Nie mehr durch die Wand

Der lange Weg vom Zellenbüro in eine offene Büroetage, dokumentiert anhand des Umzugs der Redaktionen von TEC21 und espazium.ch sowie des Verlags espazium von Wiedikon West nach Wiedikon Nord.

Publikationsdatum
20-10-2017
Revision
13-02-2018

Architektur ist ein Thema, um das im Kollegium von TEC21 und espazium.ch viele Gespräche kreisen. Die Arbeitsräume, die die Redaktion seit 14 Jahren nutzte, standen allerdings selten im Mittelpunkt des Interesses. Rückzug und Kommunika­tion funktionierten tadellos, und die Köpfe waren immer so reich gefüllt, dass die Umgebung nicht wirklich wahrgenommen wurde. Durch die vielseitigen Kooperationen innerhalb und ausserhalb der Redak­tion herrscht eine dauernde Betriebsamkeit.

Dennoch ist festzustellen: Die alten Räumlichkeiten förderten den Austausch nicht. Ganz klassisch lagen die Bürozellen für ein bis drei Mitarbeitende zwei­hüftig an einem Flur. Die Büros selber waren klein, aber lichtdurchflutet. Jeder hatte es sich in seinem Reich eingerichtet – hier eine italienische Espressomaschine, dort ein Hundekorb und mancherorts einige Zusatztische zum Ausbreiten der Blätter und Bücher. Die reiche Bibliothek im Flur musste ohne Tageslicht auskommen und eta­blierte sich daher nicht als Ort zum Schmökern. Hand aufs Herz: Die Bürostruktur entsprach der eines Amts und strahlte ungefähr den gleichen Charme aus. Ein Lichtblick hingegen war der grosse Konferenzraum am Ende der Achse. Und das ganz grosse Plus, Ausgleich für alle Mängel, war der umlaufende Balkon in luftiger Höhe, von dem aus der Blick bis zu den Alpen schweifen konnte und wo das Gehirn mit Sauerstoff versorgt wurde. 

Es war ein Kunststück, unser Augenmerk auf diejenigen Aspekte zu richten, die in jenem Moment fehlten. Schön wären verschieden grosse Be­sprechungs­räume gewesen, eine Bibliothek mit Aufenthaltsqualitäten oder akustisch abgegrenzte Telefonbereiche. Ein Umzug innerhalb Zürichs, der unter anderem durch das Anwachsen der Online­redaktion nötig wurde, bot die Chance, die eigene Wahrnehmung des Kollegiums zu formulieren und durch ein aufmerksam gestaltetes Büro abzubilden. 

Das Büro als Bienenstock

Mit den Überlegungen zur neuen Arbeitsumgebung entstanden zunächst Fragen zum Wandel unseres Berufsbilds, das durch die Digitalisierung gewaltigen Veränderungen ausgesetzt ist. Wenn das Büro die gemeinsame Identität der dort Arbeitenden abbildet, ist seine feste Struktur zu überdenken. Denn mit den inhaltlichen Neuerungen, die im visio­nären Austausch mit unserem Beirat im Gang sind, stellt sich auch die Frage nach einer Revision der inneren Struktur unseres Teams. Die Querver­bindungen zwischen den Sparten, zwischen Verlag und Redaktion, zwischen Lektorat und Druckerei und insbesondere die Kommunikation zwischen Print- und Onlineredaktion können durch eine neue räumliche Umgebung Entwicklungspotenzial bekommen. Es galt herauszufinden, welche Form von Arbeitsplatz den Abläufen bei uns entspricht und dabei gestaltbar für noch nicht absehbare ­Veränderungen bleibt. 

Im Vorfeld hatten wir schon seit Wochen die Entwicklungen im Bereich der Arbeitsplatzgestaltung auf dem internationalen Parkett beobachtet. Allein: Es tut sich nichts. Bis auf die extrem spiele­rischen Arbeitswelten von Google & Co. ist seit Jahren keine neue Tendenz erkennbar. Derartige Ansätze, die auf die Gestaltung des gesamten Lebensumfelds abzielen, kommen für unsere Bedürfnisse nicht infrage. Einigermassen übersichtliche Grossraumbüros mit angefügten Bereichen für Kommunkation und Rückzug stellen gegenwärtig immer noch die beste Lösung dar. Wichtig dabei ist eine unkompliziert veränderbare Struktur, um auf Entwicklungen in der Arbeitslandschaft rea­gieren zu können. Diese Entwicklungen gehen vermehrt von den Veränderungen der Geräte zur Kommunikation aus. Seit Jahren verkleinern sich die Computer, und jeder ist bemüht, die Mengen an Printmedien, die in Ordner geheftet und Regalmetern aufgereiht immer noch das klassische Büro auszeichnen, zu schmälern. Kommende Generationen werden sich ganz davon verabschieden. 

