«Ei­gen­tum stellt uns vor Fra­gen, die über den ei­ge­nen Gar­ten­zaun hin­aus­ge­hen»

Am 9. Februar 2025 stimmen wir über die Umweltverantwortungsinitiative ab. Im Podcast von Countdown 2030 mit Sarah Barth und Jérôme Glaser spricht Kathy Steiner, Geschäftsleiterin von Casafair Schweiz, über deren Forderungen und die Folgen für Zusammenleben, Bauen und Planen.

Publikationsdatum
20-01-2025

Als eine der Ersten absolvierte Kathy Steiner Anfang der 1990er-Jahre an der ETH Zürich den damals neuen Studiengang Umweltnaturwissenschaften. Danach baute sie an der Universität Zürich das Kompetenzzentrum Gender Studies mit auf, war Parteisekretärin der Grünen Zürich und als Kantonsrätin politisch aktiv. Heute engagiert sie sich in der Bau- und Immobilienbranche als Geschäftsleiterin von Casafair, dem Verband für umweltbewusste und faire Wohneigentümer:innen.

➔ Dieses Interview beruht auf der zweiten Folge des gleichnamigen Podcasts von ‹Countdown 2030›. Hören kann man ihn via Apple oder Spotify.


Sarah Barth: Im Februar 2023 wurde die Initiative «Für eine verantwortungsvolle Wirtschaft innerhalb planetarer Grenzen» der Jungen Grünen eingereicht. Die sogenannte «Umweltverantwortungsinitiative» fordert, dass die wirtschaftliche Tätigkeit nur so viele Ressourcen verbraucht und Schadstoffe freisetzt, dass die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben. Das klingt eigentlich selbstverständlich. Unterstützt Casafair deshalb die Initiviative?

Die Initiative betont, dass wir alle gemeinsam dafür verantwortlich sind, die planetaren Grenzen einzuhalten. Das müsste tatsächlich selbstverständlich sein. Uns überzeugt darüber hinaus aber vor allem auch, dass die Initiative ganzheitlich denkt. Sie betrachtet die Erde als ein zusammenhängendes System, und das ist richtig: Wir können uns nicht mehr nur um einzelne Aspekte wie den Klimawandel oder die Biodiversität kümmern. 


Sarah Barth: Die Initiative fordert auch die Sozialverträglichkeit der Massnahmen. Casafair vertritt Eigentümer:innen, also Personen aus dem oberen Mittelstand, die mindestens eine Liegenschaft besitzen. Sind eure Mitglieder besonders in der Verantwortung?

Im deutschen Grundgesetz steht, dass Eigentum gegenüber der Allgemeinheit verpflichtet. Diesem Grundsatz folgen wir. Eigentum ist in erster Linie Bodenbesitz und stellt Fragen, die weit über den eigenen Gartenzaun hinausgehen: Wie gehe ich mit meinem Eigentum um? Wie verfüge ich über den Boden? Welche Auswirkungen hat das auf die Gesellschaft? Eigentum hängt eng mit Fragen der Sozialverträglichkeit und der Raumplanung zusammen. Wie ich mit Eigentum umgehe, hat Einfluss auf die gesamte Gesellschaft.


Sarah Barth: Die Übergangsbestimmungen der Initiative würden Bund und Kantone verpflichten, dass die durch den Konsum in der Schweiz verursachte Umweltbelastung innert zehn Jahren die planetaren Grenzen, gemessen am Bevölkerungsanteil der Schweiz, nicht mehr überschreitet. Dies gilt namentlich in den Bereichen Klimaveränderung, Biodiversitätsverlust, Wasserverbrauch, Bodennutzung sowie Stickstoff- und Phosphoreintrag. Mal ganz grundsätzlich: Was sind planetare Grenzen überhaupt?

Das System der planetaren Grenzen haben Wissenschaftler:innen 2009 entwickelt und aktualisieren es seither laufend. Bis heute wurden neun Grenzen definiert. Ein Beispiel ist die Landnutzungsänderung. Wie viel Land können wir weltweit nutzen, zum Beispiel für die Landwirtschaft, ohne der Biodiversität irreversibel zu schaden? Auch in weiteren Bereichen gibt es solche Belastungsgrenzen, zum Beispiel beim Klimawandel oder bei der Versauerung der Ozeane. Wenn wir diese Grenzen überschreiten, kann sich das System Erde nicht mehr regenerieren. Zusätzlich gibt es Wechselwirkungen zwischen den planetaren Grenzen. Jede Grenze hat Auswirkungen auf andere Bereiche. Steigt zum Beispiel die CO2-Konzentration in der Atmosphäre, beeinflusst das die Ozeanversauerung. Denn je mehr CO2 in der Luft ist, desto saurer wird das Wasser. Diese ganzheitliche Betrachtung überzeugt mich. 


