Im Schnitt­punkt von In­dus­trie­are­al und grü­nem Lim­mat­raum

Römerstrasse, Baden

Beim Umbau vier provisorischer Bürobauten aus den 1960er-Jahren wurde Wohnraum geschaffen und graue Energie erhalten. Eine kluge Aussenraum­gestal­tung mit Enfilade im Erdgeschoss verbindet die vier Solitäre zu einer Einheit.

Publikationsdatum
04-12-2024

1891 wurde in Baden die Brown, Boveri & Cie, die Vorgängerin der heutigen ABB, gegründet. Das weitläufige Industrieareal westlich des Bahnhofs und die Villa Langmatt sind Zeugen dieser Zeit. Noch weiter zurück, bis in die Römerzeit, reicht die Geschichte der heissen Quellen, die dem Ort am Limmatknie den Namen gaben. Rund zehn Fussminuten vom Bahnhof Baden entfernt, an der Römerstrasse, erstellte die damalige BBC Anfang der 1960er-Jahre in Nachbarschaft zu den Villen der Gründer und nur durch die Bahnlinie vom Industrieareal getrennt, vier Büropavillons. 

Zunächst dreigeschossig gebaut, wurden diese nach kurzer Zeit um ein viertes Stockwerk ergänzt. Da die vier Bauten, die sich als einfache, rechteckige Volumen am bewaldeten Steilhang zur Limmat hin aufreihten, als Provisorien gedacht waren, verfügten sie über eine Betonstruktur mit Rippendecken, die äusserst minimal bemessen war. 

Im offenen Erdgeschoss lagen die Parkplätze der Mitarbeitenden. Von dort gelangten diese über vier jeweils im Süden angedockte Treppentürme in die einzelnen Geschosse. Aufgrund der Tragstruktur mit Stützen entlang der Fassaden und vier mittigen Pfeilern waren die Grundrisse frei einteilbar.

Statische Herausforderung

Die Entwicklung der ehemaligen Bürobauten des Technologiekonzerns zu Wohnungen startete 2010 nach dem Kauf der Pavillons durch die SGI Schweizerische Gesellschaft für Immobilien, eine Tochtergesellschaft der Intershop Holding. Michael Meier und Marius Hug Architekten entschieden den von der SGI im Rahmen eines Gestaltungsplans ausgeschriebenen Wettbewerb für sich.

Gefragt waren sowohl Szenarien zur Umnutzung als auch für einen Ersatzneubau. Für die Erneuerung der bestehenden Bausubstanz sprachen die Lage der Bauten direkt an der bewaldeten Hangkante mit wunderbarem Blick in den Limmatraum, was bei einem Neubau aufgrund des Waldabstands nicht mehr möglich gewesen wäre, die gute Raumhöhe sowie die Erhaltung von grauer Energie, die bei einem Rückbau verloren gegangen wäre. 

Dieser Artikel ist erschienen im Sonderheft Immobilien und Energie «Metamorphose: Aus Büros werden Wohnungen». Weitere Beiträge zum Thema finden Sie in unserem digitalen Dossier. 

Statisch war der Umbau aufgrund der minimal bemessenen Tragstruktur der Bestandsbauten ein Kraftakt. Trotzdem gelang es, die filigrane Bürostruktur in 78 Eigentumswohnungen umzunutzen. Dafür wurden die vier südlichen Treppentürme abgerissen und die Treppen in die Mitte der Gebäude verlegt, wo sie auch zur Aussteifung dienen. Mit dem Vorteil, dass sich ein Teil der Wohnungen nun Richtung Süden orientiert und von der Helligkeit und den solaren Wärmegewinnen profitiert. 

Die dünnen Rippendecken verstärkte man zusätzlich mit Beton, neue tragende Wände und Stützen im Innern kamen dazu. Das klingt aufwendig, aber da die Tragstruktur rund ein Drittel der Treibhausgasemissionen eines Gebäudes ausmacht, ist der Erhalt des Tragwerks sogar dann noch sinnvoll, wenn es nachträglich verstärkt werden muss.

Aussenraumgestaltung als verbindendes Element

Die eigentliche räumliche Erfindung des Projekts, eine aufgrund des Terrains langsam abfallende Enfilade als eine Art «Sotoportego», wie man sie aus Venedig kennt, präsentiert sich heute, als ob sie schon immer da gewesen wäre. Dafür schloss man die bisher offenen Erdgeschossflächen und verlegte die Stellplätze ein Geschoss tiefer in eine Parkgarage, die sich spektakulär zum grünen Limmatraum öffnet. 

