«In­ge­nieu­re wer­den nur wahr­ge­nom­men, wenn et­was nicht klappt»

Der Verantwortung nicht mehr entsprechende Honorare, schwindendes Ansehen der Ingenieure in der Gesellschaft sowie fehlender Nachwuchs – TEC21 hat bei Heinz Marti, dem Präsidenten der USIC, nachgefragt.

Publikationsdatum
11-06-2015
Revision
02-11-2015

TEC21: Herr Marti, wo drückt der Schuh am meisten?
Heinz Marti: Eigentlich gibt es zu unseren Ingenieur­berufen mehrheitlich Positives zu sagen, aber leider entwickelt sich unsere Honorarsituation zunehmend zu einem Sorgenkind. Das öffentliche Beschaffungs­wesen differenziert zu wenig zwischen dem Einkauf von Waren und dem von intellektuellen Dienstleistungen. Unter dieser Tatsache leidet die Vergütung der Ingenieurleistungen. 

Woran liegt das?
Ingenieurleistungen sind heute selbstverständlich und werden nur noch dann wahrgenommen, wenn etwas nicht klappt. Sie sind für die breite Öffentlichkeit offenbar zu wenig «sexy», und oft haben Journalisten auch Mühe mit der komplexen und vielfach unsichtbaren Leistung der Ingenieure.

Gut aufbereitete Informationen könnten doch weiterhelfen. ­Verbände haben oft Kommunika­tionsabteilungen – fehlt es an Lobby­arbeit bei den Medien?
Da besteht Handlungsbedarf! Viele Ingenieure kommunizieren ihre Leistungen zu wenig. Wir haben deshalb unsere USIC-Geschäftstelle personell verstärkt. Unsere Branchenverbände werden in Lobbying und Öffentlichkeitsarbeit besser koordiniert, sodass die Branche vermehrt mit einer Stimme spricht. Insbesondere ist auch die Zusammenarbeit SIA–USIC in patronalen Fragen enger geworden. 

Die Auftragsbücher sind voll, Ausbau und Unterhalt der Infrastruktur benötigt Fachwissen – und doch sinken in diesem gesättigten Markt die Preise?
Ja, da staunen selbst die Bauherren! Aber wir Ingenieure machen immer noch die Preise selber. Bei Ingenieurausschreibungen sind die Konkurrenten häufig qualitativ gleichwertig, Schlüsselpersonen und Referenzen erhalten ähnliche Noten, und so spielt der Preis die entscheidende Rolle. 

Diese Preise sind doch auf die Dauer nicht haltbar. Wie soll es weitergehen?
International tätige Büros werden vermehrt nicht standortgebundene Ingenieurleistungen in Billiglohnländer verlagern, um dem Preisdruck entgegenzu­wirken. Erfahrung wandert so ins Ausland ab, und zusätzlich erschwert das den Berufseinstieg für junge Ingenieure. 

Bleibt also nur Nachtrags- oder Claimmanagement – oder der Untergang?
Projekte erfahren fast immer Änderungen. Wer jetzt auf Preisanpassungen durch Projekt­änderungen spekuliert, steht heute zusehends verhärteten Fronten gegenüber. Die Bereitschaft bei unseren grossen öffentlichen Auftraggebern, auf Nachforderungen einzutreten, nimmt ab, Claimmanagement wird als un­zumutbare Belastung empfunden. 

Was heisst das für die Zukunft?
Die Anzahl der Ingenieurbüros wird sich mittelfristig verringern, es wird eine ähnliche Entwicklung geben wie bei den Bauunternehmungen. Nischenplayer werden aber immer intakte Marktchancen haben.

Nischenplayern wird das Leben oft schwer gemacht: Ingenieur­gemeinschaften mit Schlüssel­­perso­nen, die nicht in der feder­führenden Firma sind, werden nicht zum Wettbewerb zugelassen.
Die USIC kämpft gegen Einschränkungen des Markts.
Wir haben entsprechende Eingaben bei der aktuell laufenden BöB/VöB-Revision gemacht. Die Berücksichtigung unserer Eingaben in dieser Revision liegt aber letztlich in der Hand der Politik. 

Die Planerbranche hat in politischen Gremien nur geringen Anteil, Lobbying ist kaum existent.
Die USIC hat 2012 die Arbeitsgruppe «Politik und Lobbying» gegründet, um mehr politischen Einfluss zu erreichen. Letztendlich müssen aber vermehrt Vertreter unserer Branche in den Parlamenten des Bundes und der Kantone Einsitz nehmen.

