Ler­nen von der afri­ka­ni­schen Mo­der­ne

Seit 2008 wird alle zwei Jahre das BSA-Forschungsstipendium an junge Architekten zum Zweck der entwurfsbezogenen Forschung vergeben. 2010 ging es an Annika Seifert und Gunter Klix. Das Resultat liegt jetzt in Form des schön gestalteten Bandes «Hitzearchitektur – Lernen von der afrikanischen Moderne» vor, in dessen Zentrum die ostafrikanische Moderne der 1950er- bis 1970er-Jahre steht.

Publikationsdatum
21-09-2012
Revision
01-09-2015

Ostafrika liegt im äquatornahen Teil der Tropen, die Aussenluft ist im Vergleich zu trockenheissen Gebieten nur mässig heiss. Zur Durchlüftung der Gebäude werden die Fassadenöffnungen gross gestaltet – eine Verwandtschaft zur Architektur in gemässigten Breiten, wo dies ebenfalls möglich ist. Den klimatischen Herausforderungen begegnen diese Bauten mit wohltuend einfachen architektonischen Mitteln. Angesichts der in der Schweiz gegenwärtig oft nachträglich durchgeführten Anpassungen eines Baus an das Klima orten die beiden Autoren hier ein Potenzial für den Transfer von Süd nach Nord – ein erfrischender Gegensatz zur üblichen Denkweise und Praxis des Nord-Süd-Transfers.

Noch nie gezeigte Bauten

Herzstück des Bandes bilden drei Fallstudien aus Tansania, die mit Plänen und eigens für die Publikation angefertigten Fotografien illustriert sind: Das KNCU Centre des Frankfurter Architekten Ernst May (1886 –1970) in Moshi, das Privathaus des Architekten Anthony Almeida und die Kariakoo Market Hall von Beda Amuli (*1938) in Daressalam. Für alle drei Gebäude ist es die erste Darstellung dieser Art. Insbesondere das Werk Almeidas, der sich in seinem Heimatland als erster tansanischer Architekt unter hauptsächlich britischen Fachleuten bewegte, ist bisher kaum publiziert worden.
Auf die möglichen Anstösse von Süd nach Nord gehen die Autoren in den letzten beiden Kapiteln ein. Dazu zeigen sie aktuelle Beispiele von Gebäuden aus Europa, Australien und Nordamerika, bei denen klimatische Parameter Teil des Entwurfskonzepts waren. Mit Blick auf diese Beispiele fordern die Autoren, das jeweilige Klima bereits beim Entwurf zu berücksichtigen und nicht erst in Form von Nachbesserungen durch den Gebäudetechniker nach Fertigstellung des Baus.
Eine als Faltblatt mitgelieferte Entwurfsmatrix stellt die im Laufe der Recherche gesammelten Beispiele und Techniken übersichtlich dar. Sie bezieht sich sowohl auf Bauten im ge­mässig­ten als auch auf solche im tropischen Klima – Entwerferinnen und Entwerfern in der Schweiz wird sie neue Anregungen, aber ­keine Anleitung an die Hand geben. Ob die afrikanische Moderne allerdings genügend Eigen­ständigkeit entwickeln konnte, um einen Lerneffekt zu ermöglichen, oder ob es sich nicht vielmehr um einen Ableger der Moderne westlicher Prägung handelt, bleibt offen.

Ostafrika heute

Seit den 1960er-Jahren hat sich in Ostafrika vieles verändert: Die Frage des klimagerechten Bauens hat eine städtebauliche Dimen­sion erreicht, die die Autoren nur am Rande andeuten. Dies ist der Fokussierung auf die lange vor dem Aufkommen dieser Problematik entstandene tropische Moderne geschuldet. Der heutige Kontext ist jedoch wichtig, denn bei der Konzentration auf die Situation in der Schweiz geht die rasante bauliche Entwicklung in den Tropen schnell vergessen: Die Bevölkerung von Städten wie Daressalam wächst stark, Wolkenkratzer schiessen massenweise aus dem Boden. Fast alle neueren Bauten widersprechen den von Annika Seifert und Gunter Klix angeführten Prinzipien diametral. Das Wissen aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg scheint vergessen, auch wenn Koryphäen wie Anthony Almeida und Beda Amuli noch Zeugnis davon geben können. Die Publikation, in der buchstäblichen Hitze dieser Situation entstanden, ist eine Horizont-
erweiterung für das Schweizer Publikum. Es ist aber auch zu hoffen, dass die Arbeit den Beginn eines Umdenkens vor Ort darstellt.

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