Der Bogen bleibt
Ist es eine Instandsetzung, ein Ersatzneubau, ein Ausbau, ein Teilabriss, die Erhaltung eines interessanten Objekts? Ja, von allem etwas. Die Arbeiten an der Crestawaldbrücke, der ersten grossen Bogenbrücke von Christian Menn, werden einem einzigen Schlagwort kaum gerecht. Es entsteht eine neue Brücke, die dem Charakter der alten treu bleiben darf.
Mit der Prominenz ist das so eine Sache. Gerecht verteilt ist sie nicht. Was für Menschen gilt, trifft auch bei Bauwerken zu. Gibt es doch Brücken, bei denen automatisch die Fotoapparate gezückt werden. Man denke an die Golden Gate Bridge oder den Landwasserviadukt der Rhätischen Bahn. Dann gibt es Bauten, die nimmt man als Reisender wahr und erkennt sie aufgrund ihrer Besonderheit oder ihrer spektakulären Lage sofort, wenn man sie befährt – etwa Christian Menns Ganterbrücke am Simplon.
Und dann existieren noch Bauwerke, die woanders Hingucker wären, aber in der Landschaft und Topografie um sie herum nahezu untergehen, zumindest aus der Perspektive des Brückenbenutzers selbst. Ein wunderbares Beispiel hierfür? Menns Crestawaldbrücke der Nationalstrasse N13 im Rheinwald bei Sufers.
Fährt man von Thusis zum San Bernardino, durchquert man die Schluchten der Viamala. Man braucht gar nicht die Viamala selbst zu benutzen, schon die Fahrt auf der N13 ist landschaftlich spektakulär genug, sodass man die imposante Crestawaldbrücke, die sich über das schluchtartige Tal des Hinterrheins spannt und in die Talschaft Rheinwald hinaufführt, bei ihrer Überquerung kaum wahrnimmt. Hinzu kommt, dass die Brücke neben der Bogenstaumauer des Sufenersees spannt, was ihre Wahrnehmbarkeit nochmals beeinträchtigt. Und wenn man von Süden nach Norden fährt, ist es noch ärger. Die Brücke verbirgt sich dann hinter dem See und seiner Mauer, sodass die Reisenden kaum Notiz von ihr nehmen.
Dabei hätte sie doch Besseres verdient. Sie ist zwar nicht das eleganteste Bauwerk, das Christian Menn umgesetzt hat, aber sie steht doch an den Anfängen des bedeutenden Schaffens des Brückenbauers. Mit den Randfeldern misst das Bauwerk 124.30 m, der Zweigelenkbogen spannt sich über 71.50 m und weist eine Breite von 6.40 m auf. Für eine Fahrbahnplattenbreite von 7.70 m fällt der Bogen im Vergleich zu späteren Bauwerken noch relativ breit aus. Auf die Instandsetzung wirkte sich dies aber positiv aus. Seit 1958 überspannt die Baute den Hinterrhein – die daneben gelegene Staumauer wurde erst vier Jahre später fertiggestellt.
Lesen Sie auch: «Kontrollierte Werte – wertende Kontrollen» – Wie das Astra Kunstbauten in nutzbarem Zustand hält.
Die zu beobachtenden Stahlbetonkorrosionsschäden an der Brücke lösten bereits im Jahr 1987 Bauwerksüberprüfungen und darauffolgende Instandhaltungsarbeiten aus. Mehrere Abfolgen davon bewogen 2010 zu einer detaillierten Überprüfung des Bauwerks, die Unerfreuliches zutage brachte.
Die Verteidigung fordert ihren Tribut
Die seit der Tunneleröffnung wintersichere San-Bernardino-Route zeichnet sich nicht gerade durch Schneearmut aus. Daher ist auch die Crestawaldbrücke, die etwa auf 1400 m ü. M. liegt, starkem Tausalzeinsatz ausgesetzt. Die Entwässerung wies schadhafte Stellen auf. Dazu kamen noch in der Brücke eingebaute Sprengschächte, die im Verteidigungsfall das Bauwerk eliminiert hätten.
Die Brücke liegt an einem strategisch wichtigen Punkt. Schon vor dem Brückenbau, nämlich ab 1941 sicherte die direkt daneben liegende Artilleriefestung Crestawald den Splügen- und den San-Bernardino-Pass. Heute ist hier ein Museum untergebracht. Durch die Sprengschächte der Brücke drang im Lauf der Zeit Wasser ein, sodass der Beton Chloridsalzen ausgesetzt war.
