Ra­di­ka­le Wie­der­ver­wen­dung in Genf

Neubau Wassersportbasis, Genf; Einstufiger, offener Projektwettbewerb

An einem vernachlässigten, aber bei den Genferinnen und Genfern sehr beliebten Ort wird die neue Wassersportanlage den Auftakt zum künftigen «Parc de la Jonction» bilden. Die Schlichtheit des Siegerprojekts begeistert; die Visionen gehen über diejenigen einer kleinen Sportanlage hinaus.

Publikationsdatum
05-09-2024

Aus dem Wettbewerb «Europan 9» im Jahr 2008 ging ein gemischtes Programm aus Wohnungen, Gewerbe und Büros hervor, das auf der «Pointe de la Jonc­tion» in Genf erstellt werden sollte.1 Sofort fochten zahlreiche Bürgerinitiativen das Siegerprojekt an. Im Laufe der folgenden 15 Jahre wurde viel diskutiert, es wurden Befragungen durchgeführt und die bestehenden Lagerhallen der Transport Publics Genevois (TPG) nach und nach in temporäre Sport- und Vereinskomplexe umgewandelt. Die Gründung des Forums Pointe de la Jonction2 und die Mobilisierung zahlreicher politischer Akteurinnen und Akteure führten dazu, dass man schliesslich auf das Bauvorhaben verzichtete und der beliebte Ort stattdessen in einen grosszügigen Park umgewandelt werden sollte. Die Ausarbeitung des neuen Projekts erfolgte in kleinen Schritten, bevor es nun unter der Leitung von Uniola Landschaftsarchitektur Stadt­pla­nung fortgeführt wird.

2018 verabschiedete der Gen­fer Stadtrat einen ersten Kredit für einen Studienauftrag, 2021 räumte die TPG ihre Lagerhallen, die bisher den grössten Teil des Geländes besetzt hatten. Damit das vorhandene baukulturelle Erbe erhalten bleiben konnte, mussten einige Programmpunkte angepasst werden. Ausserdem soll der Park künftig von motorisiertem Verkehr befreit sein. Eine Herausforderung des offenen Wettbewerbs, an dem 73 Teams teilnahmen, war es, die Was­ser­sport­­anlage, die später den Genfer Kanu­club und ein Rafting­unternehmen beherbergen wird, am Eingang wieder aufzubauen. Für den Bau sollten vor Ort verfügbare Materialien verwendet werden. Am gleichen Standort befinden sich heute auch die Räumlichkeiten der Westschweizer Tageszeitung «Le Courrier». 

Ein kleines Projekt mit hohen Ansprüchen

Dort, wo die Arve und die Rhone zusammenfliessen, liegt die Pointe de la Jonction, überragt von den Steilhängen des Wohnquartiers Saint-Jean. Jeden Sommer geniessen zahlreiche Badende die aussergewöhnliche Umgebung mitten in der Natur, gerade mal einen Steinwurf vom Genfer Stadtzentrum entfernt.

Einst war die Landzunge, über die man aus der Stadt gelangte, ein Industriegebiet, das die Wasserkraft der Rhone nutzte. Heute ist die «Pointe» ein beliebtes und unverzichtbares Naherholungsgebiet. Die Behörden vernachlässigten das Gelände über lange Zeit und im Laufe der Jahrzehnte siedelten sich verschiedene Gebäude an, die zu Wahrzeichen des Orts wurden: Die Fabrik des Armaturenherstellers Kugler, die um die Jahrtausendwende von Künstlergruppen besetzt wurde, wie auch der Pavillon d’Horloge mit seiner barocken Fassade, der von der ehemaligen Compa­gnie Genevoise des Tramways Électri­ques (CGTE) erbaut wurde und heute noch von den Angestellten der TPG genutzt wird. Oder der Kanu­club, den einer der Honegger-­Brüder im Jahr 1969 an der Mündung der Rhone in die Arve erbauen liess und nun im Rahmen des Wettbewerbs versetzt werden soll.

Während sich heute zahlreiche Nutzende am Ufer der Rhone tummeln, wird das gesamte Areal in naher Zukunft in einen Park umgewandelt, der den Dialog zwischen den beiden bisher unverbundenen Ufern ermöglichen soll. Erste Überlegungen zogen den Abriss der TPG-Lagerhallen in Betracht, da diese das Gelände in Beschlag nehmen und von der Umgebung abschotten. Gleichzeitig könnte das Stadtzen­trum bis zur Stelle des Zusammenflusses von Arve und Rhone verlängert und die natürliche Qualität des Orts bewahrt werden. 

Die komplexen sozialen He­rausforderungen und die Verbundenheit der Genferinnen und Genfer mit dem Ort sind für die Entscheidungen der Stadt Genf von grosser Bedeutung. Die Wassersportanlage soll daher als einziger Neubau eine beispielhafte Rolle einnehmen und neben der archi­tektonischen Integration auch Umweltthemen einbeziehen.

Die Wahl der Einfachheit

In ihrer Pressemitteilung zum Wettbewerbsresultat hebt die Stadt Genf die drei Schwerpunkte des Siegerteams um das Luzerner Büro Graber  & Steiger Architekten hervor: Die vorbildliche Wiederverwendung von Metallelementen der TPG-­La­ger­halle, die Ausformulierung des Eingangs zum künftigen Park sowie die flexiblen Grundrisse. Die Jury lobt den Entwurf auch für seine Radikalität. Die wenigen von der Jury geforderten Anpassungen und Präzisierungen erscheinen marginal angesichts der einfachen Lösung des Siegerprojekts: Ein minimaler Eingriff, der die Wettbewerbsvorgaben effizient erfüllt. Der Entwurf trägt in Anspielung auf die in situ wiederverwendeten Bauelemente zu Recht den Namen «Objets Trouvés». Die im Wettbewerbsprogramm dringend empfohlene Wiederverwendung der Stahlkonstruktion der ­Lagerhallen fand in fast allen Eingaben Anwendung. Weiter sollten sich die Teilnehmenden zum Gebäude des «Le Courrier» positionieren: Abriss oder Umnutzung?

