In­ge­nieur­bau­wer­ke in­stand set­zen

Eine Fachtagung an der Ecole Polytechnique Fédérale (EPFL) in Lausanne widmete sich Ende Mai den Fragen zur Restaurierung grosser Eisenbetonbauten des 20. Jahrhunderts Im Zentrum standen Bauwerke des italienischen Ingenieurs Pier Luigi Nervi, aber auch Bauwerke in der Schweiz und im Ausland kamen zur Sprache.

Publikationsdatum
18-06-2013
Revision
17-10-2018

Bei der Tagung1 ging dabei vor allem um bemerkenswerte und erhaltenswerte Konstruktionen jener Epoche. Diese wollen ja nicht nur unterhalten und gesichert sein, es ist auch deren Erscheinungsbild zu respektieren.

In der Schweiz sind es vor allem die im Zuge der Industrialisierung und dem damit verbundenen Bau von Verkehrsinfrastrukturen entstandenen zahlreichen Brückenbauten, deren Erhalt sich aus wirtschaftlichen und oft auch aus denkmalpflegerischen Gründen aufdrängt. So etwa bei der Dalvazzabrücke bei Luzein (GR), deren Tragwerk ein Vierendeel-Träger aus bewehrtem Beton ist.

Die Brücke aus den 1920er-Jahren war wegen ihres schlechten Zustands gefährdet, ist aber heute wieder instand gestellt. Die schadhaften Stellen des Betons sind erneuert, ergänzt und reprofiliert worden, die originale Bausubstanz blieb weitgehend erhalten. Jürg Conzett (Chur) berichtete, wie beispielsweise die Fahrbahn mit einer dünnen, aber starken Schicht aus ultrahochfestem Faser-Fliessbeton überdeckt wurde.

Die zwischen 1925 und 1940 in der Schweiz gebauten Brücken von Robert Maillard sind so etwas wie in Beton gegossene Ideen. Auch diese Brücken weisen Schäden durch Abnutzung und Witterung auf. Eugen Brühwiler (EPFL) zeigte anhand von Beispielen, wie diese Bauwerke schonend zu erneuern und deren Leistungsvermögen zu erhöhen ist.

Maillards Brücken lassen sich mit geeigneten Massnahmen nicht nur den gesteigerten Ansprüchen der Zeit anpassen, sie erhalten so auch eine längere Lebensdauer. Verstärken, anpassen und erhalten – das waren auch bei Massimo Laffranchi (Fürst Laffranchi, Wolfwil) die Stichworte zu seiner Präsentation von  Arbeiten für die Sicherheit von Betonbrücken.

Anhand zweier grosser Hallenbauten wurde die Restaurierung von Hochbauten aus Eisenbeton exemplarisch gezeigt. Der französische Architekt François Chatillon (Ferney-Voltaire, Frankreich) erläuterte die Sanierungsarbeiten an der Markthalle Boulingrin in Reims. 1927–1929 erbaut, wurde sie 1988 ausser Dienst gestellt.

Die Halle mit dem bloss 7 cm dicken, leicht armierten Betongewölbe geht auf einen Entwurf des Architekten Emile Malgrot (1880-1961) und des Ingenieurs Eugène Freyssinet, dem Erfinder des (1879-1962) Spannbetons, zurück. Der damalige Kulturminister Jack Lang klassierte das Bauwerk 1990 als erhaltenswert, und in der Folge konnten mit entsprechenden Massnahmen weitere Schäden abgehalten und das Tragwerk saniert werden.

Von der Unesco auf die Liste des Welterbes gesetzt und dennoch bei uns kaum bekannt, ist der Bau der Jahrhunderthalle (Hala Stulecia) nach Plänen von Architekt Max Berg (1870-1947) in Breslau (Polen). 1911-1913 erbaut, weist diese aus Stahlbeton gebaute Halle eine imposante freitragende Kuppel von 65 m Durchmesser auf.

Hana Cervinková (Universität Breslau/Wissenschaftliche Akademie Prag) berichtete, wie zahlreiche bauliche Eingriffe das Bauwerk nach und nach verändert haben. Ein Rückbau und eine umfassende Sanierung im Jahr 2010 lässt die Halle heute in neuem (altem) Glanz erstrahlen.

Pier Luigi Nervis Werke schliesslich bildeten den zentralen Teil der Tagung. Christiana Chiorino, Architektin und Architekturhistorikerin aus Turin, erläuterte kenntnisreich den Stand des Erhalts und auch der Zerstörung von Nervis Werk. Manche, so die Flugzeughangars in Orvieto, wurden im 2. Weltkrieg zerstört, andere weisen Schäden auf oder sind durch unqualifizierte und rücksichtslose Eingriffe in Gefahr.

Wenn etwa in den nun leer stehenden Hallen des Palazzo del Lavoro in Turin ein Einkaufszentrum geplant wird, die Papierfabrik Burgo in Mantua seit letzten Februar stillgelegt ist und für die Ausstellungshalle Torino Esposizioni eine neue Zweckbestimmung gesucht wird, dann besteht ein reelle Gefahr für nicht wünschbare Verfälschungen, Banalisierung oder gar Verlust. Oder beim Stadion Flaminio in Rom, das die doppelte Anzahl Sitzplätze erhalten soll und damit sicherlich die ursprüngliche Ausformung einbüssen wird. Umso mehr begrüsst Chiorino Ausstellungen wie aktuell jene bei Archizoom (EPF Lausanne), die möglicherweise zu einer neuen Einschätzung der Bedeutung von Nervis Bauwerken führen.

Ingenieur Tullia Iori von der Universität Rom «Tor Vergata» gab Einblick in die laufenden Forschungsarbeiten, die ein besseres Verständnis der Eigenheiten des von Nervi verwendeten Ferrozements verschaffen. Dies und die Entwicklung neuer Betonsorten, die auch zur Sanierung älterer Bauwerke beitragen können, lässt hoffen, dass künftig bedeutende Ingenieurbauwerke besser instand zu setzen sind als noch vor wenigen Jahren. Als wichtige Zeitzeugen und eigentliche Ingenieurkunstwerke verdienen sie einen respektvollen und kenntnisreichen Umgang. Sie zu schützen und zu erhalten ist eine Verpflichtung für spätere Generationen.

Anmerkung

  1. Die Tagung «La restauration des grandes oeuvres de l’ingénierie du XXe siècle (Autour de la figure de Pier Luigi Nervi)» wurde vom Laboratoire des Techniques et de la Sauvegarde de l’Architecture Moderne TSAM-EPFL organisiert, unter der Leitung von Franz Graf und Yvan Delemontey, EPFL-ENAC.

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