Als Folge des Wasserangriffs war die Draufsicht des Bogens bis in die Bewehrungsebene von einer Chloridkontamination betroffen. Massnahmen in den Sprengschächten, ausgeführt 1987, unterbanden zwar weitere Wasserzutritte, allerdings war das Bauwerk bereits so sehr beeinträchtigt, dass über seine Zukunft entschieden werden musste.
Egal wie, jedenfalls breiter
Das Astra als Bauherrschaft liess verschiedene Varianten aufzeigen. Da die Crestawaldbrücke nicht unter Schutz stand, gleichwohl von verschiedenen Kreisen als schützenswert angesehen wurde, zog man sowohl einen Ersatzneubau als auch eine Instandsetzung in Betracht. Für einen Neubau hätte man die Linienführung der N13 angepasst, indem man die Brücke etwas bergwärts, in Richtung Staumauer, verschoben hätte. Für alle Vorschläge war eine bedeutende Verbreiterung der Fahrbahn erforderlich. Von 7.60 m musste sie auf 12.60 m erweitert werden, um zukünftig drei Fahrspuren – zwei bergauf in Richtung Süden und eine bergab – aufnehmen zu können.
Die bestehende Brücke hätte mit Verstärkungsmassnahmen eine solche Verbreiterung erfahren können. Dabei hätten sämtliche Bauteile in ihrer Grundsubstanz erhalten werden können. Demgegenüber betrachteten die Ingenieure drei Brückentypen für einen Ersatzneubau näher: einen gevouteten Dreifeldträger, eine asymmetrische Bogenbrücke und ein Sprengwerk, das letztlich zu einem Vorprojekt ausgearbeitet wurde. Im Vergleich schnitt die Instandsetzung etwas besser ab. Hauptargumente waren das gewohnte Erscheinungsbild, niedrigere Kosten und eine schnellere Realisierung, da auch das Verfahrensrisiko wesentlich geringer eingestuft wurde. Die Tür stand für eine Instandsetzung mit verbreitertem Brückenträger von 12.60 m also offen.
Das Vorprojekt ist noch zu schmal
Nun kam allerdings die Forderung nach einer Abtrennung der Fahrtrichtungen auf der Brücke ins Spiel. Der bergab führende Fahrstreifen sollte von den beiden bergauf führenden Spuren – eine davon ist als Kriechspur für den Schwerverkehr konzipiert – abgetrennt verlaufen. Die Einrichtung einer Mittelleitplanke verbreiterte das Projekt nun aber um weitere 0.9 m auf 13.50 m. Aus statischen und konstruktiven Gründen war eine solche Verbreiterung aber mit den vorgesehenen Verstärkungsmassnahmen nicht mehr zu vertreten. Das angepasste Projekt, das nun seit 2019 umgesetzt wird, sah daher einen Abriss und einen Wiederaufbau des Brückenüberbaus vor. Der Fahrbahnträger und alle Pfeiler wurden rückgebaut und ersetzt, nur der Bogen bleibt von der alten Brücke erhalten und wird verstärkt.
Parallele Hilfsbrücke
Die Instandsetzung, die einem kompletten Neubau nun sehr nahe kam, bedingte auch eine längere Sperrung der Brücke. Auch während der Winterpausen konnte die Crestawaldbrücke nicht für den Verkehr herangezogen werden. Daher war es notwendig, eine temporäre Hilfsbrücke parallel neben der Baustelle entlangzuführen. Im Winterhalbjahr läuft der gesamte Verkehr über dieses zweispurige Bauwerk, wohingegen im Sommer nur der talwärts fahrende Verkehr in Richtung Thusis einspurig über die Baute geführt wird. Der bergauf fahrende Verkehr zum San Bernardino wird direkt nach dem Traversatunnel auf die Kantonsstrasse abgeleitet und fährt über zwei Serpentinen hoch nach Sufers, wo er wieder auf die N13 geleitet wird.
Dieses Verkehrsregime ergibt sich aus den Bauzeiten der Brücke und der einfacheren Anbindung der Nationalstrasse an die Kantonsstrasse. Da die Brückenbaustelle im Winter ruht, stehen in dieser Zeit beide Fahrspuren auf der Hilfsbrücke dem Verkehr zur Verfügung. Während der Baumassnahmen ist die bergwärts zum Pass führende Spur – sie liegt direkt neben der Crestawaldbrücke – dem Baustellenverkehr vorbehalten. Die in Richtung Tessin fahrenden Fahrzeuge gelangen nach dem Tunnel direkt auf die Kantonsstrasse, ohne den Gegenverkehr kreuzen zu müssen.
