Na­tur­stein – vom Kult zur Kul­tur

Obelix ohne Hinkelstein? Kaum vorstellbar – schliesslich hatte das Gestalten mit Naturstein zu Zeiten der Römer schon eine etwa 4500-jährige Geschichte hinter sich. Und wer hat’s erfunden? Wahrscheinlich die Europäer. 

Publikationsdatum
28-10-2024

Cairn von Barnenez ist eine jungstein­zeitliche Megalithanlage in Frankreich und wird als ältester Natursteinbau angesehen. Es gibt zwar noch ältere von Menschenhand geschaffene Bauten, etwa die neolithische Siedlung Çatalhöyük in der heutigen Türkei (ca. 7500 v. Chr.). Diese sind aber aus Ziegelsteinen errichtet und nicht aus «Naturwerkstein». Letzterer fällt zusammen mit gebrochenem Hartgestein unter den Begriff Naturstein. Die beiden Podukte unterscheiden sich nicht unbedingt in ihrer Zusammensetzung, aber in ihrer Form und Verwendung. 

Naturwerkstein wird abgebaut und gelangt direkt als Produkt in den Handel. Gebrochenes Hartgestein wird im Brecher zerkleinert und dient als Zuschlagsstoff für Beton- und Belagsprodukte oder als Schüttung im Tief- oder Gleisbau. Die grossen Mengen an Kalk und Mergel für die Zementindustrie – etwa 5 Mio.  t werden in der Schweiz jährlich produziert – zählen nicht zum gebrochenen Hartgestein und werden gesondert betrachtet. Die Massenbilanzen der beiden Natursteinprodukte sind recht verschieden. 

750 000 t Schweizer Naturwerkstein werden im Jahr abgebaut, was etwa 300 000 m3 entspricht. Hingegen gehen 2 Mio. t gebrochenes Hartgestein auf die Baustellen. Die Zahlen verdeutlichen, dass gebrochenes Hartgestein ein Massenbaustoff ist, während Naturwerkstein eher als edles Produkt gilt, was sich natürlich auch im Preis widerspiegelt. Gegen die Masse von jährlich etwa 53 Mio. t Sand und Kies sind all diese Zahlen aber gering.1

Naturprodukt auf weiten Wegen

77 Steinbrüche fördern in der Schweiz derzeit Naturwerkstein – elf abbauende Unternehmen sind nebenstehend im Bild und im TEC21-Heft 24/2024 «Naturwerkstein» vorgestellt. Die Schweizer Steinproduzenten könnten mit ihren Produkten den inländischen Markt weitgehend abdecken, was aus ökologischen Gründen zu befürworten wäre. Allerdings ist auch Millionen Jahre alter Stein Modeströmungen unterworfen. Oft gelten Steinprodukte aus dem Ausland als chic und zeitgemäss – der meist günstigere Preis trägt ebenfalls dazu bei. 

Gaben sich selbst Päpste in Rom über die Jahrhunderte mit relativ nahem Carrara-Marmor zufrieden, findet sich heute oft Mustang-Schiefer aus Brasilien oder Chinesischer Granit in Schweizer Wohnungen – Mega­frachter auf den Weltmeeren machen es möglich. Allerdings sind die Umweltbilanzen der um die halbe Welt transportierten Materialien und die Arbeitsbedingungen bei ihrer Gewinnung in den fernen Steinbrüchen durchaus mit Fragen behaftet. 300 kg CO2 kann man pro Tonne aus China hertransportiertem Naturwerk­stein ansetzen, heimisch abgebautes Material liegt nur bei etwa 20 kg pro Tonne.2

Stein – aus der Region für die Region

Über Jahrhunderte prägte lokal vorkommender Stein ganze Stadtbilder, ja Landstriche. Bern etwa ist zu grossen Teilen aus Berner Sandstein aufgebaut. Für Ausbesserungsarbeiten am Berner Münster sind heute die Produkte des Steinbruchs am Gurten reserviert. Auch die Rustici im Tessin oder die alten Dächer im Wallis sind ohne die heimischen Steinsorten nicht vorstellbar. Was früher dem Pragmatismus geschuldet war – der Transport über weite Strecken von überregionalen Materialien war aufwendig – fiel in der Neuzeit modernerer Produktion und besseren Transportmöglichkeiten zum Opfer: Wie viele Kilometer heute etwa ein Ziegel- oder Betondach vom Werk bis zur Baustelle hinter sich hat, spielt eine untergeordnete Rolle. Wichtig ist der Preis, die schnelle Verfügbarkeit und ein einfacher Einbau. Vor allem bei den Massen im Verkehrswegebau kommen oft Hartgesteine aus Fernost zum Einsatz. Stras­senrandsteine aus China sorgen des Öfteren für Diskussionen.

Stein – Trend zur Unendlichkeit?

Naturwerkstein ist ein wertiges Material und liegt in den letzten Jahren im Trend. Wo wird heute noch eine Terrasse in Waschbeton ausgeführt? Naturstein sieht man da schon häufiger. Und auch im Innen­bereich punktet der kaum zerstörbare Werkstoff. Das Material für Kultbauten ist in der Badezimmer- und Spakultur angekommen. Es bleibt zu hoffen, dass es dort nicht von der Mode überholt wird. Es wäre schade, wenn Jahrmillionen alter, zeitloser Stein nach kurzer Zeit wieder herausgerissen würde. Denn in einem ist die Industrie noch rückständig: Derzeit existiert keine gängige Einbaumethode, die es ermöglicht, Naturwerkstein leicht vom Verlegemörtel zu trennen. Ein verfugter Boden landet unweigerlich auf der Deponie, auch wenn die Steinplatten an sich noch gut wären. 

Eine interessante Idee kommt hier aus Deutschland: Der Steinbruch Rinsche aus Anröchte  hat ein Klicksystem entwickelt, um Steinplatten schwimmend zu verlegen. An den Seiten der Platten wird eine Nut eingefräst, in die ein Profil eingeklickt wird, das die Fuge füllt. Die Platten können so ausgebaut und wiederverwendet werden. Uralter Naturstein ist noch nicht zu Ende gedacht.

Anmerkungen
1 Bundesamt für Landestopografie swisstopo (Hg.), Bericht über die Versorgung der Schweiz mit nichtenergetischen mineralischen Rohstoffen (Bericht mineralische Rohstoffe), 2017.
2 Die angeführte Zahl wurde für Naturwerkstein in Baden Württemberg berechnet. Aus:
Michael Vötsch, CO²-Bilanz von neuem und wiederverwendetem Naturmauerstein, Bachelorarbeit an der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg, 2014.
 

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