Sarah Barth: Bekannter als die planetaren Grenzen ist der Begriff des ökologischen Fussabdrucks. Wie unterscheiden sich die Konzepte? 

Der Fussabdruck fokussiert auf den Verbrauch, ohne ihn in Relation mit dem zu setzen, was die Erde erträgt. Er unterscheidet nicht zwischen unterschiedlichen Themen und gibt keine Auskunft darüber, in welchen Bereichen man gut dasteht und wo es noch Verbesserungen braucht. Er bezieht sich stark auf die individuelle Ebene. Doch als Individuum kann ich nur konsumieren, was mir als Konsumgut angeboten wird, meinen Fussabdruck also nur begrenzt beeinflussen. Folgen wir hingegen der Idee der planetaren Grenzen, dürften zum Beispiel einige Produkte gar nicht mehr hergestellt werden. Die Verantwortung rückt damit weg vom Individuum, hin zu Produktion, Wirtschaft und Politik.


Sarah Barth: Welche planetaren Grenzen sind für die Immobilienbranche besonders relevant?

Sicherlich der Klimawandel, darauf haben die Baustoffe einen grossen Einfluss. Daneben ist die Landnutzung zentral. Die starke Zersiedelung der Schweiz und die Bautätigkeit hängen dabei zusammen. Wir müssen beispielsweise darüber nachdenken, wie wir im Zuge der Verdichtung mit bestehenden Bauten umgehen. Unsere Mitglieder bauen selten neu, sondern fragen sich zuerst, wie sie ihre Häuser zukunftsfähig machen können.


Sarah Barth: Mit der Landnutzung und Zersiedelung sprichst du ein zentrales Thema an. Für welche Lösungen setzt ihr euch ein?

Wichtig ist die Raumplanung. Das ist ein politischer Prozess, an dem wir unter anderem durch Vernehmlassungen teilnehmen. Auf individueller Ebene ist der Wohnflächenverbrauch zentral. Dieser lässt sich weniger über Planungsinstrumente steuern, sondern hat viel mit Verhalten zu tun. Regulierungen im Eigentum sind sehr schwierig. Trotzdem ermutigen wir unsere Mitglieder, weniger Fläche zu verbrauchen.


Jérôme Glaser: Wie macht ihr das konkret? Viele Menschen, die Wohneigentum haben, besitzen ein Einfamilienhaus. Statistisch gesehen braucht diese Bevölkerungsgruppe überdurchschnittlich viel Wohnraum, besonders im Alter.

Tatsächlich besitzen die meisten unserer Mitglieder ein bis zwei Wohneinheiten. Das Thema Wohnflächenverbrauch beschäftigt viele von ihnen. Zum einen versuchen wir, Lösungen für eine dichtere Nutzung aufzuzeigen. Der Verein ‹MetamorpHouse› zeigt beispielsweise, wie aus einem Einfamilienhaus diverser Wohnraum entstehen kann. 

Daneben regen wir unsere Mitglieder an, frühzeitig darüber nachzudenken, wie sie im Alter wohnen wollen und das Nötige konkret zu planen. Das ist ein emotionales Thema. Die Menschen haben lange an einem Ort gewohnt, haben den Garten gestaltet oder Bäume gepflanzt. Mit Weiterbildungen unterstützen wir unsere Mitglieder bei diesen schwierigen Entscheidungen. Wir glauben an positive Alternativen statt Verbote. So sollten zum Beispiel Gemeinden mit attraktiven Alterswohnungen Anreize schaffen, frühzeitig die Wohnfläche zu reduzieren.


Jérôme Glaser: Diese Themen sind zentral für das nachhaltige Bauen, das ihr in eurem Leitbild als Kernthema definiert. Wo siehst du den grössten Hebel, um die ökologische Nachhaltigkeit in der Baubranche zu verbessern?

Potenzial sehe ich bei den Baustoffen. Die Entscheidung, ob ich mein Haus aus Beton oder aus nachwachsenden Rohstoffen baue, ist zentral. Neben der Materialwahl ist die Kreislaufwirtschaft ein grosser Hebel. Besonders die Bestandsbauten verdienen Beachtung. Auf einen Schlag alles neu und besser zu machen, ist keine gute Strategie. Wir müssen auch aus nicht optimalen Gebäuden das Bestmögliche herausholen.


Jérôme Glaser: Du siehst grosses Potenzial im Bestand, vorhin haben wir über die Verdichtung gesprochen. Das führt immer wieder zu Zielkonflikten. Wie können wir damit umgehen?