Die Hilfsbrücke Crestawald
Die temporäre Brücke ist für sich genommen schon ein eigenes Projekt. Mit 4 Mio. Fr. schlägt sie auch dementsprechend zu Buche. Auf vier stählernen Rüstbindern – die grössten, die erhältlich waren – liegt die betonierte Fahrbahnplatte mit 9.10 m Breite, die von zwei Stahlgerüstpfeilern mit Höhen bis zu 35 m getragen wird. Die schwierige Topografie der Schlucht und die Verfügbarkeit von standardisierten Rüstträgern zwangen die Pfeilerstandorte auf. Der kürzere Pfeiler fusst direkt auf einer Zufahrtsstrasse zum Kraftwerk luftseitig der Bogenstaumauer des Sufernersees. Daher wurde eine massive Betonrahmenkonstruktion gebaut, durch die die Strasse führt und auf der der Pfeiler steht. Der längere Pfeiler steht etwas erhöht im Flussbett, in das auch die Hochwasserentlastung über eine Schussrinne eingeleitet wird. Ein vorhandener massiver Felsblock schützt den Pfeiler vor einer direkten Anströmung. Zudem steht er gegenüber dem eigentlichen Prallhang des Wassers. Gegen eine mögliche Verklausung ist der Pfeilerfuss mit einer Holzschalung versehen. Die Pfeiler bzw. der Betonrahmen mit dem Strassendurchlass ist auf Mikropfählen gegründet. Das Einheben der Brückenträger erfolgte mit zwei Autokranen von 500 und 350 t im Parallelhub bei nächtlicher Sperrung der N13, da der Träger mit seiner Hauptspannweite von 40 m mittels Sattelschlepper auf die Bestandsbrücke transportiert wurde.
Rückbau und Aufbau gehen Hand in Hand
Nach Freigabe der Hilfsbrücke begannen die diffizilen Abbrucharbeiten, die man wohl als Herzstück des Projekts bezeichnen kann. Sie alternierten mit dem Neubau der Bauteile. Zu unterscheiden waren die Bauten an der Bogenbrücke und an den Vorlandbrücken.
Zuerst liessen die Ingenieure die Widerlager fixieren. Die bestehende Brücke war dort schwimmend gelagert. Da mit dem Rückbau der Fahrbahnplatte die mittige Fixierung am Scheitel wegfallen würde, wäre die Konstruktion ohne Widerlagerbefestigung nicht mehr standfest geblieben. Die Endquerträger am Widerlager wurden mit Beton hinterfüllt und die Widerlager mit Ankern im Baugrund versichert.
Zur Stabilisierung des Bogens wurden an den Köpfen der Kämpferstützen, die am Übergang der Vorlandbrücken zum Bogen stehen, stählerne Diagonalen zum Bogen hin fallend angeordnet. Ihre Kräfte leiten sie über die Fahrbahnplatte der Vorlandbrücken an die fixierten Widerlager ab. Am Bogen selbst wurden diese Stahlträger an einem aufbetonierten Sockel gelagert.
Von den Kämpfern ausgehend in Richtung Scheitel begann daraufhin der Rückbau der Brücke, bei dem auf möglichste Symmetrie zu achten war. Zuerst schnitt man die Konsolen ab – die Schnittteile mussten selbstverständlich stets auf die Hubleistung der Hebewerkzeuge abgestimmt sein. Auf den Vorlandbrücken kamen mobile Krane zum Einsatz, die die Hübe bewerkstelligten. Eine abgehängte Arbeitsplattform wurde unter dem Bogen angebracht. Nach dem Rückbau der Fahrbahnplatte wurden zuletzt die Fahrbahnträger geschnitten und entfernt sowie die Pfeiler, die sich auf dem Bogen abstützten.