Mit dieser Entwicklung löst sich der Arbeitsplatz aus einer festen Umgebung. Das Homeoffice und der Coworking Space erreichen immer mehr Bedeutung. Zug, Café und Wochenendhaus kommen hinzu. Die geleistete Arbeit findet per Laptop oder Handy an allen Orten und jederzeit statt und kann nicht mehr an einem bestimmten Stundenaufwand im Büro, sondern nurmehr ergeb­nisorientiert gemessen werden. Das erfordert ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen allen Mit­arbeitenden.

Je mehr die Mitarbeiter ausserhalb der Büroräume tätig sind, desto wichtiger ist es, dem Büro einen starken räumlichen Charakter zu verleihen und damit die Bindung jedes Einzelnen zu festigen. Gleichwertige Arbeitsplätze beispielsweise, das Angebot von gemeinsam nutzbaren Flächen, oder die Verwendung von ökologisch sinnvollen Materialien – all das sind Aspekte, mithilfe derer Firmenpolitik betrieben werden kann. Die Funktion des Büros als Zentrum der internen Kommunikation ist in den Vordergrund getreten und sollte sich abbilden. 

Selbsterkenntnis als Voraussetzung

Im beruflichen Umfeld arbeiten wir mit verschiedenen Arbeitsplatzentwicklern zusammen, die wir sofort hinzugezogen haben, als die Gegebenheiten unserer neuen Räume bekannt waren. Hochfliegende Visionen von schönen Plänen und Bemusterungen, verbunden mit neu zu testenden Entwürfen von multifunktionalen Supermöbeln schwirrten durch die Köpfe. Im ersten Austausch mit den Experten von Vitra folgte aber gleich die Ernüchterung: Eine schlüsselfertige Planung wird nicht ins Haus ge­liefert – da geht es zunächst um das Erkennen der eigenen Bedürfnisse, der Stärken und Schwächen der gegenwärtigen Struktur. 

Eine eigene Einschätzung war gefragt – und damit hatten wir zunächst mehr Arbeit auf dem Tisch als zuvor. Die Büroplaner begegneten uns in erster Linie als Psychologen, dann als Manager und erst zuletzt als Designer und Möbelhändler. An den Workshops, die Vitra zum Zweck der Ana­lyse und Information durchführte, haben wie mit einem kleinen Team von Abgesandten teilgenommen und davon ungeheuer profitiert. Eine zu gewinnende ­Freiheit durch räumliche Ungebundenheit rückte in den Fokus. 

Überzeugungsarbeit und Konsequenzen

Erst so ist klar geworden, welche Bedeutung beispielsweise die Wege zwischen den Geräten und Schreibtischen haben und wie diese geschickt zum Vorteil der Mitarbeitenden genutzt werden. Und wer hätte gedacht, dass die schallschluckenden Aufbauten um einen Tisch herum dazu führen können, dass man sich selbst weniger hört, dadurch lauter spricht und dieser Schall dann postwendend über den Bildschirm nach hinten reflektiert wird? Die erworbenen Erkenntnisse über die Ge­staltung unserer neuen Arbeitsplätze lösten Skepsis in der Belegschaft aus: Wände müssen bleiben, Türen müssen bleiben und das Telefon mit Strippe sowieso. Es ist allgemein schwer vorstellbar, dass der Schritt vom Einzelbüro in ein Grossraumbüro mehr Ruhe bringt, so wie es uns die Experten immer ­wieder versicherten. Es wurde deutlich, womit die Planer von Arbeitsräumen ist erster Linie zu kämpfen haben: mit der Macht der Gewohnheit. 

Mithilfe eines ausführlichen Fragenkatalogs, den die Firma Lista Office aufgestellt hatte, wurde zunächst die interne Einschätzung der bisherigen Arbeitsumgebung sowie Wünsche für die neue analysiert. Das Ergebnis hat Lista Office für uns ausgewertet und erläutert.

In Anbetracht der anstehenden Veränderungen schien das Kollegium eine besondere Zuneigung zu den früheren Räumen entwickelt zu haben: In der Evaluation liegen die Angaben zu «Privatsphäre, Klima, Tageslicht oder Rückzugsmöglichkeit» über der Bench­mark vergleichbarer Arbeitsgruppen. Die Angst davor, dass sich die Möglichkeit des Rückzugs zum konzentrierten Arbeiten an Texten, die ja unseren Alltag prägt, verschlechtert, zeichnete sich deutlich ab. Und das, obwohl wir bisher in einer unüberhörbaren Geräuschkulisse logierten: inmitten eines Viertels nämlich, in dem seit Jahr und Tag Häuser abgerissen und doppelt so gross wieder hochgezogen werden. 

