Park ver­sus Hof

Siedlung Unteraffoltern, Zürich

Zwei städtische Siedlungen in Zürich repräsentieren unterschiedliche Haltungen zur gemeinschaftlichen Bodennutzung und liefern den historischen Kontext zur heute wieder dringlichen Wohnfrage.

Publikationsdatum
04-02-2025

In Zürich-Affoltern entstanden im Rahmen der Gesamtplanung der Stadt in den 1960er-Jahren zwei Wohnbauprojekte: Unteraffoltern II aus dem Jahr 1970 und Unter­affoltern III aus dem Jahr 1982. Sie markieren die Schluss­phase der Moderne und die Hinwendung zu strukturalistischen Ansätzen, die mit gegensätzlichen Haltungen in der Gebäudestruktur, besonders aber im Verhältnis zum Boden zum Ausdruck kommen. 

Durch das Wachs­tum von Städten wie Zürich rückt das Thema der gemeinschaftlichen Bodennutzung aktuell wieder in den Fokus der Planenden. Im Rückblick auf den damaligen Umbruch bieten sich Erkenntnisse für die derzeitige Situation.

Abgewandelte ­Wohnmaschine

Läuft man um das Gebäudepaar Unteraffoltern II herum, fallen nicht nur die mächtigen Dimensionen der Wohnbauten, sondern auch die beachtlichen Ausmasse des Grünraums auf. Er umgibt die Gebäude und verschmilzt mit dem angrenzenden Wald. Die zwei 40 m hohen und 63 m langen Scheiben von Georges-­Pierre Dubois sollten hohe Wohnqualität im niedrigen Preissegment bieten. Sie entfalten die Ideen der Moderne, die Dubois über mehrere Jahre als Mitarbeiter bei Le Corbusier verfolgte. 

Er entwickelte den strukturellen Kern der Unité, zweigeschossige Wohn­einheiten vertikal zu ver­schach­­­­teln, weiter, modulierte die Wohnungseinheiten durch interne Halb­geschosse und schuf eine spannungsvolle räumliche Variation mit sehr hoher Wohndichte. Die Fassade wird durch die Repetition der Loggia strukturiert und partiell von kleineren Wohneinheiten durchbrochen, die sich skulptural in der Fassade abzeichnen. 

Das freie Erdgeschoss inszeniert den Grünraum, dem sich das Gebäude trotz der ­massiven Proportionen nicht in den Weg stellt. Denn die Reduktion der Grundfläche bei gleichzeitiger Steigerung der Geschosszahl ist eine wichtige Bedingung für die Stadt­utopie, die das Leben im Grünen für alle ermöglichen sollte.

Durchlässige Struktur

Hier enden in Unteraffoltern die Visionen der Moderne. Anstatt das ­Gebäudepaar ein weiteres Mal zu bauen, wie es im Richtplan festgelegt worden war, realisierte man ein ganz gegensätzliches Projekt von Zweifel + Strickler Partner. Auch wenn in Unteraffoltern III ebenso der rohe Beton als Material dominiert, entstand ein Gebäude, bei dem besonders die bauliche Struktur in Erscheinung tritt. 

Es stehen sich zwei Zeilenbauten mit abwechselnd drei und vier Geschossen gegenüber. Sie sind mit drei Passerellen verbunden, die sich auf Treppentürmen abstützen. Diese erschliessen die oberen Wohnungen und erinnern in ihrer monumentalen Geste unwillkürlich an El Lissitzkys Wolkenbügel. 

Diese imposante räumliche Struktur inszeniert die Begegnungszonen mit dem Hof als Zentrum. Er verbindet die beiden Ge­bäude und wirkt durch den Asphaltbelag eher als breite Gasse. Sie soll «städtisch und gleichzeitig intim» wirken.1 Entlang der Fassaden unterteilen die bewachsenen Pergolen die Hälfte der Fläche in private Aussenbereiche. Lediglich im mittleren Bereich ist der Hof öffentlich zugänglich. 

Gemeingut Boden

Der Vergleich der beiden Projekte zeigt: Die Stadt als Bauherrin und Vorbild hat ihre städtebauliche Haltung zwischen 1970 und 1980 grundlegend geändert. Die allgemeine Ablehnung der Moderne aufgrund der Massstabslosigkeit der Gebäude und der «kontinuierlichen Leere»2 des Stadtraums sowie eine Dekade ohne Bevölkerungszuwachs ermöglichten es, in der Planung neue Motive zu verfolgen, die die Identität und den Massstab des Individuums in der Architektur wieder thematisierten. 

Gleichzeitig trat auch die Idee des vergesellschafteten Bodens als Grundlage der Moderne in den Hintergrund. An seine Stelle rückten Privatinteressen. Diese Entwicklung spiegelt sich hier in der Bodennutzung wider. Der Grünraum breitet sich wie ein Park unter den Gebäuden von Unteraffoltern II aus, beherbergt Spiel-, Grill- und Sportplätze und steht sogar den Bewohnern aus der Umgebung zur Verfügung. Die Gasse hingegen, in ihrer Intimität für die Hausbewohner konzipiert, bietet hinsichtlich einer gemeinschaftlichen Bodennutzung kein Angebot.

Durch die zunehmende Dichte gewinnt die gemeinschaftliche Bodennutzung für die Bevölkerung der Stadt Zürich wieder an Bedeutung und sollte als Bestandteil einer strategischen Stadtentwicklung verankert werden. Denn die Ressource Boden, ob als Bauland, Park oder Verkehrs­fläche, ist begrenzt.

Darum ist eine durchdachte Koexistenz verschiedener Nutzungen im städtischen Raum und eine öffentliche Zugänglichkeit Grundlage, um gesellschaftliche und private Interessen miteinander zu verknüpfen.

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