Knapp ist manch­mal ge­nug

Eine Pensionskasse hat das Zürcher Studenten- und Personalhaus in der Binz finanziert. Der Neubau bedient zwar eine Marktnische, dennoch lässt er beispielhafte Strategien erkennen, wie sich ansprechender Wohnraum mit kosten- und flächeneffizienter Qualität realisieren lässt.

Publikationsdatum
19-12-2019

«Binz 111» – das sind zwei grosse Gebäuderiegel mit Kleinwohnungen und Wohngemeinschaften beim Zürcher S-Bahnhof Giesshübel. Der preisgünstige Wohnraum wird seit Sommer 2018 von über 400 Angestellten des Zürcher Universitätsspitals (USZ) und von Studierenden genutzt. Die Überbauung steht auf einer früheren Industriebrache, die vorübergehend besetzt war, dem Kanton Zürich gehört und nun im Baurecht vergeben ist. Ein Vertrag mit dem institutionellen Investor (Interview: «‹Preisgünstig, rentabel und sicherer›») regelt die Nutzung des 6000 m2 grossen Grundstücks für 49 Jahre. Sowohl die Trägerschaft als auch die Architekten hatten sich jeweils in einem voneinander unabhängigen Ausschreibungsverfahren zu bewerben.

Im Jahr 2011 gewann die Basler Pensionskasse Stiftung Abendrot den Investorenwettbewerb des Kantons und brachte damals ein Hotel als ergänzende Nutzungsidee ein. Im nicht anonymen Studienauftrag, an dem sechs Architekturbüros per Einladung teilnahmen, schnürte sie jedoch ein Paket, das ausschliesslich bezahlbaren Wohnraum beinhaltete. Die Anzahl der Wohneinheiten und der Mietpreis gehörten zum Wettbewerbsprogramm; sie waren ebenso wie der Kreis der künftigen Bewohner im Baurechtsvertrag definiert.

Standardisierung mit Freiraum

Das Binz­areal in Zürich Wiedikon beherbergt nun 312 neue Wohnungen mit 417 vermietbaren Einzelzimmern. Zwei Drittel sind Studios mit Küche und Bad; den Rest bilden Gästezimmer und 40 Wohngemeinschaften für je maximal neun Bewohner. Restaurant, Kinderkrippe, Ateliers und Gewerberäume sind öffentlich zugänglich und komplettieren zusammen mit einem Waschsalon und einem Gemeinschaftsraum das Service- und Dienstleistungsangebot im Erdgeschoss.

Die Verwaltung der meisten Wohneinheiten liegt in den Händen der studentischen Wohngenossenschaft Woko. Sie verlangt für ein WG-Zimmer zwischen 500 und 800 Franken Monatsmiete, abhängig von Grösse und Zusatz­service. 26 m2 grosse Studios kosten derweil 900 bis 1200 Franken. Der Kostendruck für die Baurealisierung war hoch. Trotz allen nötigen Standardisierungen haben die Architekten jene Freiräume gefunden und genutzt, die die Siedlung vom Durchschnitt abheben kann.

Eine wichtige Komponente ist das ökologische Energiekonzept: Die Wärmeversorgung speist sich aus geo­thermischen Energiequellen, die mit Erdsonden genutzt werden. Dazu kommt eine Wärmerückgewinnung aus dem eigenen Abwasser. Auch der kontrollierte Luftwechsel unterliegt dem Abwärmerecycling.

Kosten: Verzicht schafft Reserven

Das Projekt von Gmür & Geschwentner Architekten + Stadtplaner, Zürich, ist ein Ensemble aus einem lang gestreckten achtgeschossigen Block und einem winkelförmigen dreigeschossigen Volumen mit viergeschossigem Kopfbau. Zunächst war geplant, den gemeinsamen Innenhof als überdachte Mehrzweckhalle auszubilden. Doch diese Idee fiel einer Überarbeitung des Vorprojekts zum Opfer. Es galt, die Baukosten im Sinn der Wettbewerbsvorgaben zu reduzieren. Die institutionelle Bauherrschaft zog dazu einen Totalunternehmer bei, der dieses Mandat in Absprache mit den Architekten durchführte und danach die Ausführung übernahm.