Dem Siegerprojekt ist es gelungen, alle beheizten Räume in das Innere des Courrier-Gebäudes zu integrieren, indem es die Technikzentrale auf dem Dach erhöht. Die unbeheizten Bereiche wie die Lagerboxen sind im Freien in Form von Anbauten angeordnet, die mit dem Hauptgebäude durch eine Pergola aus vorhandenen Metallbindern verbunden sind. Die Wahl einer leichten, transparenten und nur mannshohen Struktur entspricht dem Bedürfnis, den Bereich des künftigen Bootsstegs zu privatisieren und stellt gleichzeitig einen visuellen Bezug beim Flanieren entlang des Ufers her. Stadtseitig bietet die Pergola eine einfache, aber elegante Antwort auf die Frage, wie der Eingang zum Park gestaltet werden soll, indem sie eine sanfte Nähe zur Kugler-Fabrik schafft und damit zum Echo der industriellen Vergangenheit des Geländes wird.

Während die Schlichtheit des ersten Rangs die Jury überzeugte, war sie aber ebenso vom Vorschlag des zweitrangierten Projekts «Kadiyak» der ARGE Sujets et Objects d’Architecture / Maclver-Ek Chevroulet angetan, die eine ehrgeizigere und offensichtlichere Interpretation der Wiederverwendung von Teilen der TPG-­Lagerhallen und Struktur­elementen des bestehenden Courrier-­Gebäudes vorschlug.

Der Kontrast zwischen den beiden Projekten verdeutlicht die Problematik der Ortsidentität, der sich die Jurymitglieder stellen mussten: Soll der Genfer Kanuclub nun nach jahrelangem Hin und Her zu einem Symbol der Umgestaltung der Pointe de la Jonction gemacht werden? Oder sollte man sich lieber für ein diskretes, bescheidenes Projekt entscheiden, das sich stärker in die historische Kontinuität des Orts einfügt? Durchgesetzt hat sich die Einfachheit des Luzerner Projekts, die die konzeptionellen und baulichen Ambitionen für den künftigen Park aufzeigt.

Klar ist: Hier, an diesem beliebten Ort in der sich stark verändernden Stadt Genf, kann die Stadt­erneuerung nur durch kleine Projekte und in gemütlichem Tempo erfolgen.

Pläne und Jurybericht zum Projektwettbewerb finden Sie auf competitions.espazium.ch


Dieser Beitrag ist zuerst in Tracés 6/2024 erschienen. Übersetzung: Jennifer Bader

Anmerkungen

1 Gewonnen haben den Wett­bewerb «Europan 9» die niederländischen Architekten Marcel Lok und Berry Beuving. 2020 gewannen Leopold Banchini Architects eine neue Ausschreibung der Stadt Genf für einen Park. Der derzeitige Hauptauftragnehmer für das Projekt ist das Büro Uniola Landschafts­architektur Stadtplanung.
2 Das Forum Pointe de la Jonc­tion ist ein Zusammenschluss von sieben Bürgervereinigungen, die sich seit 2008 für die Schaffung eines Parks an der Jonction einsetzen.

 

Rangierte Projekte

1. Rang, 1. Preis: «Objets Trouvés» 
Graber  & Steiger Architekten, Luzern;  Dr. Neven Kostic, Zürich
2. Rang, 2. Preis: «Kadiyak» 
ARGE Sujets et Objets d’Architecture / Maclver-Ek Chevroulet, Genf
3. Rang, 3. Preis: «Biplace» 
Sablier Sàrl et Gérald Gerber ­Architecte, Gland; Nicolas Fehlmann Ingénieurs Conseils, Morges
4. Rang, 4. Preis: «Ulysse» 
Julia Nahmani, Basel
5. Rang, 5. Preis: «Mikado» 
Riccardo Amarri, Reggio Emilia (I)
6. Rang, 6. Preis: «Re-contexte.s» 
Daniel Zamarbide, Genf; Energy Management, Genf
7. Rang, 7. Preis: «Disjonction» 
mue atelier d’architecture, Paris

Fachjury

Astrid Dettling Péléraux, Architektin, Lausanne (Vorsitz); Philippe Meylan, Architekt, Direktor der Abteilung für Denkmalpflege, Stadt Genf; Lorraine Beaudoin, Architektin, Lausanne; Christophe Pulver, Architekt, Sugiez / Biel; Kevin Demierre, Architekt, Zürich; Aleth de Crécy, Landschafts­architektin, Genf; Patrick Mollard, Architekt, Abteilungsleiter für Denkmalpflege, Amt für Kulturerbe und Sehens­würdigkeiten, Stadt Genf

Sachjury

Charlotte Malignac, Stadtplanerin, Co-Direktorin des Departements für Planung, Bau und Mobilität, Stadt Genf; Sybille Bonvin, Leiterin Sportamt, Stadt Genf; Pierre Dubath, Präsident Kanuclub Genf; Benoît Bouthinon, Landschafts­architekt, Direktionsassistent, Amt für Raumplanung, Bauwesen und Mobilität, Stadt Genf (Ersatz); Diogo Lopes, Architekt, Genf (Ersatz)

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