Sa­ga Le Cor­bu­si­er

Publikationsdatum
26-07-2021

Das Leben des Charles-Édouard Jeanneret, genannt Le Corbusier, ist hinlänglich dokumentiert – nicht zuletzt in seinen eigenen Schriften: Der Architekt, Künstler, Designer, Stadtplaner, Dichter und Theore­tiker war schliesslich auch ein guter Propagandist in eigener Sache. Ebenso ausführlich erforscht ist sein Werk, das heute in Teilen zum Unesco-Weltkulturerbe zählt. Was also kann ein weiteres Buch über ­Le Corbusier zum Verständnis der mythischen Figur beitragen?

Der Westschweizer Schriftsteller Nicolas Verdan wagt mit seinem Roman «Saga Le Corbusier» eine ungewohnte, irritierende, aber auch berührende Annäherung an den Meister. Das Buch beginnt dort, wo das Leben des Le Corbusier endet: an jenem Morgen des 27. August 1965, als er an der Côte d’Azur zum Schwimmen ins Meer steigt und ertrinkt. Während der alte Mann um Luft ringt, zieht sein Leben noch einmal an ihm vorbei, zersplittert in einem Tumult von Bildern, Gefühlen, Eindrücken und Zeitsprüngen.

Die Ereignisse, die diesen Erinnerungsfluss rhythmisieren, sind real; das Buch basiert auf einer gründlichen Recherche. Alles andere ist Literatur. Die Rückblenden ergeben sich assoziativ über Sinneseindrücke – gleissendes Sonnenlicht, Farben, das Gewicht eines Steins – und über Gefühle.

Erstere sind in einer packenden Sprache skizziert, wenige Worte evozieren Welten. Letztere, die Gefühle, sind Interpretationen des Autors. Daraus macht er keinen Hehl: In jedem Satz grenzt er sich von seinem Protagonisten ab, indem er ihn per höf‌lichem «Sie» an­redet. Die Geschichte wird nicht aus Le Corbusiers Perspektive erzählt, sondern aus der eines Beobachters, der begleitet und kommentiert: «Sie spüren ein Kribbeln in den Beinen. Sie können nicht mehr weiterarbeiten. Das Licht im Atelier ist zu grell.»

Diese Distanz zwischen dem Autor und Le Corbusier – und somit auch der Leserin – entwickelt während der Lektüre ein Eigenleben: Bei der Andeutung intimer Regungen ist sie fast verschwunden, der verletzliche Mensch hinter der Saga wirkt ganz nah, und man ist versucht, sich mit ihm zu identifizieren; dann wieder, etwa wenn Le Corbusiers politischer Opportunismus aufscheint, ist man froh um die nüchterne Distanz.

Wer war Le Corbusier? Auch dieses Buch wird die Frage nicht beantworten. Doch es zeichnet ein bemerkenswert lebendiges Porträt eines zwiespältigen Menschen – ­sensibel, fantasiereich, inspiriert, aber auch zielgerichtet, autoritär und einsam.

So tief er sinnliche Phänomene empfand, so schemenhaft nahm er Menschen zur Kenntnis. Ob dieses Bild dem realen Le Corbusier entspricht oder nicht – es geht unter die Haut.

Nicolas Verdan: Saga Le Corbusier. Roman, aus dem Französischen von Bernadette Fülscher. Editions Parallèles, Biel 2020. 160 Seiten, Klappenbroschur mit Fadenheftung, ohne Abb., 12 × 21 cm, ISBN 978-3-9525011-1-5, 24.– Fr.

 

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