Entstanden ist so eine zentrale, öffentliche Durchwegung im Erdgeschoss, die die einzelnen Volumen wie eine Art Rückgrat verbindet und im Bereich der Eingänge zu den Treppenhäusern grosszügige, gedeckte Räume anbietet. Die ursprüngliche Struktur mit den grossen mittigen Stützen und den Deckenfeldern ist hier noch ablesbar und die glänzend gestrichenen Decken spiegeln je nach Lichteinfall die Farbigkeit der Bepflanzung der angrenzenden Zwischenräume. 

Die Bereiche zwischen den Bauten schaffen gleichzeitig eine Orientierung Richtung Limmat und Wald sowie zur Böschung und zum einstigen Industrieareal. Die von Müller Illien Landschaftsarchitekten entworfene Gestaltung dieser Räume spielt für die Qualität des Orts eine zentrale Rolle. Die Bepflanzung der einzelnen Zwischenräume variiert und gibt diesen einen jeweils eigenen Charakter. 

Die Grosssträucher, mit einer Staudenunterpflanzung aus einheimischen und nicht heimischen Pflanzen kombiniert, schützen die privaten Aussenräume der Erdgeschosswohnungen vor Blicken von oben. Gleichzeitig verbinden die üppig begrünten Zwischenräume die Böschung zur Strasse mit dem bewaldeten Limmatraum. Neben Wohnungen gibt es im Erdgeschoss der beiden äusseren Gebäude auch zwei für die Gemeinschaft nutzbare Bereiche.

Formal und haptisch überzeugend, energetisch optimiert

Mit einer Aufstockung um ein weiteres Geschoss verfügen die Bauten heute über ein Attikageschoss mit grossräumigen Terrassen. Die Wohnungen in den übrigen Geschossen sind mittig jeweils zweiseitig auf die Zwischenräume ausgerichtet oder orientieren sich Richtung Süden und Stadt oder Norden und Limmatraum. Zweigeschossige Räume bringen Licht in die Erdgeschosswohnungen. 

Das Thema der Enfilade setzt sich in den grosszügigen Wohnräumen fort und auch die statisch notwendigen Eingriffe an der betonierten Rippendecke zeigen sich in Form massiver, raumgliedernder Stützen und Wohnungstrennwänden. Die statischen Eingriffe waren zwar gross, aber im Vergleich zu einem kompletten Rückbau konnte viel graue Energie erhalten bleiben. Zudem wurde die Betriebsenergie durch die energetische Sanierung und den Einsatz von Photovoltaik auf dem Dach gegenüber der früheren Büronutzung markant gesenkt. 

Die bestehende Struktur mit den Stützen an der Fassade zeigt sich aussen in der feingliedrigen Einteilung der bandartigen Fenster aus Aluminium, die von den eingeschriebenen Loggien mit grossflächigen Fenstern unterbrochen werden. Eine leicht nach aussen gestellte Verkleidung aus Faserzement unterstreicht die Schichtung der ehemaligen Bürogeschosse, wobei der textile Sonnenschutz in einem dunklen Weinrot diese Wirkung bricht und die Volumen trotz ihres industriellen Charakters als Wohnbauten erkennbar macht. Mit dieser doppelten Charakteristik bilden die erneuerten Baukörper eine Art gestalterisches Scharnier zwischen dem Bäder- und dem Industriequartier.

Dieser Artikel ist erschienen im Sonderheft Immobilien und Energie «Metamorphose: Aus Büros werden Wohnungen». Weitere Beiträge zum Thema finden Sie in unserem digitalen Dossier. 

Römerstrasse, Baden


Bauherrschaft
Schweizerische Gesellschaft für Immobilien (Intershop Holding), Zürich


Architektur
Michael Meier und Marius Hug Architekten, Zürich

Tragkonstruktion
Construktur, Baden


HLKS-Planung: 
Concept-G, Winterthur


Bauphysik: 
Durable Planung und Beratung, Zürich


Landschaftsarchitektur
Müller Illien Landschaftsarchitekten, Zürich


Energieversorgung
Fernwärme


Transformation
2018–2023


Label
Minergie

Auszeichnung
best architects 24 award in gold

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