Wie sieht es in einigen Jahren aus?
Die Branche ist in einem Teufelskreis gefangen und handelt unbesonnen an der Offertfront – aus oft unbegründeten Ängsten vor mangelnden Aufträgen.

Vor allem Bauingenieure fallen durch Honorardumping auf. 
Der Eindruck ist nicht falsch, aber alle Ingenieurunternehmungen haben Angst, plötzlich mit leeren Händen dazustehen. Wer an der Offertfront nicht mehr mitmacht, erhält keine Aufträge. Unsere USIC-Büros haben hochqualifizierte Mitarbeiter, diese garantieren den Auftrag­gebern auch für gute Arbeit. Ohne interessante Aufträge, insbesondere aus dem öffentlichen Beschaffungswesen, besteht die Gefahr, dass diese Mitarbeiter abwandern. 

Unternimmt die USIC etwas gegen Übeltäter in den eigenen Reihen?
Aus kartellrechtlichen Gründen sind uns die Händen gebunden. Wir haben jetzt ein Offert-Monitoring eingerichtet, um auffällige Vergaben zu analysieren und mit den Betroffenen das Gespräch zu suchen. 

Sind der USIC Klagen betreffend eines Qualitätsabfalls bekannt?
Es wird häufig vermutet, dass tiefe Preise zu schlechterer Qualität führen. Das hat sich – bis jetzt – noch nicht bestätigt. Zurzeit untersuchen wir, ob in unserer USIC-Versicherung ein nach­weisbarer Zusammenhang zwischen Schadenfällen und Tief­preisangeboten besteht. 

Gibt es fragwürdige Anreize?
Bauherrenunterstützer schreiben immer öfter Planerarbeiten im Geist einer «All-inclusive-Mentalität» aus. Dies wird einer intellektuellen Dienstleistung und den oft unbekannten Projektentwicklungen nicht gerecht. 

Bei «unsauberen» Ausschreibungen oder fragwürdigen Begründungen bei Vergaben könnte man doch Einsprache erheben?
In der Planerbranche wird selten Klage erhoben, das gehört zu «unserer Haltung». Der Aufwand, eine zielführende Klage einzureichen, ist sehr hoch. Als Folge dieser Zurück­haltung ist die Auslegung von Vergabevorschriften sehr einseitig: Sie bleibt dem Auftrag­geber überlassen. 

Es braucht aber nicht nur bessere Preise, es braucht auch mehr Nachwuchs. Wie ist die Präsenz der Branche in den Schulen? Was wird für den Nachwuchs getan?
Es gibt viele Aktivitäten, um den Nachwuchs zu fördern: «Young engineers symposium», Young professionals, «Building awards», das «USIC-Tram» – das alles sind wichtige Botschafts­anlässe. Viele Büros organisieren Treffen mit Studenten und ge­währen Einblicke in ihren Alltag und Tätigkeitsbereich. 

Reicht das? Wie sieht es bei den Jüngsten aus? Interesse für ­Technik sollte doch schon früh geweckt werden. 
Es braucht hier von uns Branchenverbänden, aber auch von den Lehrern mehr altersgerechte und Begeisterung weckende Veranstaltungen, damit Interesse und Motivation bereits bei Kindern geweckt wird.

Es gibt sehr viele Vereine und Organisationen, da verzetteln sich die Aktivitäten und Finanzen.
Die Bestrebungen, die verschiedenen Verbandstätig­keiten besser zu koordinieren, sind im Gang. 

Was macht die Frauenförderung? Wie steht es mit der Lohngleichheit, und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie? Auf die zahlreichen Frauen in den technischen ­Berufen sollte man nicht ver­zichten.
Im Gegensatz zu anderen Branchen sind wir hier sehr gut unterwegs. Die Förderung von Frauen und Teilzeitmodellen ist in vielen Ingenieurunternehmen ein aktuelles Thema. Horteinrichtungen für Kinder, Teilzeitarbeit oder Work-at-home sind die zukunftsweisenden Modelle. 

Wie sehen Sie die Zukunft der Ingenieurbranche zusammen­fassend?
Unser Land hat keine Rohstoffe, unser Rohstoffe sind Verlässlichkeit und Innovation, um am internationalen Markt erfolgreich zu bestehen. Hierzu gehört eine funktionierende Infrastruktur, für die wir eine Verantwortung tragen und die es zu sichern gilt – und dafür braucht es auch in Zukunft weiterhin Ingenieure in allen Fächern! 

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