Ein Sonnenstrahl in dunklen Zeiten
Das Schweizerische Korps für humanitäre Hilfe wahrt mit seinen Einsätzen die Interessen von schutzbedürftigen Menschen während und nach Konflikten, Krisen und Naturkatastrophen. Ein Teil davon ist die rund 50-köpfige Fachgruppe Bau. In einer Serie beleuchten wir deren wertvolles Engagement mit Schweizer Expertise im Ausland.
Die Schweiz hat eine jahrhundertealte humanitäre Tradition. Sie begann, als im 16. und 17. Jahrhundert mehrere zehntausend wegen ihres Glaubens verfolgte Personen aus Frankreich hierzulande Zuflucht fanden, erreichte mit der Gründung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) 1863 durch Henry Dunant einen imposanten Meilenstein und fand nach schwierigen Kriegsjahren mit der Asylgewährung für religiös und politisch Verfolgte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder zu ihren Wurzeln zurück.
Sie besteht aber aus viel mehr als Idealen und einem sicheren Hafen. Seit gut 50 Jahren leistet das Schweizerische Korps für humanitäre Hilfe (SKH) grosse Dienste im Umfeld von Katastrophen, Konflikten und Krisen. In seiner Ansprache zum runden Jubiläum vergangenes Jahr bezeichnete Bundesrat Ignazio Cassis das SKH als einen «Sonnenstrahl in der Tragödie» und als «Visitenkarte der humanitären Tradition der Schweiz».
Baufachleute helfen im Ausland
Das SKH ist ein Milizkorps von rund 550 einsatzbereiten Expertinnen und Experten. Um möglichst gezielte und wirksame Einsätze leisten zu können, sind sie entsprechend ihren Kenntnissen und Fähigkeiten in gesamthaft elf Fachgruppen eingeteilt. Eine davon, die Fachgruppe Bau, besteht aus rund 50 Personen mit mehrjähriger beruflicher Erfahrung in den Gebieten Architektur, Ingenieurwesen und Siedlungsplanung im internationalen humanitären Kontext.
Angesprochen auf das Tätigkeitsfeld meint Martin Bölsterli, Architekt und Chef der Fachgruppe Bau: «Unsere Arbeit ist vielfältig. Bei einem Notfalleinsatz in einem Erdbebengebiet, wie 2023 in der Türkei, werden Experten und Expertinnen eingesetzt, um die Bedürfnisse vor Ort zu analysieren, Gebäude statisch zu beurteilen und in Rücksprache mit den lokalen Behörden temporäre Unterkünfte zu planen und bereitzustellen. Bei längeren Engagements der Schweiz, wie beispielsweise in Haiti, werden in einem partizipativen Prozess mit einem Team vor Ort sturm- und erdbebensichere Unterkünfte für die Bevölkerung geplant und gebaut.» Zusammen mit der Umweltnaturwissenschaftlerin Alexandra Kappeler leitet Bölsterli das Expertenteam. Sie sind die wesentliche Schnittstelle zwischen der organisatorisch zuständigen Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) und der Fachgruppe.
«Die Anforderungen für einen Einsatz vor Ort gehen aber weit über eine fachliche Expertise hinaus. Neben technischen Fähigkeiten sind hohe Sozialkompetenzen und Agilität gefordert, um auf lokale Bedürfnisse und kulturelle Aspekte oder sich ändernde Umstände rasch und effizient reagieren zu können.» Bölsterli weiss, wovon er spricht: Erst vor Kurzem war er selbst in Haiti und erlebte aufgrund der generell fragilen Sicherheitslage vor Ort Einschränkungen in der Planung seiner Rückreise.
Interdisziplinär und partnerschaftlich
Die humanitäre Hilfe der DEZA besteht im Wesentlichen aus den vier Instrumenten «Hilfsgüter», «Finanzbeiträge an Partner», «Dialog und Anwaltschaft» sowie «Schweizer Expertise». Ihr oberstes Gebot ist der Einsatz für die Interessen von schutzbedürftigen Menschen während und nach Konflikten, Krisen und Naturkatastrophen.
