Vom Industriequartier zum Lebensraum
Arealentwicklung VoltaNord Basel, städtebauliche Studie
Im Studienauftrag zur Entwicklung des Industrie- und Gewerbeareals VoltaNord entschied sich die Jury für die Synthese zweier Beiträge. Die Konzepte der Teams jessenvollenweider Architektur und Studio DIA/Johann Reble Architekt zeigen auf, wie der neue «durchmischte und lebendige Stadtteil» und die Industrie koexistieren können.
Der vor Jahrzehnten mit dem Bau der Nordtangente angestossene Stadtentwicklungsprozess im Norden von Basel wird mit der Planung des VoltaNord-Areals im St.-Johann-Quartier fortgesetzt. Seit Ende 2016 die Baurechts- und Mietverträge für die Parzellen des SBB-Areals ausliefen und die Coop-Verteilzentrale wegzog, stand ein Grossteil des Gebiets für neue Nutzungen offen. Die Transformation des knapp 14 ha grossen Areals hat das Stimmvolk 2018 gutgeheissen. Zuvor gab es Initiativen von den Nutzern und dem Gewerbeverband, das unter dem Namen Lysbüchel bekannte Areal als «letzte und grösste zusammenhängende Wirtschaftsfläche im Kanton Basel-Stadt» zu erhalten. Aufgrund des knappen Bodens im Kanton Basel-Stadt sind die Verdrängungsängste begründet.
Den südlichen Teil des Areals kauften die Einwohnergemeinde Basel-Stadt und die Stiftung Habitat. Für das Teilstück der Stiftung ist bereits im Rahmen der bestehenden Zonenordnung ein Projekt in Arbeit. Es wird grösstenteils im Baurecht an Genossenschaften und andere Baugemeinschaften abgegeben und soll unter anderem günstigen Wohnraum anbieten. Entlang der Elsässerstrasse Richtung Frankreich realisiert die Einwohnergemeinde Basel-Stadt derzeit ein neues Schulhaus für das Quartier, das gemeinsam mit dem daran angrenzenden Kultur- und Gewerbehaus «Elys» im Herbst eröffnet werden soll. Im Norden bietet ein kleineres Gebiet für Industrie und Gewerbe weiterhin Raum für emissionsintensive Nutzungen. Dazwischen spannt sich das 11.7 ha grosse Planungsgebiet auf, das die Grundeigentümer – der Kanton Basel-Stadt und die SBB – für bis zu 2000 Einwohner und maximal 2500 Arbeitsplätze umnutzen möchten.
Als Grundlage für die weitere Planung luden die Einwohnergemeinde Basel-Stadt, vertreten durch die Immobilien Basel-Stadt und das Bau- und Verkehrsdepartement Basel-Stadt, gemeinsam mit den SBB zu einer einstufigen Ideenstudie ein – inklusive Projektstudie für den Quartierplatz. Die Beurteilung der städtebaulichen Studie wurde «in Anlehnung an Art. 3.2 bzw. Art. 3.3. der Ordnung SIA 143 im selektiven Verfahren» durchgeführt. Das Programm wurde allerdings nicht zur Prüfung beim SIA eingereicht.
Der neue Stadtteil soll die charakteristische Blockrandstrukturen des Wohnquartiers St. Johann ergänzen und «gleichzeitig auf die industrielle Umgebung reagieren», gab die Jury an. Insgesamt müssen zwei Drittel der Wohnungen im preisgünstigen Segment zur Verfügung stehen. Im Zuge der Transformation wird ein Quartierplatz «den Mittelpunkt der neuen Bebauung bilden und das Scharnier zum bestehenden Quartier und insbesondere zur Parzelle der Stiftung Habitat bilden». Entlang des Gleisfelds der Bahnlinie Basel-Mulhouse ist ein rund zwei Hektar grosser Grünraum mit Erholungs- und Naturschutzflächen vorgesehen. Auch die öffentlichen Strassenräume und die Aussenflächen der Primarschule und des Kindergartens waren Teil der Ideenstudie.
Aus den 41 Bewerbungen wählten die Auslober sieben Planungsteams aus. Nach intensiven Diskussionen der städtebaulichen Konzepte für die drei Baufelder, den Quartierplatz und die Grünfläche entlang der Gleise entschied sich das Beurteilungsgremium für die Kombination von zwei Entwürfen. Für die weitere Planung fasste sie die Teilbereiche aus den Entwürfen zweier Teams zu einer Synthese zusammen. Diese Möglichkeit war im Programm bereits vorgesehen. Für die beiden südlichen Baufelder von Immobilien Basel-Stadt (Baufeld 4 und 5) bildete der Entwurf des Teams jessenvollenweider Architektur mit Stauffer Rösch Landschaftsarchitekten die Basis für weitere Planungsschritte. Für das Baufeld der SBB im Norden (Baufeld 2) und den Grünraum entlang der Gleise entschieden sich die Auslober, den Entwurf des Nachwuchsteams weiterzuverfolgen – bestehend aus der ARGE DIA (bisher pan m Architekten / gud Architekten) mit Johannes Reble Architekt und Schläpfer Carstensen Landschaftsarchitekten. Die Erkenntnisse des Studienauftrags bilden auch die Grundlagen für die weitere Planungen der Lysbüchelstrasse, die das Gebiet mittig erschliesst. Beide Siegerteams sollen dafür beratend beigezogen werden. Der Entwurf des Quartierplatzes von Stauffer Rösch Landschaftsarchitekten wird auf Basis der vorliegenden Planung weiterbearbeitet und realisiert.
