilt: je dunkler die Photovoltaikfläche, desto höher ihr Wirkungsgrad. Die gewählten PV-Module sind schwarz. Sie sorgen zusammen mit den Fassadenflächen aus Holz für einen hohen Kontrast, dazu kommen noch die spiegelnden Fensterflächen und die Tiefe der Balkone. 

Weitere Artikel zum Thema «Nachhaltiges Bauen» finden sich im gleichnamigen Dossier.

All diese verschiedenartigen Flächen im Fassadenentwurf in eine gute Gesamtkomposition zu überführen, ist eine gestalterische Aufgabe, die JOM Architekten mit Bravour gemeistert haben. Es gelang ihnen, den Ausdruck eines Holzbaus zu erhalten, obwohl ein grosser Teil der Fassade aus PV-Modulen und Fenstern besteht. Dafür setzten sie hölzerne Trennleisten zwischen die PV-Module in den umlaufenden Brüstungen. Die Umsetzung war eine Herausforderung für den Holzbauer. 

Die Module sind auf Schienen montiert, die präzise auf die Modullängen zugeschnitten wurden, sodass die Holzfassade dazwischen zur Geltung kommt. Bei Fassaden-PV ist in der Detaillierung und Ausführung auf die Eigenverschattung durch Fensterbänke und vorspringende Brandriegel zu achten. Hier gab es ein Manko in der Ausführung: Die detailliert geplanten 3 cm Vorstand der Fensterbänke wurden überschritten, was im Sommer zu partieller Eigenverschattung und damit zu Ertragseinbussen führt. 

Dennoch produziert das Haus mehr Strom als die Familie – trotz Elektroauto – über das Jahr hinweg verbraucht. Dank den hohen Solar­erträgen auch bei flachem Sonnenstand und beschneiten Dächern deckt das Haus allein über die Fassade seinen gesamten Jahresenergiebedarf von rund 14 000 kWh – ein kleines Kraftwerk.

Gemeinsam genutzte Orte und Rückzugsräume

Das Gebäude faltet sich von unten her auf. Beide Wohnungen verfügen über 4.5 Zimmer: In der näher an der Parsenn-Bahn gelegenen Wohnung lebt der Vater, die andere Wohnung ist das Reich der jungen Familie. Ein kleines Studio grenzt an die Wohnung der Bauherrschaft an, es wird als Ferienwohnung vermietet. Im Innern prägen Holz und Beton den Bau. Zwei Eingänge und damit zwei unabhängige, verschlungene Treppen erschliessen die ineinander verschränkten Wohnungen. Somit profitieren beide Wohneinheiten von einer Belichtung aus allen Himmelsrichtungen. 

Im Erdgeschoss der Wohnung des Vaters befindet sich eine gemeinsam genutzte Werkstatt. Die Raumaufteilung funktioniert in beiden Wohnungen gleich: Im ersten Obergeschoss sind die Schlafräume und Bäder untergebracht, im Dachgeschoss die Wohnräume, Küche und Bad. Während aber die Betonwände in der Familienwohnung roh blieben, wurden diese in der zweiten Wohnung verputzt. 

Das Raumprogramm war ein langer Verhandlungsprozess, in dessen Zen­trum eine gemeinsame Küche in der Wohnung der jungen Familie stand. Jedoch stellte sich die gemeinsame Nutzung einer Küche in der Realität als nicht wirklich befriedigend für beide Parteien heraus, sodass nachträglich eine separate Küche in der Wohnung des Vaters eingebaut wurde. 

So bleibt das Projekt ein Mehrgenerationenhaus, aber ohne zwingend zu nutzende gemeinsame Räume. Während Balkon und Terrasse nach wie vor offen und verbunden sind, sind beide Wohnungen nun komplett getrennt und bieten so ausreichend Rückzugsraum. Der Wohnraum des Dachgeschosses ist ein beliebter Aufenthaltsort der Familie: Die gros­sen, gegen Süden gerichteten Fenster nutzen die Sonne passiv und gewähren einen grandiosen Ausblick in die umliegende Landschaft. Gemütlich Platz nehmen lässt sich auf einem abgetreppten Staumöbel aus Fichtenholz, das als Sitzbank dient.

Photovoltaikmodule an Fassaden generieren Solarstrom, der vor allem im Winter sehr wertvoll ist. Nicht immer überzeugen diese auch aus ästhetischer Sicht. Das Mehrgenerationenhaus «Egga» zeigt dagegen vorbildlich, wie sich Solarmodule harmonisch in die Gebäudehülle einfügen lassen – eine ebenso ästhetische wie effiziente Lösung. 

Mehrgenerationenhaus «Egga», Davos 


Fertigstellung
2023


Bauherrschaft
Privat


Architektur
JOM Architekten, Zürich


Bauleitung
Stefan Caviezel, Davos


Tragkonstruktion
DIAG Davoser Ingenieure, Davos


HLKS-Planung
Züst Haustechnik, Grüsch


Bauphysik
Michael Wichser  & Partner, Dübendorf


Energie-Planung
Elkom, Davos 


Solarfassade
Tritec, Chur


Solarpanels
Meyer Burger Black
 

Verwandte Beiträge