Raumplanungsvollzug: viele Fragen offen
Juristen plädieren für eine strenge Auslegung des Verdichtungsauftrags
Das revidierte Raumplanungsgesetz soll die Zersiedlung endlich stoppen und neue Bauzonen sogar verbieten. Viele Kantone und Gemeinden haben aber noch nicht entschieden, wie streng sie den Vollzug tatsächlich organisieren. Zu befürchten ist, dass die Gerichte bei der Begrenzung des Siedlungswachstums mitreden müssen.
Am 22. Juni 1979 hat die Schweiz ihre räumliche Entwicklung geordnet: Das nationale Raumplanungsgesetz hat damals das Bau- vom Nichtbaugebiet abgetrennt; seither sind Überbauungen prinzipiell nur noch auf eingezonten Flächen erlaubt. Neuerdings wird das Gesetz aber verdächtigt, ein zahnloser Papiertiger zu sein: Die Siedlungsfläche ist weiter ungebremst gewachsen und hat unkoordinierte Konturen in der Landschaft hinterlassen. Der Unmut darüber hat den nächsten Ordnungsstreich provoziert: Das Stimmvolk sagte am 3. März 2013 ja zu einer Gesetzesrevision, damit der Bodenverbrauch endlich haushälterischer zu regulieren ist.
Tatsächlich sind nun die Hoffnungen auf ein kontrolliertes Siedlungswachstum gestiegen und auch darauf, dass das Wachstum in die Fläche durch eine bauliche Verdichtung abgelöst wird. Am Kongress «Innenentwicklung und Recht» der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung (VLP-ASPAN) wurde sogar das Plädoyer vertreten, dass gar keine zusätzlichen Bauzonen mehr gestattet sind. Die referierenden Juristen und Planungsfachleute waren sich einig, dass Raumplanung mit Innenentwicklung gleichzusetzen und die Zeit der räumlichen Kompromisse abgelaufen ist. Trotzdem bleiben gewichtige Grundsatzfragen ungeklärt, wie die nächste Zonenplan-Generation zu entwickeln ist: Unter welchen Umständen dürfen Bauzonen weiterhin ausgeschieden werden? Wie lassen sich Grundeigentümer dazu verleiten, verfügbare Landreserven schneller frei zu geben? Oder welcher Weg ist zu wählen, um überflüssige Bauflächen aus dem Zonenplan zu entfernen?
Einhellig zeigte der VLP-Kongress zumindest, wie viele Hürden im Vollzug der neuen Rechtsgrundlagen warten. Der praktische Alltag in der Raumplanung ist nämlich föderalistisch organisiert. Wie weit der Siedlungsraum auszudehnen ist, liegt auch im Ermessen kantonaler und kommunaler Behörden. Damit diese ihre Hausaufgaben gesetzeskonform lösen, hat der Bund ein temporäres Einzonungs-Moratorium festgesetzt. Der emeritierte ETH-Rechtsprofessor Alexander Ruch hofft jedoch, dass eine Einzonung von Bauland auch langfristig zur Ausnahme wird.
Wie sehr machen die Gemeinden mit?
Juristisch lassen sich die neuen RPG-Bestimmungen durchaus streng interpretieren. Doch der Paradigmenwechsel gelinge nur, wenn auch die unterste Vollzugsebene von der Innenentwicklung überzeugt werden kann: Zum einen muss es den Gemeinden gelingen, die Reserven innerhalb der bestehenden Bauzonenfläche zu mobilisieren. Zum anderen sind Eigentümer verstärkt einzubeziehen, damit das Horten von Bauland verhindert werden kann. Zwar setzt das Bundesgesetz eine Überbauungsfrist; doch ohne Support der Kantone, eine Sanktionierung in den eigenen Rechtsgrundlagen einzuführen, dürfte diese Verdichtungsvariante blockiert sein, so der Juristentenor.
20 Prozent zu wenig
Dem Willen des Bundes droht auch beim Mehrwertausgleich eine Schwächung. Das revidierte Gesetz erlaubt, bei Ein- oder Umzonung mindestens 20 Prozent des Mehrwerts abzuschöpfen. Alt-Bundesrichter Heinz Aemisegger und Etienne Poltier, Rechtsprofessor an der Universität Lausanne, kritisierten am VLP-Anlass allerdings den Kantönligeist, weil die Mehrwertabgabe von vielen als «heisses Eisen» gescheut und trotz geltendem Recht oft nicht eingesetzt worden sei. Da aber finanzielle Mittel für eine Rückzonung von überdimensioniertem Bauland benötigt würden, brauche es sogar eine höhere Abgabequote.
Allerdings sind sich selbst die Juristen nicht einig, ob ein Eigentümer bei Rückzonung von Bauland auf Entschädigung hoffen darf. Enrico Riva, emeritierter Professor für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Basel, präsentierte eine Liste von Gerichtsentscheiden, bei denen solche Forderungen samt und sonders abgewiesen wurden. Denn Gemeinden, die zu viele Bauzonen für die nächsten 15 Jahre besitzen, befinden sich gemäss Riva in einem «nicht rechtskonformen Zustand». Die überdimensionierte Zonenausscheidung sei als «Nicht-Einzonung» ohne Entschädigungspflicht zu werten.
Auf einige Gemeinden wartet daher ein paradoxes Verdikt: So kann die gerichtliche Überprüfung einer Bauzonen-Redimensionierung ergeben, dass der Zonenplan rechtlich ungültig ist. Dennoch ist die einzige Konsequenz daraus: Die Rückzonung wird für die Planungsbehörde finanziell folgenlos bleiben.