Die einzigen Punkte, in denen das Kollegium die bisherige Umgebung unterdurchschnittlich bewertete, bezogen sich auf deren mangelnde ­Qualität hinsichtlich der Ergonomie am Arbeitsplatz und im Allgemeinen auf ein ästhetisch un­befriedigendes Erscheinungsbild. 

Alle weiteren Annehmlichkeiten um den Arbeitsplatz herum, auf die bisher nicht zurückgegriffen werden konnte, schienen nicht bewusst zu fehlen und die Qualität der Arbeit nicht zu beeinflussen.

Aus diesen Ergebnissen wurden in Zusammenarbeit mit den Beratern Ziele formuliert. Wichtig ist, dass das Büro ein Gesamterscheinungsbild hat, das so stark ist, dass sich die unterschiedlichen Arbeitsbereiche darin zu einem Ganzen fügen. Am besten ist das immer noch anhand eines Modells vorstellbar: Bei Lista Office konnte die Verteilung der Arbeitsplätze mit verschiedenen Kuben auf einem stark vergrösserten Grundriss ausprobiert werden. Je länger wir skizzierten und diskutierten, desto leerer wurden die Räume. So sind wir zur ersten Lösung gelangt. 

Der Reiz liegt in der Abwechslung

Das neue Domizil liegt in einer U-förmigen Etage in einem Haus der Sechzigerjahre. Zahllose Ein­bauschränke unterteilen die hohen und klar proportionierten Räume. Der bestehende Innenausbau war auf eine Nutzung als exklusiver Modeshow­room zugeschnitten. Auf den ersten Blick schien uns der Zustand so, dass wir ohne grosse Umstände würden einziehen können. Mit den Erkenntnissen aus den Workshops ergab sich aber ein neuer Blick auf die Voraussetzungen. Ein Grossteil der eigentlich so kostbaren Einbauschränke wurde heraus­gerissen, sodass ein vormals abgegrenzter Flur jetzt Teil der Arbeits­fläche ist. Die Grösse des neuen Empfangsbereichs, der gut die Hälfte dieses Flügels einnimmt, kompensiert wahrscheinlich das totale Fehlen eines solchen in unseren bisherigen Räumen – sehr zum Vergnügen unserer Redaktionssekretärin. Einerseits laufen hier die Wege zusammen, andererseits laden ein paar Sessel und das Zeitschriftenarchiv zu einer kurzen Unterbrechung der Ar­beitsroutine ein. Wir sind gespannt, wie sich die Nutzung dieser «Piazza» entwickeln wird. 

Die weiteren Flächen teilen sich in drei grosse Arbeitsräume. Darin sind die Bereiche hauptsächlich durch eine bewegliche Möblierung gegliedert. Diese ist immer nur so hoch, dass der jeweilige Platz als Ganzes erfahrbar bleibt. Durch die langen Blickachsen stellt sich ein grosszügiges Raum­gefühl ein. Für alle Mitarbeitenden bestehen die gleichen räumlichen Bedingungen. So sind die Arbeitsplätze zwar personengebunden, aber jederzeit flexibel untereinander zu tauschen, wenn sich der Wunsch danach abzeichnet. Auch unsere Chefinnen sitzen gleichberechtigt an den grossen Tischen, die in Vierergruppen auf der gesamten ­Etage verteilt sind. Denn die Abbildung einer Hierarchie ist nicht mehr State of the Art. 

Mit Tisch, Zwischenregal und Rückenregal gibt es verschieden hohe Flächen, die zur Bewegung und zum Arbeiten im Stehen stimulieren, ohne dass dafür verstellbare Möbel nötig wären. Die qualitätvollen Stahlregale in fröhlichem Schwarz hat der Tessiner Hersteller Sara nach eingehender Beratung auf unsere Wünsche hin zusammengestellt. Es ist bekanntermassen eine der schwersten Übungen, Möbel zu finden, die sich selbstverständlich und unaufgeregt in die Architektur einbetten – in diesem Fall ist das gelungen. 

Ergänzend dazu sind nah zu jeder Tischgruppe gemütliche Sessel mit abschirmenden Umrandungen platziert, an denen ungestört telefoniert werden kann. Teils sind sie mit einem Tablar ausgestattet, das unterseitig Stauraum und die Möglichkeit der Verkabelung bietet. Im Stillen wird eher mit der Einrichtung einer Minibar geliebäugelt. 

