«Mehr elek­tri­sche En­er­gie für die Ge­bäu­de­küh­lung»

Minergie-Geschäftsleiter Andreas Meyer Primavesi sieht sich neuerdings mit Anfragen konfrontiert, wie ein Gebäude nachträglich besser zu kühlen ist. Das Überhitzungsthema ist im Wohnungsbau angekommen.

Publikationsdatum
04-10-2019

TEC21: Herr Meyer Primavesi, das Gebäude von morgen soll fast keine Energie mehr konsumieren, muss aber wohl stärker gekühlt werden als bisher gedacht. Werden die aktuellen Effizienzbemühungen dadurch torpediert?

Andreas Meyer Primavesi: Für die Gebäudekühlung wird tatsächlich mehr elektrische Energie erforderlich sein als heute. Vorausgesetzt, der Strom wird vor Ort erzeugt, ist daran wenig auszusetzen. Im Sommer speisen viele Hauseigentümer ihre Überschüsse ins Netz ein; diese etwa für die Gebäude­kühlung selbst zu konsumieren, stellt im Vergleich dazu sogar eine wirtschaftlichere Variante dar.

TEC21: Aber ist das mit der geltenden Strategie kompatibel, die Energieeffizienz des Gebäudeparks zu steigern?

Andreas Meyer Primavesi: Für die übergeordnete Versorgungsebene er­geben sich nur wenige Konflikte. Im Sommer wird die Schweiz Stromüberschüsse produzieren, die eine niedrige CO2-Bilanz aufweisen. Im Winter importieren wir dagegen Strom aus Europa, der mehrheitlich aus fossiler Energie erzeugt werden wird. Den Fokus gilt es auf die Reduktion des Winterbedarfs zu richten. Deshalb darf der steigende Aufwand, die Häuser zu kühlen, nicht dazu führen, sich nun weniger um die Energieeffizienz von Gebäuden zu kümmern. Bauliche Massnahmen für einen besseren Wärmeschutz im Winter zahlen sich auch im Sommer aus.

TEC21: Der sommerliche Wärmeschutz wird zusätzliche Technik benötigen. Wie wichtig sind dafür beweg­liche Einrichtungen wie Storen?

Andreas Meyer Primavesi: Sie werden eine grössere Rolle spielen. Leider bieten viele dieser Sonnenschutzsysteme aber noch keine Garantie gegen eine Überhitzung der Räume.

TEC21: Warum nicht?

Andreas Meyer Primavesi: Nutzer setzen Storen oft falsch ein, und viele Gebäudeautomationssysteme sind ebenfalls verbesserungswürdig. Häufig ist auch der Betrieb in Zweckbauten, wann und wie der Sonnenschutz zu bedienen ist, mangelhaft organisiert. Doch bevor wir die guten und schlechten Seiten der Technik vertiefen, ist klarzustellen: Ein Gebäude muss den Innenraum durch seine Bauweise kühl halten können. Ein optimaler sommerlicher Wärmeschutz basiert deshalb auf einem robusten Lowtech-Konzept. Der Fenster­anteil, die Ausrichtung der Gebäudeöffnungen und die Speichermasse sind wesentliche Faktoren, um eine Überhitzung zu verhindern. Auch die Wärmeabfuhr, etwa mit Nachtauskühlung, wird wichtig.

TEC21: Mit zunehmender Sommerhitze steigen die bauphysikalischen Anforderungen an die Gebäudehülle. Die Spanne des Leistungsbedarfs zwischen Winter und Sommer weitet sich ebenfalls aus. Was heisst das für die Zertifizierung von Minergiehäusern?

Andreas Meyer Primavesi: Das Gebäude muss auf diese sich ändernden Wetter- und Klimabedingungen reagieren können. Dennoch bleiben die Qualitätsanforderungen fast gleich wie heute. Zwar nimmt der Energiebedarf im Winter ab, weil die Anzahl Tage, an denen geheizt werden muss, zurückgeht. Aber mit sehr kalten Tagen ist weiterhin zu rechnen. Im Sommer sind derweil Temperaturextreme und längere Hitzeperioden zu erwarten. Daher zeichnet sich ab, dass ein Gebäudeentwurf verschiedene Zielkonflikte zwischen Winter, Sommer und Tageslicht zu bewältigen hat.

TEC21: Was heisst das?

Andreas Meyer Primavesi: Um ein Gebäude im Sommer kühl zu halten, kann man beispielsweise die Fensterfläche verkleinern. Aber das verringert den Lichteinfall; Räume werden plötzlich düster. Trotzdem glaube ich nicht, dass die grossen Fensterformate unter Druck geraten: Der Mensch mag Tageslicht, und es braucht die Fenster für solare Wärmegewinne im Winter. Der Sommer wird – so die heutige Praxis – deshalb verstärkt mit Storen zu bewältigen sein, die aber richtig zu bedienen sind. Zusätzlich ist eine Verbesserung der Glastechnologie zu erwarten. Gefragt sind intelligente Materialien, deren Transparenz auf den Wechsel von Licht, Temperatur und Sonnenstand reagiert. Auch ein Geocooling wird stärker in Betracht zu ziehen sein. Zusätzliche Technik hilft also, den Zielkonflikt zwischen Überhitzung und natür­licher Belichtung zu umgehen.
 

Die ausführliche Version dieses Interviews ist erschienen in TEC21 40/2019 «Sommerhitze: Was brauchts am Bau».

Verwandte Beiträge