Auch in anderen Bereichen ging es darum, das Bauvorhaben ökonomisch tragfähig zu machen. Hilfreich war die zusätzliche Verdichtung: ein Attikageschoss mehr auf dem Haupthaus und ein Vollgeschoss mehr auf dem Winkelbau. Dies schuf eine räumliche und ökonomische Reserve für architektonische Akzente, zum Beispiel für den Gastrobetrieb im Langhaus. Oder für die quer gelagerte interne Kaskadentreppe, die sich, von Geschoss zu Geschoss die Richtung wechselnd und um eine Achse verspringend, als atemberaubende Diagonale durch das Langhaus zieht. Sie bildet einen kommunikativen Erschliessungskern und den Zugang zu den Korridoren des zweibündig organisierten Hauses.

Die Treppe gab es schon im ersten Projektentwurf, und den Architekten gelang es, sie über alle Sparrunden zu retten. Zur Wohnqualität tragen überdies die gemeinschaftlichen Terrassen an den östlichen Gebäudestirnen bei, die einen grossartigen Blick über Zürich bieten.

Wohneinheiten: seriell und vieles gleich

Die Wohneinheiten sind aus Effizienzgründen seriell aneinandergereiht und durch Laubengänge erschlossen. Mehrzim­merwohnungen für WGs liegen prinzipiell an den Gebäudeenden. Ebenerdig und zum Hof gehen zudem mehrere Maisonettewohnungen mit hoher Zimmer­anzahl.

Die Repetition dient als Strategie, um Kosten zu sparen: Die Zimmer sind gleich geschnitten und gleich ausgestattet. Die nicht tragenden Wände sind vorfabri­ziert; auch die Nasszellen gelangten komplett vorin­stalliert auf die Baustelle. Und dazu kam eine Minimierung der Gewerke zugunsten eines einzigen für die Realisierung verantwortlichen Baumeisters.

Die Konstruktion beruht auf einem einfachen Prinzip der massiven Materialisierung: ein viergeschossiger Sockel aus zweischaligen Betonfertigteilen und darüber Putzfassaden, die das mit Perlit gedämmte Einsteinmauerwerk abdecken. Die Hoffassade des viergeschossigen Winkelbaus ist als farbiger Laubengang ausgebildet: Hinter den hellblauen Stützen sind die Fassaden pink gestrichen und die Wohnungstüren in wechselnden Farben. Diese Buntfarbigkeit bestimmt auch die Oberflächen bei der Kaskadentreppe und den Korridoren. Farbe kostet wenig, trägt aber viel zur Wirkung und Anmutung von Gebäuden bei. 

Ein Glossar zur Flächeneffizienz finden Sie hier.

 

Am Bau Beteiligte


Bauherrschaft
Stiftung Abendrot, Basel

Architektur
Gmür & Geschwentner Architekten Zürich

Totalunternehmung
Halter Gesamtleistungen, Zürich

Tragwerk
WMM Ingenieure, Münchenstein BL

Bauphysik
Raumanzug, Zürich

HLKK-Planung
W&P Engineering, Stans­stad NW / Pfiffner, Zürich

Elektroplanung
Mettler + Partner, Zürich

Aussenraum
Nipkow Landschafts­architektur, Zürich
 

Kennwerte


Nutzung
417 Wohneinheiten

Status
Eröffnung August 2018

Geschossfläche
14 380 m2

Wohnfläche pro Person
35 m2

Kosten, inkl. Grundstück, Ausstattung, TU
53.3 Mio. Fr. (BKP 1–5: 38.4 Mio. Fr.)

Spezifische Kosten
3706 Fr./m2

 

Mit Unterstützung von energieschweiz sind bei espazium –Der Verlag für Baukultur folgende Sonderhefte erschienen:

Nr. 1/2018 «Immobilien und Energie: Strategien im Gebäudebestand – Kompass für institutionelle Investoren»
Nr. 2/2019 «Immobilien und Energie: Strategien der Vernetzung»

 

Die Artikel sind im E-Dossier «Immobilien und Energie» abrufbar.

Verwandte Beiträge