Das Herz der Redaktion ist ganz klassisch eine grosse Tafel: Hier kommen am «heiligen Mittwoch» alle Redaktionsmitglieder zur Sitzung zusammmen. Wer zu dem Termin fehlt, verpasst die kritische Vor- und Rückschau, verpasst die Chance, sich in Pläne und Ideen einzumischen. Zu anderen Zeiten wird hier die Tagespresse studiert, gegessen und gefeiert. Entsprechend der wichtigen Be­deutung dieses Orts steht der Tisch an zentraler Stelle in der Etage. 

Bändigung der Schallwellen

Die grösste Unbekannte bei der Planung stellte die Akustik dar. Der vorhandene Teppichboden wurde durch Linoleum ersetzt, sodass alle Oberflächen glatt und damit gefährlich schallreflektierend sind. Um eine angenehme Geräuschkulisse zu erreichen, verlaufen auf sechs Achsen, die senkrecht zu den Aussenwänden stehen, raumhohe, akustisch wirksame Vorhänge. Meistens sind sie in einem leichten Abstand vor bestehenden Zwischenwänden posi­tioniert. Auf diese Weise wird der Eindruck der Weite des Raums kaum beeinträchtigt. Jeweils zwei Tischgruppen können schalltechnisch von ihrer Umgebung entkoppelt werden. 

Ankerplatz und Tankstelle

Die Bibliothek mit Sofa und Tisch, nicht weit von der Küche, ist ein alternativer Ort ausserhalb der klassischen Schreibtischplätze. Die Qualität dieses Bereichs ist die Ruhe und seine relativ statische Gestalt. Er bietet sich damit auch für Erholung und das Abstandnehmen vom Tagesgeschäft an, ob in Gesellschaft oder allein mit einem Buch. Abgeschlossene Besprechungsräume bilden das gänzlich diskrete Ende der Auswahl an Arbeitssituationen innerhalb des Büros. Wohlgemerkt: innerhalb. Denn die neue urbane Um­gebung bietet einen bunten Strauss an Cafés und Plätzen, die auch zu unserem erweiterten Büro zu zählen sind. Mit der Erkenntnis, dass Arbeitsplätze nicht unbedingt als solche geschaffen sein müssen, wird der Blick für unkonventionelle Orte geschärft, die sich eignen könnten. 

Dieses Angebot an unterschiedlichen Situationen hat massgeblichen Einfluss auf die Ergonomie. Abwechslungsreiche Haltungen, klimatische Bedingungen und das Einbinden von Wegen sind die Parameter, die das körperliche Wohlbefinden bestimmen. Damit wäre in Sachen Gesundheit ein Vorschlag auf dem Tisch, der dem Kollegium ein Experi­mentierfeld eröffnet. Zur Erfüllung des zweiten Wunschs, einer stimmig gestalteten Umgebung, bestehen beste Voraussetzungen. Kühle Sixties-Ästhetik prägt die Innenräume und braucht wenig Verstärkung. Die grösste Kunst besteht in der Er­haltung der frei flottierenden Lufträume und Sicht­bezüge. Die wenigen Regale, die wir uns noch erlauben, sowie die Tische und Stühle sind von zurückhaltender Gestalt. Sanftfarbiges Linoleum am Boden und auf den Arbeitsflächen verströmt einen sympathischen Duft und passt nahtlos in den Bestand. Ein paar würdig gealterte Holzmöbel aus der Historie unserer immerhin über 140-jährigen Zeitschrift brechen den kühlen Farbkanon. Auch Sessel und Vorhänge in zarten Tönen transportieren eine angenehme Wärme. Es besteht die Gefahr, dass die Zahl der Überstunden unkontrolliert wuchert. 

Nach allen Entwicklungsschritten von der vorgefundenen Etage bis zum Open-Space-Büro wird deutlich, dass die Firmenkultur durch jede/n Einzelne/n der Redaktionen und des Verlags ­ver­körpert wird. Die Umgebung bietet den Individuen nurmehr Raum, sich darin abzubilden. Im besten Fall ergeben Autonomie und Gruppendynamik dann eine Atmosphäre, die so anregend, beweglich und vielfältig ist wie das Team selbst – einschliesslich all seiner Mängel und Vorzüge.


Folgende Firmen haben uns bei der Ausstattung der neuen Büroräume unterstützt:

Vitra, Birsfelden BL
Bürostühle «Physix»
Sofas und Loveseats «Alcove»
Sessel «Slow chair»

Sara, Tenero TI
Regale und Sideboards «King» auf Mass

Faust Linoleum, Murnau (D)
Tischplatten auf Mass und Untergestelle

Création Baumann, Langenthal BE
Vorhänge «Tony» und «Sinfonia»

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