Kul­tu­rel­le Wer­te­dis­kus­si­on

Der Bund hat grossen Einfluss auf den gestalteten Lebensraum. Doch bisher gibt es keine ausformulierte Baukulturpolitik. Daher hat das Bundesamt für Kultur einen Stakeholderdialog zu den baukulturellen Werten eröffnet.

Publikationsdatum
03-02-2017
Revision
03-02-2017

Sechs Jahre ist es her, dass der SIA den Runden Tisch Baukultur ins Leben gerufen hat, der ein Jahr später das Manifest zur Baukultur veröffentlichte. Der SIA und eine breite Allianz von Partnern forderten damals, der Bund möge eine Gesamtstrategie zur Baukultur entwickeln, die über die Kulturpolitik hinaus weitere Politikfelder einbezieht. Kernanliegen war es, die Gestaltung des Lebensraums als kulturellen Akt in der gesellschaftlichen Wahrnehmung zu verankern. Dieses Ziel ist nun einen entscheidenden Schritt näher gerückt: Das Bundesamt für Kultur hat den Auftrag, gemeinsam mit anderen Ämtern eine Bundesstrategie für Baukultur zu erarbeiten. Teil dieses Strategieprozesses ist ein Stakeholderdialog, den das Bundesamt am 28. November 2016 in Solothurn eröffnet hat.

Oliver Martin, Leiter der Sektion Heimatschutz und Denkmalpflege im Bundesamt für Kultur, betonte, dass wir eine kulturelle Wertediskussion führen müssten; denn wirtschaftliche und technische Belange drohten die Gestaltung des Lebensraums zu sehr zu dominieren. Das Bauen sei ein kultureller Akt, dessen Ziele eine höhere Lebens­qualität und ein besserer sozialer Zusammenhalt seien. Alltägliche Bauten seien jedoch oft wenig überzeugend. Ausserdem bestünden Deregulierungstendenzen; insbesondere bereiteten ihm die peripheren Gebiete Sorge. 

Um das bestehende baukulturelle Defizit zu verringern, erarbeitet eine Interdepartementale Arbeitsgruppe, der 14 Ämter und der ETH-Rat angehören, nun eine Bundesstrategie Baukultur. Eine wichtige Rolle bei diesem Prozess sollen die anwesenden Stakeholder spielen, rund 80 Fachleute, darunter Architekten, kantonale sowie kommunale Denkmalpfleger und Baumeister, Vertreter von Hochschulen, Planerverbänden und Kultur­in­sti­tutionen.

Erwartungen an die Bundesstrategie 

Als privilegierter Partner formulierte der SIA eingangs seine Erwartungen an die Strategie Baukultur. SIA-Präsident Stefan Cadosch unterstrich, dass der SIA sich auf zweierlei konzentriere: «Erstens möchten wir das neue Politikfeld Baukultur in seiner Gesamtheit etablieren und zweitens innerhalb des Politikfelds die Förderung und Vermittlung zeitgenössischer Baukultur pushen.»  Der Verein habe auf drei Ebenen Erwartungen an die Strategie des Bundes: erstens an den Strategieprozess, zweitens an die Gesamtstrategie und drittens an die Disziplin Baukultur. Der SIA stehe bereit, die Bundesstrategie nach Kräften zu unterstützen. Um das tun zu können, müsse er über die Schritte der interdepartementalen Arbeitsgruppe und über Pilotprojekte informiert sein und Know-how einbringen können.

Die Autorin formulierte anschliessend die Erwartungen an die Inhalte der Strategie: Rahmenbedingungen und Förderinstrumente in allen relevanten Politikbereichen seien im Sinn einer aktiven Baukulturförderung auszurichten. Der SIA erwarte, dass die Förderung zukunftsorientierter Arbeitsweisen in die Baukulturstrategie des Bundes einfliesse. Zudem müsse der Bund Instrumente stärken, die die Qualität von Bauprozessen wie auch des Gebauten verbessern. In Gesetzen und anderen normativen Grundlagen für die Gestaltung des Lebensraums sei ein positives Verständnis von Baukultur zu verankern. 

Ein wesentliches Ziel der Bundesstrategie Baukultur müsse es ausserdem sein, die Gestaltung des Lebensraums als kulturellen Akt in der Gesellschaft wie auch innerhalb der Kulturpolitik zu verankern, und zwar auf allen Staatsebenen. Um die Baukultur als kulturelle Disziplin auf Bundesebene zu etablieren, brauche es Schweizer Baukulturpreise. Die Bundesstrategie müsse zudem neue Vermittlungsinstrumente schaffen und vorhandene stärken. Im Bundesamt für Kultur, wo Baukultur aktuell in der Sektion Heimatschutz und Denkmalpflege angesiedelt ist, müsse diese mittelfristig ausserdem das gemeinsame Dach für historische und zeitgenössische Baukultur bilden.

Vier Handlungsachsen

Nina Mekacher vom Bundesamt für Kultur skizzierte vier Handlungsachsen, an denen sich die Strategie orientieren soll: Raumordnung, Bauproduktion, Ausbildung und Vermittlung. In der Raumordnung müsse die Planung gesamtschweizerisch eine hohe Baukultur zum Ziel haben. Bei der Bauproduktion seien die Bau- und Planungsqualität zu stärken und gegenüber jedem Vorhaben Qualitätsansprüche für das gesamte Territorium zu formulieren. Für ­Bildung und Forschung gebe es zwei Ansätze: Einerseits müssten einschlägige Berufsausbildungen und tertiäre Ausbildungsgänge Baukultur thematisieren. Andererseits solle die Forschungstätigkeit zum Querschnittsthema Baukultur systematisch gefördert werden.  

Für die Vermittlung sieht Mekacher ebenfalls zwei zentrale Anknüpfungspunkte: Eine hohe Baukultur sei in ihrem umfassenden Verständnis als nationales Ziel zu kommunizieren, und entsprechende Tätigkeiten von Dritten müssten gefördert werden. Baukultur solle ausserdem in den Lehrplänen der Primar- und Sekundarstufen einen hohen Stellenwert erhalten. Interaktive Formate wie Workshops zum Handlungsbedarf, zur Vision und zum Beitrag des Bundes vertieften den Dialog. Themen waren unter anderem die Notwendigkeit, die verschiedenen Bundespolitiken auf Baukultur abzustimmen, die Bedeutung des Raums zwischen dem Gebauten und die Förderung eines breit angelegten Diskurses.

Der Planer Carl Fingerhuth, Honorarprofessor an der TU Darmstadt, forderte, unsere Städte zu transformieren. Sie müssten emotionaler, sozialer und diskursiver werden. Ausserdem müsse der Städtebau die verschiedenen Massstäbe der Baukultur von der Architektur bis zur Raumplanung verknüpfen. Die Fachverbände wiederum seien gefordert, sich in die Diskussion über strittige Bauvorhaben einzubringen. 

Die erste Auslegeordnung zur Baukulturpolitik, die der Tag in Solothurn brachte, ist noch relativ abstrakt und vage. Es bleibt also viel zu tun bis zum nächsten Stakeholderdialog, der Ende 2017 stattfindet.
 

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