Das SKH als Vertreter der «Schweizer Expertise» leistet einerseits selbstorganisierte Einsätze. Ihre Dauer und ihr Umfang hängen vom allgemeinen Kontext der Intervention ab: In einigen Fällen arbeiten die Korpsangehörigen zusammen mit lokalem Personal während sechs bis 24 Monaten an der Umsetzung von Projekten, sogenannten «Direktaktionen». In anderen Fällen, zum Beispiel nach einer gravierenden Naturkatastrophe oder bei einem Konflikt, werden sie kurzfristig und für einige Wochen mobilisiert. Andererseits stellt das SKH seine Ressourcen auch für Programme der Vereinten Nationen oder des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz in Form von «Secondments» zur Verfügung.
Der Erfolg humanitärer Einsätze bedingt eine fachübergreifende und partnerschaftliche Zusammenarbeit, wie Bölsterli an einem Beispiel zu veranschaulichen weiss: «Bei unserem Notfalleinsatz vor knapp zwei Jahren in Pakistan standen mehrere Fachgruppenmitglieder im Einsatz. Die Monsun-Saison in Pakistan begann im Jahr 2022 Mitte Juni und führte zu weitläufigen Überschwemmungen, die eine Vielzahl von Infrastrukturen und Lebensgrundlagen zerstörten. Die humanitäre Hilfe der DEZA konzentrierte sich auf den Wiederaufbau im ‹Swat Valley› im gebirgigen nordöstlichen Teil des Landes. In enger Zusammenarbeit mit der Schweizer Botschaft, lokalen Partnern und nationalen und internationalen Organisationen konnten innert kurzer Frist über ein Dutzend durch Überschwemmung beschädigte Schulen renoviert werden. Unsere Expertinnen und Experten evaluierten die Bauwerke, definierten die notwendigen Massnahmen und setzten diese in Zusammenarbeit mit lokalen Fachkräften rasch um, sodass die Gebäude wieder bezugsbereit waren – zur grossen Freude der Kinder vor Ort.»
➔ Anlässlich des 50-Jahre-Jubiläums des SKH verfassten unsere Kolleg:innen von Archi 2023 eine Kurzserie mit Erfahrungsberichten von SKH-Mitgliedern. Die Artikel daraus finden Sie hier (auf Italienisch).
Expertinnen und Experten gesucht!
Fachpersonen aus den Bereichen der Architektur und des Bauingenieurwesens gehören derzeit zu den gesuchten Expertenprofilen für das SKH. Für interessierte Bewerberinnen und Bewerber gelten die allgemeinen Aufnahmekriterien und profilspezifische Anforderungen. Dazu gehören beispielsweise fünf Jahre Berufs- und zwei Jahre Auslanderfahrung sowie die Bereitschaft, Auslandeinsätze von mindestens sechs Monaten zu leisten. Die Fachgruppe Bau alloziert das Wissen ihrer Expertinnen und Experten entsprechend deren Fachgebiet. So sind etwa nicht nur Personen mit konstruktivem Fachwissen gefragt, sondern generell Planungsfachleute mit Bau- und Koordinationskompetenzen.
Neben ihrem Engagement für den SKH leisten viele aktuelle und ehemalige Mitglieder der Fachgruppe Bau zudem einen wichtigen Beitrag im Wissenstransfer. Mit «Seismico» schuf beispielsweise eine Gruppe von Architektinnen und Architekten eine Wissensplattform, die auf die niederschwellige Ausbildung von professionellen und nicht-professionellen lokalen Handwerkern im Zuge des Wiederaufbaus nach einer Katastrophe abzielt. Mit dieser Dienstleistung will die Gruppe nicht nur dazu beitragen, beschädigte oder zerstörte Gebäude wieder aufzubauen, sondern die Bauten auch fit für künftige Katastrophen zu machen.
Das SKH ist stets auf der Suche nach neuen Mitgliedern.
Informationen zu den Aufnahmekriterien und zum Rekrutierungsablauf auf eda.admin.ch
Bewerbungen bitte folgende E-Mail-Adresse:
rekrutierungskh [at] eda.admin.ch (rekrutierungskh[at]eda[dot]admin[dot]ch)
Weitere Informationen
Humanitäre Hilfe der DEZA: eda.admin.ch/dezaSKH: skh.ch
Kompetenzzentrum des SKH: shacc.ch
Wissensplattform «Seismico»: seismico.org