Schön wild
ILF-Tagung 2015 zum Thema «Biodiversität und Gestaltung»
Nicht ganz einfach, alle Natur- und Gartenvorstellungen unter einen Hut zu bringen. Das Institut für Landschaft und Freiraum ILF der Hochschule für Technik in Rapperswil HSR hat es an seiner diesjährigen Jahrestagung versucht.
Die Diskussion erschöpft sich dabei nicht im Gegensatz von Geordnetem und Wilden, wie Anja Löbbecke (Löbbecke Gartenkonzepte) bereits am Vormittag aufzeigte: Wildnis selbst ist auch nicht gleich Wildnis. Die rund 150-jährige Ideengeschichte des Naturgartenkonzepts nachzeichnend, unterschied sie zwischen drei grundsätzlichen Verständnissen von Natur und Garten. Einem wissenschaftlichen einerseits, das Sukzessionsprozesse und Pflanzengesellschaften passiv beobachtet und möglichst nicht in die natürlichen Abläufe der Verwilderung eingreift.
Zweitens einer künstlerisch-ästhetischen Haltung, die Wildnis bewusst inszeniert und drittens einer naturschützerisch-pädagogischen, die eine erwünschte Flora und Fauna mehr oder weniger aufwendig herbeipflegt. Natur- und Gartenverständnis seien dabei untrennbar mit dem kulturellen Kontext verwoben, die Ziele und normativen Vorstellungen immer auch Kinder des Zeitgeistes.
André Stapfer (ILF HSR) knüpfte an mit der Beobachtung, dass Ökologie im Garten bis anhin viel zu oft ein privates Vergnügen sei, das sich im Einfamilienhausgarten abspielt. Die eigentlich hohe Biodiversität im Siedlungsgebiet sei in den letzten Jahren trotzdem rückläufig. Für mehr Breitenwirkung forderte er deshalb mehr Rezeptartiges, mehr einfach gestrickte Merkblätter.
Anja Löbbecke wies in diesem Sinne darauf hin, dass pflegeleicht und pflegeeinfach nicht dasselbe seien: Es ist für eine Mehrheit von Gartenbesitzern wie auch Gärtnern dann doch unkomplizierter, wöchentlich einen artenarmen Rasen zu mähen als einmal monatlich mit einer ordentlichen Portion Sachverstand jäten zu müssen.
Hansjörg Gadient (ILF HSR) erinnerte daran, dass die Ästhetik des Wilden dem menschlichen Bedürfnis nach Ordnung oft zuwiderläuft. Die Pflege der Umgebung ist nicht nur Verpflichtung, sondern oft auch mit Freude und Befriedigung verbunden. Einen Ausweg aus diesem Dilemma sieht er in Joan Iverson Nassauers Konzept der «messy ecosystems and orderly frames». In konventionell gepflegte Flächen werden wilde Vegetationsinseln gesetzt – dieses Nebeneinander mag vielleicht nicht der angestrebten Durchdringung von Ökologie und Gestaltung entsprechen, kann aber einen tragfähigen Kompromiss darstellen. In ähnlicher Denkweise zeigte die junge Absolventin Delizia Polli auf, dass auch mit einheimischen Gewächsen ansprechende Schnittformen möglich sind, der Kompromiss also nicht notwendigerweise ein augenfälliger sein muss.
Raymond Vogels (Raymond Vogel Landschaftsarchitekten) Frage, ob blosse Abbilder der Wildnis gestaltet oder aber nicht vielmehr Naturprozesse für die Gestaltung nutzbar gemacht werden sollten, brachte Christoph Küffer (ILF HSR) mit zwei Bildern der Masoala-Halle im Zoo auf den Punkt: Drinnen der Besuchermagnet einer höchst artifiziellen Retortenwildnis, draussen die Alltagslandschaft aus Parkplätzen, gesäumt von geschnittenen Hainbuchenhecken, so banal und steril, dass es beinahe schmerzte.
Dieses mitunter schizophren anmutende Verhältnis zur Wildnis persiflierten die Projekte von Vogt Landschaftsarchitekten bewusst oder unbewusst. Stilisiert und chiffriert wirkte die Naturerfahrung, die in den von Maren Brakebusch vorgestellten Projekten offeriert wurde. Im Park Hyatt Zürich wird ein Dachgarten auf der zweiten Etage, stark verschattet von den angrenzenden Gebäudeflügeln, mit einer Moosansaat auf Tuffstein zum Wald ohne Bäume.
Wie akademisch und exklusiv dieser Landschaftsdiskurs ist, wurde daran deutlich, wie Brakebusch jeweils erläuterte, «was die Leute sehen, was der Fachmann sieht und was Vogt Landschaftsarchitekten sehen.» Der Hausmeister, der in einem der Projekte von Vogt unermüdlich das störende Moos abkratzt, das die Landschaftsarchitekten so gerne sähen, weist dabei über das Anekdotische hinaus auf die grundlegenden Verständigungsschwierigkeiten zwischen Laien und Professionellen.
Selbstverständlich flackerte im Verlauf des Tages immer wieder die botanische Zuwanderungsdebatte auf – Stichwort Gartenflüchtlinge – die schon viel länger, aber mit derselben Emotionalität auf beiden Seiten geführt wird, wie die humane. In einer Weltregion, in der alle umgebende Natur in irgendeiner Form gestaltet, vielfach überprägt und gestört ist, nahm Matthias Krebs (Rotzler Krebs Partner) dazu eine entspannt pragmatische Haltung ein. Die Praxis der Landschaftsarchitektur bedeute schliesslich auch, subjektiv zu gewichten, Schwerpunkte zu setzen, zwischen verschiedenen Ansprüchen auszutarieren.
Und da sehe sich die Landschaftsarchitektur doch noch einigen anderen gegenüber als nur der Forderung nach Biodiversität. Die Faszination für Farbe, Lichtspiel und Textur könne auch mal zu einer kleinen Schwäche für einen flirrend-grünen Götterbaum-Bestand seitens des Landschaftsarchitekten führen – so geschehen im Landhof in Basel, wobei die Pflanzen denn auch prompt von der wohlmeinenden Stadtgärtnerei vergiftet wurden.
Glücklich zusammengefunden haben Gestaltung und Biodiversität in der Siedlung Hardegg: Hier lebt der Entwurf von Rotzler Krebs Partner vom Kontrast der kiesig-ruderalen Flächen mit den streng kreisförmigen Möblierungselementen und Schreitplatten. Dass der natürlich wirkende Bachlauf künstlich angelegt ist und erst seit kurzem wieder am Tageslicht fliesst, dass unter der Siedlung eine gesicherte Mülldeponie liegt – kann es heute überhaupt noch ein richtiges Leben geben in all dem falschen?
Es muss eines geben. Aber es besteht heute vielleicht noch mehr als früher vor allem im pragmatischen Vermitteln und Abwägen zwischen den Ansprüchen, in einer Annäherung zwischen den Welten, auf dass Abwart, Landschaftsarchitektin und Biologe dereinst gerne im selben Garten weilen.
Weitere Infos: www.ilf.hsr.ch