Solarfassade im städtebaulichen Umfeld
Mehrfamilienhaus mit energieaktiver Glashaut
Mitten im Zürcher Stadtkreis 6 entsteht ein «Leuchtturmprojekt»: Anhand eines Mehrfamilienhauses und mithilfe einer solaraktiven Glasfassade wird eine vorbildliche energetische Gebäudesanierung realisiert. Das von öffentlicher Hand finanziell unterstützte Pioniervorhaben hat Architekt Karl Viridén initiiert.
Sanierungen mit glänzendem Look und glänzender Energiebilanz sind die bisherige Spezialität des Zürcher Architekten Karl Viridén. Seit 1990 macht das gleichnamige Zürcher Architekturbüro aus Altbauten Passiv- und Plusenergiehäuser und hat dafür mehrere europäische, nationale und lokale Auszeichungen erhalten. Doch das reicht mit Blick auf die 2000-Watt-Gesellschaft und die städtebauliche Gestaltung nicht ganz. Ein Haus kann einerseits Energie produzieren und soll sich andererseits gut in das bestehende Umgebung einfügen, sagt Viridén. Mitte April lud er ein Fachpublikum und die Medien zur Besichtigung des umgebauten Mehrfamilienhauses in der Nähe des Schaffhauserplatzes, im Stadtkreis 6. Die Fassade ist noch im Bau; die Gebäudesanierung soll im September abgeschlossen sein.
Schweizer Premiere
Das Besondere daran ist die Entwicklung einer solaraktiven Glasfassade mit ungewohnter, zurückhaltender Ästhetik: Bei der Sanierung des Altbaus aus dem Jahre 1982 wurde erstmals ein System verwendet, das Solarstrom erzeugt und das zudem optimal in das Gebäude und die innerstädtische Siedlungsumgebung integrierbar ist. Als «Kernstück der Schweizer Premiere» bezeichnet der Architekt das Photovoltaikmodul mit matter Oberfläche, dessen Farbe unterschiedlich gewählt werden kann. Zwar hebt sich das Material beim Eckhaus von den benachbarten, verputzten Hauswänden deutlich ab. Doch mit dem dezenten, grau-grünen Farbton passt sich das Eckhaus mit den rundum erneuerten Fassaden dennoch optisch ansprechend in die urbane Umgebung ein. Die hinterlüfteten Fassadenpanele beinhalten herkömmliche, monokristalline Photovoltaikmodule, die in Sandwichposition zwischen zwei Glasscheiben stecken. Die äussere, farbige Glasschicht ist satiniert. Die Leistung erreicht im Vergleich zu einer nicht abgedeckten Version rund 60 %.
Mehr Strom als verbraucht werden kann
Insgesamt erzeugen Fassaden- und Dachflächen so viel Solarstrom, dass die jährliche Energiebilanz für Raumklima, Beleuchtung und weitere Anwendungen inden 30 Wohn- und zwei Büroeinheiten positiv ausfällt und knapp ein Fünftel der Stromproduktion als Überschuss in das Stromnetz des Elektrizitätswerks der Stadt Zürich (ewz) eingespeist werden kann. Das städtische Energieunternehmen beteiligt sich selbst am Projekt, um das Lastmanagement der dezentralen Energieproduktion besser kennenzulernen.
Ein wichtiger Effekt der kombinierten Stromproduktion an der Fassade und auf dem Dach ist zudem der Ausgleich der Erträge im Jahresverlauf: Zwischen März und Oktober wird mehr als genug Strom vor Ort erzeugt; in den übrigen Monaten wird der Fehlbetrag zudem reduziert. Dachanlagen haben einen eindeutigen «Ertrags-Peak» im Sommer. Bei PV-Modulen an einer Gebäudefassade sind die Einstrahlwinkel dagegen geringer; daher liefern sie im Jahresverlauf gleichmässigere Erträge, mit jeweils kleineren «Peaks» im Frühling respektive Herbst.
Gebäude mit Vorbildcharakter
Die erneuerte Gebäudehülle produziert aber nicht nur Strom. Zusammen mit der Erneuerung der äusseren Wärmedämmschicht (bis 30 cm mächtig) und der Wärmeversorgung mit einer Wärmepumpe kann der Heizenergiebedarf um 88 Prozent reduziert werden. Ein weiteres Ziel des Leuchtturmprojektes sei die maximale Eigenbedarfsabdeckung, sagte Viridén. Möglichst viel des produzierten Stroms soll zeitnah vor Ort genutzt werden, entweder direkt oder nach einer Zwischenspeicherung. Ab 2018 wird deshalb ein Stromspeichersystem mit Batterie eingebaut.
Das von einem privaten Konsortium realisierte Vorhaben ist ein öffentlich gefördertes Pilot- und Demonstrationsprojekt. Das Bundesamt für Energie (BFE) hat es in sein Leuchtturmprogramm aufgenommen, mit dem die marktnahe Entwicklung von innovativen Technologien und Lösungen im Cleantech-Bereich vorangetrieben werden soll. BFE-Direktor Walter Steinmann bezeichnete das Zürcher Projekt als «Haus der Zukunft». Es habe dank beispielhaftem Gesamtkonzept Vorbildfunktion. Ob sich Solarstrom produzierende Fassaden bei Altbausanierungen durchsetzen können, sei vom Markt abhängig.
Unterstützt wird das Sanierungsprojekt auch von Kanton und Stadt Zürich. Das ewz wolle mit der Beteiligung weitere Erkenntnisse gewinnen, wie der Eigenverbrauch von Energie an Ort und Stelle möglichst zeitgleich gelingen könne, sagte der stellvertretende Direktor Benedikt Löpfe. Das Projekt beinhalte viele Herausforderungen, aber auch Chancen sowohl für die Kunden als auch für das ewz.
Praxistest unterzogen
Das Projekt wird einem mehrjährigen wissenschaftlichen Praxistest unterzogen. Dieser soll aufzeigen, wie ein urbaner Gebäudebestand davon profitieren kann. Nach dem Bezug der Wohnungen Ende September werden Haustechnik und Messinstallationen justiert, so dass der PlusEnergieBau spätestens Ende 2016 seinem Namen gerecht werden kann. Ab 2017 wird dann eine zweijährige Messperiode gestartet.