Es ist wichtig, das Gesamtbild im Blick zu haben. Wo kann ich verdichten, in welchem Quartier? In Zürich gibt es die Initiative «Mehr Wohnraum durch Aufstockung», die vorschlägt, dass alle bestehenden Bauten um ein Geschoss aufgestockt werden können. Das klingt auf den ersten Blick gut. Doch sobald man über die reine Verdichtung hinausschaut, zeigen sich die Nachteile. Letztlich funktioniert Verdichtung nur, wenn sie auch Biodiversität und Sozialstrukturen mitdenkt. Nur wenn dieses Bewusstsein auf allen Seiten vorhanden ist, lassen sich kluge Abwägungen machen. Die Politik kann den Weg bereiten, die Eigentümer:innen müssen offen sein, und die Planenden brauchen die nötige Kompetenz. 


Jérôme Glaser: In eurem Leitbild beschreibt ihr Nachhaltigkeits-Standards, die erfüllt werden müssen. An welche Standards denkst du als erstes?

Die gängigsten Standards, wie zum Beispiel Minergie, fokussieren auf die Betriebsenergie. Dieser Fokus zeigt sich auch in unserem Leitbild von 2017. Heute arbeitet die SIA an ihrem Aktionsplan Klima, Energie und Ressourcen. Damit kommen wir von den fixen Normen weg, hin zu Absenkpfaden, die sich an neue Technologien anpassen lassen. Diese Entwicklung unterstützen wir. Heute würden wir eher Absenkpfade ins Leitbild übernehmen. Trotzdem waren Standards und Zertifikate wichtig, um ein Bewusstsein für das Thema zu schaffen. 


Jérôme Glaser:: Was unterscheidet euer Modell von der Berechnung der Kostenmiete, wie sie das Bundesamt für Wohnungswesen für Genossenschaften herausgibt?

Unser Modell lehnt sich daran an. Die leichten Unterschiede kommen daher, dass die Erwerbssituation für Private eine andere ist als für Genossenschaften. Beide Modelle berücksichtigen die effektiven Kosten und die Rückstellung für künftige Investitionen.


Sarah Barth: Ein grosser Kostentreiber sind die Bodenpreise. Inwieweit rechnet ihr diese ein?

Wir rechnen mit dem Bodenpreis, der beim Kauf bezahlt wurde und nicht mit dem steigenden Bodenwert. Das verhindert, bei jedem Mieterwechsel die Miete zu erhöhen.


Jérôme Glaser: Welche Möglichkeiten seht ihr, um bei Handänderungen solche Mieterhöhungen zu verhindern?

Wir befürworten ein Vorkaufsrecht von Gemeinden, um Boden der Spekulation zu entziehen. Die Gemeinde kann den Boden danach zum Beispiel im Baurecht vergeben. Im Moment geht die Entwicklung aber in eine ganz andere Richtung. Das ist ein grosses Problem. Wir sehen auch unsere Mitglieder in der Verantwortung. Sie können entscheiden, an wen sie vererben oder verkaufen und zu welchen Konditionen. Private könnten zu einem fairen Preis an eine Stiftung oder an die öffentliche Hand verkaufen, statt an die Höchstbietenden.


Sarah Barth: Arbeitet ihr aktiv mit Stiftungen zusammen? Kommen Mitglieder auf euch zu, wenn sie beispielsweise keine Erben haben? Besitzt ihr als Verband selbst Liegenschaften?

Unsere Mitglieder fragten uns immer wieder, warum wir selbst keine Liegenschaften besitzen. Vor zwei Jahren wurde deshalb die ‹Fondation Casafair› gegründet. Die Stiftung hat zum Ziel, zu tiefen Preisen Liegenschaften zu erwerben und diese auch im Sinne von Casafair zu bewirtschaften und zu vermieten. Zudem arbeiten wir mit Pro Natura zusammen, wenn sie Immobilien-Legate bekommen.


Sarah Barth: Unsere Abschlussfrage bringt uns zur Umweltverantwortungsinitiative zurück. Warum empfiehlst Du euren Mitgliedern, ein JA in die Urne zu legen?

Unsere Generation ist verantwortlich für das, was in den nächsten Jahren passiert. Wir können die vielen Probleme nicht mehr der nächsten Generation überlassen, sondern müssen heute Richtungsentscheide treffen. Als Casafair vertreten wir die Stimme der Eigentümerinnen und Eigentümer die bereit sind, diese Verantwortung zu übernehmen. Wir stehen dafür ein, diesen wichtigen Schritt vorwärts zu gehen.

«Countdown 2030» ist eine Gemeinschaft von Bauschaffenden, die die Dringlichkeit der Klima- und Biodiversitätskrise ins Zentrum ihres Aktivismus setzen und an einer zukunftsfähigen Baukultur arbeiten. In ihrem Podcast, der jeweils vor aktuellen Abstimmungen erscheint, laden die Mitglieder jeweils Vertreter:innen aus Wissenschaft, Politik, Verbänden und Behörden zum Gespräch.

 

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