Vision versus Konvention
Verfahren und Ergebnis der Planungen für die Weiterentwicklung des Maag-Areals in Zürich haben hohe Wellen geschlagen. Eine vom BSA Zürich organisierte Podiumsdiskussion gab den Beteiligten die Möglichkeit, ihre Positionen einem breiten Publikum darzulegen. Trotz der sachlich geführten Diskussion gelang jedoch kein Brückenschlag.
Ein einzigartiger, von einem breiten Publikum belebter Ort mit hohem Identifikationspotenzial, dazu ein visionäres, von Pritzker-Preisträgern entworfenes Architekturprojekt, über dessen Qualität sich Fachleute und Bevölkerung sogar einig sind – was in anderen Städten wie ein wahr gewordener Traum der Stadtplanung klingt, soll in Zürich abgerissen bzw. gar nicht erst verwirklicht werden.
Konkret geht es um das Projekt für die Weiterentwicklung des ehemaligen Areals der Gebr. Maag Maschinenfabrik in Zürich-West. Um die letzte Jahrtausendwende setzte hier der Strukturwandel ein, und planungsrechtliche Grundlagen wurden geschaffen, um ein Weiterbauen zu ermöglichen. Die Immobiliengesellschaft Swiss Prime Site SPS erwarb das Gelände 2004 und liess dort 2011 den 126 m hohen Prime Tower erstellen (Architektur: Gigon/Guyer).
Nun soll das nördlich daran anschliessende Grundstück transformiert werden, auf dem sich mit der Maag Music Hall und der Tonhalle Maag zwei äusserst erfolgreiche Veranstaltungslokalitäten in den ehemaligen Industriehallen etabliert haben.
Für die aktuelle Planung organisierte die SPS einen eingeladenen Studienauftrag mit acht namhaften Büros – ein aufwendiges und vorbildliches Verfahren, zu dem sie als private Bauherrschaft nicht verpflichtet war. Die Jury bestand aus vier unabhängigen Fachjuroren und drei SPS-internen Sachjuroren. Die Rahmenbedingungen waren weit gesteckt. So gab es beispielsweise keine Vorgabe bezüglich Erhalt oder Abriss der Maag-Halle: Alle Büros mussten zwei Varianten vorlegen, eine mit und eine ohne Erhalt. Die Jury bestimmte, welche Variante die Büros jeweils in einer zweiten Stufe weiterbearbeiten sollten.
Aus diesen Projekten wählte sie zwei für eine weitere Überarbeitung aus. Schliesslich entschied sich die Fachjury für ein Projekt des Pariser Büros Lacaton & Vassal, das die bestehende Halle in die neue Überbauung integriert und «eine einmalige Chance bietet, ein starkes Zeichen für die Zukunft zu setzen», wie es Fachjuror Mike Guyer formulierte.
Der Haken ist, dass die Weiternutzung dieser Halle gegen das Baurecht verstösst: Sie liegt teilweise ausserhalb der seit 2008 geltenden Sonderbauvorschriften und darf daher nicht aufgewertet werden. Vor dem Bau in den 1960er-Jahren verlief hier eine Strasse; der Abschnitt soll nun wieder hergestellt werden und die Durchwegung des Quartiers verbessern. Daher entschied die Bauherrschaft, das Projekt des Berliner Büros Sauerbruch Hutton zu realisieren, den Favoriten der Sachjury. Es sieht einen Abbruch der Maag-Halle vor und entspricht den Sonderbauvorschriften.
Die SPS informierte im Februar über den Entscheid, hielt pikanterweise aber alle weiteren Informationen zu Verfahren, Teilnehmenden und dem eigentlichen Siegerprojekt zurück (vgl. «Retten, was zu retten ist», TEC21 13/2021). Nach der Bekanntgabe des Entscheids formte sich ein Komitee zur Rettung des Bestands und sammelte erfolgreich Unterschriften. Ein Postulat des Gemeinderats zur Anpassung der Sonderbauvorschriften folgte. Und nun fand man sich also Ende Juni auf dem Podium ein, um die Positionen zu klären.
Fehlende Weitsicht
Eingeladen in eben jene zum Abbruch vorgesehene Maag-Halle hatte der BSA Zürich. Anwesend waren SPS-CIO Urs Baumann als Vertreter der Bauherrschaft sowie Katrin Gügler, Direktorin des Amts für Städtebau; Architekt Mike Guyer vertrat die Fachjury; Axel Simon – Autor eines von der SPS beauftragten Hochparterre-Sonderhefts zum Projekt – sprach als Architekturkritiker. Moderiert wurde der Anlass von TEC21-Chefredaktorin Judit Solt. Im Saal drängte sich ein gemischtes Publikum: Architektinnen und Architekten, Betreiber der jetzigen Nutzungen sowie Vertreterinnen und Vertreter aus dem Quartier.
Mike Guyer stellte zu Beginn die Projekte der acht Büros vor. Formulierungen wie «man hat ausgewählt» und «es wurde entschieden» liessen erahnen, was TEC21 bereits publik gemacht hat: Die Fachjury entschied sich für das Projekt von Lacaton & Vassal, die Bauherrschaft setzte sich über den Entscheid hinweg – eine Tatsache, die Guyer später auch bestätigte.
Tatsächlich war der Jury anfangs nicht bewusst, dass die Aufwertung des Bestands gegen das Baurecht verstossen könnte, wie Guyer betonte. Das Verfahren liess diese Frage offen – ein Punkt, den Katrin Gügler denn auch kritisierte. Eben wegen dieses Verfahrens hatte die Stadt davon abgesehen, von Anfang an Teil der Jury zu sein, und war erst in der Überarbeitung der beiden weitergezogenen Projekte beigezogen worden, als es um Fragen wie Verkehrsführung und Aussenraumgestaltung ging. Auf eine übergeordnete städtebauliche Vision für das Gebiet angesprochen, verwies Gügler auf die Anforderungen der verschiedenen involvierten Behörden.
