Meint nachhaltiges Bauen für alle dasselbe?
Dass nachhaltiges Bauen funktioniert, hat die Praxis mehrfach bewiesen. Dennoch behindern oft Zielkonflikte die vorangehenden Planungsprozesse. Das Schweizer Bauforum in Luzern sprach die Notwendigkeit zur Moderation gegensätzlicher Ansprüche an.
Entscheiden sich Investoren für das nachhaltige Bauen, haben sie sich von Anfang an mit unterschiedlichen Interessen und Vorgaben auseinanderzusetzen. Will man es in allen Aspekten richtig machen, fällt schon in frühen Entwicklungs- und Planungsphasen auf: Oft sind die Qualitätsansprüche zur Ökologie, Architektur, Wirtschaftlichkeit oder Verdichtung untereinander wenig vereinbar; Zielkonflikte sind beim nachhaltigen Bauen unvermeidbar. Am ersten Schweizer Bauforum von Ende November in Luzern diskutierten 150 Gebäudefachleute aus unterschiedlichen Disziplinen über gemeinsame Bereinigungs- und Abwägungsansätze. Der Anlass ist eine Nachfolgeveranstaltung des Novatlantis-Bauforums; als Neuorganisatoren sind die Hochschule Luzern mit den beiden Kompetenzzentren «Institut für Gebäude und Energie IGE» und «Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ» sowie das Netzwerk nachhaltiges Bauen Schweiz (NNBS) in die Bresche gesprungen.
Umweltstandards und Vorgaben allein erzeugen noch keinen nachhaltigen Stadtraum. «Damit sich Städte qualitätsvoll entwickeln und dabei nachhaltig erfolgreich sind, müssen sie geliebt werden», sagt Dominic Church, Projektleiter für strategische Planung bei der Stadt Luzern. Und dazu brauche es eine übergeordnete Strategie. «Energielabels können helfen, bestmögliche Lösungen auszuloten», so Church. Allerdings entstehen häufige Zielkonflikte; einer tritt im städtischen Umfeld besonders häufig auf: zwischen Energiesparzielen und dem Erhalt des baukulturellen Erbes. In diesem Zusammenhang sei besonders wichtig, «weiche Faktoren wie Identität und Charakter zu berücksichtigen und die emotionale Bindung der Bürger zur Stadt zu nähren», so der Luzerner Stadtentwickler.
Singapur als Verdichtungsbeispiel
Der Verlust von Kulturland und die Verdrängung der Natur durch das Siedlungswachstum wird immer häufiger thematisiert. In der landschaftlich stark geprägten Schweiz hinterlassen steigende Einwohnerzahlen und ein wachsender Wohnraumkonsum diesbezüglich deutlich sichtbare Spuren. Eine bauliche Verdichtung im Siedlungsraum gehört inzwischen ebenso zum Nachhaltigkeitskanon wie das Energiesparen. Der asiatische Stadtstaat Singapur ist dabei ein Beispiel zur Veranschaulichung, wie die Forderung umgesetzt werden kann. Gemäss Sacha Menz, Architekturprofessor an der ETH Zürich, wird in Singapur bis zu dreimal so dicht wie in der Schweiz gebaut. Allerdings darf die Stadt das Land nicht vollständig verdrängen. Wo immer möglich, wird die Natur zurückgebracht: mit Gärten auf Dächern oder an Fassaden. Die Begrünung von Gebäuden könne die Ausbreitung von Hitzeinseln eindämmen und die Zufriedenheit der Bewohner deutlich steigern, hat Menz mithilfe von Studienarbeiten vor Ort nachgewiesen.
Ökologie versus Ökonomie?
Ein weiterer Zielkonflikt ist im Zusammenspiel zwischen Ökologie und Ökonomie zu orten. Rechnet sich der Effort für mehr Nachhaltigkeit auch aus Investorennsicht? Dazu nahm Philippe Kaufmann, Leiter Real Estate Consulting der Implenia Schweiz, Stellung: «Je älter ein Gebäude ist, desto mehr lohnt sich die energetische Sanierung finanziell.» Kaufmann zeigte im Detail auf, ab wann eine energetische Sanierung kostendeckend ist: Bereits minimale Eingriffe können Nebenkosten senken, weshalb ein leichter Anstieg der Mietzinsen für die Bewohner durchaus verkraftbar sei. Das Niveau der Bruttomiete sei der relevante Faktor, ergänzt der Implenia-Manager. Kaufmanns Fazit: Erfahrungswerte zeigten das eine Mietzinsanpassung von 10 Fr./m2 genüge, um selbst eine qualitativ hochwertige und umfassende Sanierung durchzuführen.
Hohe Flexibilität frühzeitig andenken
Das Bauforum wagte aber auch den Blick auf Detailfragen in der Nutzung, am Beispiel eines Personalrestaurants. Nutzer, Planer und Betreiber des Roche-Areals in Rotkreuz ZG gaben hierzu spannende Einblicke in Zielkonflikte, die bei der Erweiterung des internen Gastrobereichs auftraten. Pascal Meyer, Head of Engineering, wies auf die Aspekte Design und Effizienz als zentrale Betriebsanliegen aus Bauherrensicht hin. Architekt Paolo Janssen beschrieb derweil, wie diese Wünsche umgesetzt werden konnten. Und Andreas Dannmeyer, zuständig für das Facility Management, erörterte, wie schwierig sich die Wünsche nach niedrigen Betriebskosten mit einem attraktiven Design oder einer hohen Nutzungsflexibilität vereinbaren lassen.
Konkrete Probleme ergaben sich etwa bei der Platzierung von Küche und Serviceinfrastruktur. Obwohl an sich sorgfältig geplant wurde, haben sich die Nutzeranforderungen inzwischen verändert. Entsprechend wurde darauf hingewiesen, wie solche Zielkonflikte vermieden werden können: Es gelte frühzeitig an alternative Betriebsmodelle zu denken. Peter Schwehr, Architekturprofessor an der Hochschule Luzern, regte das Publikum zum Abschluss des Bauforums zur Selbstreflexion an: «Im Grunde ist alles ganz einfach – oder etwa nicht?» Nachhaltiges Bauen sei für alle Beteiligten eine Herausforderung. Gefragt seien aber weniger technische Innovationen als interdisziplinäres Zusammenarbeiten, die Bereitschaft zum Kompromiss sowie den Abschied von einem eindimensionalen Perfektionismus.
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