Nun konnte die Verstärkung in der Höhe und der Breite des zu erhaltenden Bogens beginnen. Mit Hochdruckwasserstrahl legte man die Bewehrung auf der Oberseite und die Flanken des Bogens frei, worauf wieder vom Kämpfer aus zusätzliche Bewehrung und der Überbeton aufgetragen wurden. Auch die Untersicht des Bogens wurde ausgebessert, wobei das Schalbild, das ja sichtbar bleibt, nachgebildet wurde. Nach dem Bau der neuen Bogenstützen und der neuen Fahrbahnträger über dem Bogen ging es an den Ersatz der Vorlandbrücken.
Hier verlief der Rückbau in entgegengesetzter Richtung, jeweils vom Kämpfer aus zum Widerlager hin, wobei auch Letztere ersetzt wurden. Für die Betonierung der auskragenden Konsolen kam ein Vorbauwagen zum Einsatz. Nach deren Aushärtung erfolgte die zentrische Vorspannung über die ganze Brückenträgerlänge gleichzeitig. Die Kontinuitätsvorspannung beschränkte sich auf die Trägeretappe im Scheitelbereich, die Vorlandbrücke auf der Seite Thusis und schliesslich auf die Vorlandbrücke auf der Sufner Seite. Hier erfolgte die Vorspannung bereits viel früher vor dem Bau der Konsole, jeweils nach dem Betonieren des zentralen Querschnittes.
Die Crestawaldbrücke – nur ein Projektteil
Derzeit, im Frühjahr 2022, finden die Abdichtungsarbeiten der Fahrbahnplatte statt. Es wird eine klassische Abdichtung mit Bitumenbahnen und Gussasphalt erstellt. Auf Sprengschächte ist glücklicherweise keine Rücksicht mehr erforderlich – die neue Brücke weist keine mehr auf.
Die imposante Baumassnahme – die Kosten belaufen sich auf 11.2 Mio. Fr., wobei 4 Mio. nur auf die Behelfsbrücke entfallen und etwa 2.1 Mio. allein aufgrund der geforderten Verbreiterung durch die Fahrbahnabtrennung in das Projekt eingehen – ist allerdings nur ein Teil des Erhaltungsprojekts N13 Anschluss Sufers-Galerie Traversa Süd. Insgesamt 93 Mio. Fr. werden hier verbaut.
Die Fahrbahn wird im Perimeter nicht nur erneuert, sondern auch etwas verbreitert, sodass bei zukünftigen Baustellen der Verkehr auf der N13 verbleiben kann und nicht auf die Kantonsstrasse umgeleitet werden muss. Die nächsten 20 Jahre allerdings sollten keine grösseren Arbeiten diesen Abschnitt beeinträchtigen. Ab der Galerie Traversa entsteht ein breiter Standstreifen, der dann in eine Kriechspur übergeht, um Überholvorgänge sicher zu ermöglichen. Die Verbreiterung der Nationalstrasse hatte entlang des Sufnersees auch Auswirkungen auf die Kantonsstrasse. Letztere musste ein Stück in Richtung See verlegt werden und verläuft nun auf einer Lehnenbrücke, um ausreichend Platz für die Nationalstrasse zu schaffen.
Sämtliche anderen, kleineren Brücken im Perimeter wurden unter Berücksichtigung der Hochwassersicherheit neu gebaut. Auch neue Stützmauern und Steinschlagschutznetze brauchte es. Und zum Abschluss der Massnahmen wird die alte Verbindungsstrasse zwischen Andeer und Sufers, die auch als Zubringer zur Baustelle der Crestawaldbrücke diente, wieder hergerichtet und mit Wegsteinen flankiert, da sie von historischer Bedeutung ist. Wandert man nun auf dieser autofreien Strasse, bekommt man auch den richtigen Blick auf die neue, alte Crestawaldbrücke, wie sie sich imposant über den Hinterrhein und vor der Staumauer spannt. Auch neu und verbreitert passt sich das Bauwerk in seine Umgebung ein. Und auch die Natursteine an ihren Widerlagern fügen sich in die Landschaft – obwohl sie aus der Toskana stammen. Kurz vor Splügen ist der Süden eben nicht mehr so fern.
Bauherrschaft
Astra, Abteilung Strasseninfrastruktur Ost, Aussenstelle Thusis der Infrastrukturfiliale Bellinzona
Planung, Bauleitung
Casutt Wyrsch Zwicky, Chur; Chitvanni + Wille, Chur
Unternehmung
Erni Bauunternehmung, Flims Dorf
Baukosten
11.2 Mio. Fr. (Crestawaldbrücke und Hilfsbrücke)
Bauzeit
2017–2023