Axel Simon nahm in seinem Votum die geschlossene Meinung des Publikums vorweg. Er zitierte eine Aussage von Matthias Sauerbruch, dass ein Projekt die Herzen der Menschen erreichen müsse – leider aber fehle, so Simon, eben genau das bei diesem Projekt von Sauerbruch Hutton: Trotz farbiger Fassade sei es einfach farblos.
Schreckgespenst Europaallee
Das Fazit des Abends lautete: Die SPS hat durch ein unkonventionelles Verfahren die Entstehung eines visionären Projekts ermöglicht, das Antworten auf drängende architektonische und gesellschaftliche Fragen findet: Identifikation, Leben in den Quartieren, CO2-Reduktion durch Erhalt, qualitätvolle Verdichtung im Bestand an anspruchsvoller Lage.
Die Stadt hat sich aus Bedenken wegen des Verfahrens erst später in den Prozess eingeschaltet und ist damit ihrer operativen Aufgabe nachgekommen. Ob sie damit auch dem Geist ihres Auftrags gerecht wurde, eine zukunftsfähige urbane Entwicklung zu fördern, muss sich noch zeigen. Am Ende entschied sich die Bauherrschaft für die baurechtlich abgesicherte Variante – obwohl eine Anpassung der Sonderbauvorschriften via Gestaltungsplan möglich wäre, wie Gügler ebenfalls betonte. Die rund zweijährige Dauer des Prozesses wäre für die grösste Schweizer Immobiliengesellschaft tragbar.
Dass dies möglicherweise auch die schnellere Variante sein könnte, betonten die einstimmigen Voten aus dem Publikum: Unisono sprach man sich für das Projekt von Lacaton & Vassal aus, bemängelte zudem die fehlende Einbindung der heutigen Nutzerinnen und Nutzer und stellte Einsprachen in Aussicht.
Und so blieben die Fronten klar gesteckt, während der weisse Elefant der Europaallee den ganzen Abend im Raum lauerte: ein urbaner Raum, der trotz teilweise gelungenen Bauten in der Summe austauschbar bleibt.
Weitere Infos
Teilnehmende Büros
Projekt Buchner Bründler Architekten
Architektur: Buchner Bründler Architekten, Basel; Bauingenieurwesen: Dr. Lüchinger + Meyer, Zürich; Akustik: Applied Acoustics, Gelterkinden; Landschaftsarchitektur: Ghiggi Paesaggi, Zürich
Projekt Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten
Architektur: Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten, Zürich; Bauingenieurwesen: Wlw, Zürich; Block research Group, Zürich; Landschaftsarchitektur: Ganz, Zürich; Brandschutz: Hautle Anderegg + Partner, Bern
Projekt Holzer Kobler Architekturen
Architektur: Holzer Kobler Architekturen, Zürich; Bauingenieurwesen: Ferrari Gartmann, Chur; Landschaftsarchitektur: Atelier Loidl, Berlin; Bauphysik/Akustik: Lemon Consult, Zürich
Projekt Lacaton & Vassal Architectes
Architektur: Lacaton & Vassal Architectes, Paris; Bauingenieurwesen: Dr. Deuring + Oehninger; Winterthur; Akustik: Gui Jordan, Montpellier; Landschaftsarchitektur: Cyrille Marlin, Pau (F); Umweltingenieurwesen: Atmos Lab, London
Projekt Meili, Peter & Partner Architekten, Zürich
Architektur: Meili, Peter & Partner Architekten, Zürich; Bauingenieurwesen: Dr. Schwartz Consulting, Zug; Landschaftsarchitektur: Andreas Geser, Zürich
Projekt Sauerbruch Hutton
Architektur: Sauerbruch Hutton Berlin; Bauingenieurwesen: Werner Sobek, Berlin; Kontaktarchitekten: Itten+Brechbühl, Zürich; Landschaftsarchitektur: Hager Partner, Zürich; Technische Gebäudeausrüstung / Brandschutz: Amstein + Walthert, Zürich
Projekt spillmann echsle Architekten
Architektur: spillmann echsle Architekten, Zürich; Bauingenieurwesen: Walt Galmarini, Zürich; HLKS-Planung: Polke Ziege von Moos, Zürich; Landschaftsarchitektur: vetschpartner, Zürich; Akustik: EK Energiekonzepte, Zürich; Visualisierungen: Atelier Brunecky, Zürich
Projekt Staufer & Hasler Architekten
Architektur: Staufer & Hasler Architekten, Frauenfeld; Bauingenieurwesen: ewp, Effretikon; Landschaftsarchitektur: Krebs und Herde, Winterthur; Verkehrsplanung: Bhateam, Frauenfeld
Fachjury
Dietmar Eberle, Architekt, Lustenau (Vorsitz)
An Fonteyne, Architektin, Brüssel
Mike Guyer, Architekt, Zürich
Lukas Schweingruber, Landschaftsarchitekt, Zürich
Sachjury
Peter Lehmann, CEO Swiss Prime Site Immobilien, Zürich
Urs Baumann, CIO Swiss Prime Site Immobilien, Zürich
Johanna Gerum, Development, Swiss Prime Site Immobilien, Zürich
Presseschau
Judit Solt in TEC21: Retten was zu retten ist
Interview mit Anne Lacaton in der NZZ vom 11. Juni 20