Harte Aussenkante, weiches Innenleben: Baufeld 2
Auf dem Baufeld der SBB überzeugte die Entwurfsidee des lang gestreckten Blockrands mit grosszügigem begrüntem Innenhof. Die siebengeschossige Blockrandstruktur mit Attikageschoss ist an den Ecken aufgebrochen und gestaltet fussläufige Verbindungen in Ost-West-Richtung. Die «einheitliche Höhe» ermöglicht die Abschirmung der Fassaden gegenüber den vielfältigen Lärmquellen. Durch die kleinen Plätze entlang der Lysbüchelstrasse und die gewerblichen Nutzungen im Erdgeschoss interagieren die Gebäude mit dem Strassenraum. Ansonsten zeichnet sich die Blockrandstruktur durch «harte Kanten nach aussen und vielschichtige, weiche Übergänge in den vergleichsweise intimen Innenhof» aus. Die sehr unterschiedlichen Typologien und Nutzungskombinationen innerhalb des Konzepts ermöglichen ein zukunftsfähiges Miteinander von Wohnen und Arbeiten. Gegen die zu erhaltende Industrie- und Gewerbezone im Norden konzentriert sich die Arbeitsnutzung in einem Block, während im südlichen Teil Wohn- und Arbeitsflächen untergebracht sind. Damit sind lärmintensive klar von lärmempfindlichen Nutzungen getrennt.
Der Entwurf dient als «Basis für den Bebauungsplan bzw. die Bebauungspläne zweiter Stufe sowie für die weitere Planung der Gebäude und Freiräume» auf diesem Baufeld. In Folge sind Direktaufträge oder Projektwettbewerbe vorgesehen. Auf dem Baufeld sollen 30 % der Wohnungen an Genossenschaften in Baurecht abgeben werden. Bestandteil dieses Baufelds ist auch der Park entlang der Gleisfelder. Hier überzeugte der vorgeschlagene Geländesprung, der die Störfelder an den Gleisfeldern abwenden kann. Gleichzeitig sorgt diese künstliche Kante für eine klare Trennung der Naturschutzflächen von dem neuen Erholungs- und Bewegungsort für die Bewohner des Quartiers. Als Relikte und zur Rückeroberung durch die Natur bleiben ein Perron sowie die Struktur eines Güterschuppens erhalten. Auf Basis dieser Entwurfsidee soll ein Projektwettbewerb für den Park ausgeschrieben werden.
Hof und Block nach Basler Vorbild: Baufelder 4 und 5
Auf den Baufeldern von Immobilien Basel-Stadt entschied das Beurteilungsgremium, die Projektvorschläge des Teams jessenvollenweider Architektur mit Stauffer Rösch Landschaftsarchitekten weiterzuverfolgen. Dies umfasst je ein Baufeld im Westen und Osten des neuen Quartierplatzes. Während der Projektvorschlag der ARGE DIA mit Johannes Reble Architekt die bestehenden Bauvolumen auf dem Baufeld westlich des neuen Quartierplatzes (Baufeld 4) fortsetzt, entwerfen jessenvollenweider Architektur einen 8- bis 9-geschossigen «parzellierten Block», dessen «harte Kante» die typischen Basler «Baumgartnerhäuser» zum Vorbild hat. Der Innenhof fasst das Gebäude einerseits zusammen und ermöglicht gleichzeitig eine Durchwegung durch die Teilung des Volumens an den Ecken. Das Beurteilungsgremium empfiehlt, den Entwurf «möglichst konzepttreu» in Kooperation mit den Genossenschaften umzusetzen.
Der «solitäre Block» auf dem Baufeld östlich des neuen Quartierplatzes (Baufeld 5) schafft eine grosszügige Verbindung zwischen der Elsässerstrasse und dem Quartierplatz und bildet «einen attraktiven, gut nutzbaren Raum für die Primarschule und den Kindergarten. Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse – insbesondere der erwähnten räumlichen Aufweitung der Querachse – soll für dieses Baufeld ein Varianzverfahren durchgeführt werden. Auch hier sind jeweils Träger des gemeinnützigen Wohnungsbaus zu mindestens 30 % am realisierten Wohnanteil mittels Abgabe im Baurecht zu berücksichtigen.
Der neue Quartierplatz nach den Plänen von Stauffer Rösch Landschaftsarchitekten wird im nächsten Schritt überarbeitet, bevor er zur Ausführung kommt. Als mit Bäumen gesäumter und grösstenteils unversiegelter Platz erfüllt er sowohl die Aufgabe einer Parkanlage als auch die eines Strassenraums und gewährleistet somit neben der Verkehrsregelung eine hohe Aufenthaltsqualität für die Bewohner. Dazu tragen ein Spielplatz, ein vielfältig nutzbarer Pavillon und ein Wasserbecken für die Sommermonate bei.
Bereits 2023 können erste Bauten realisiert werden. Bis dahin steht das Areal weiterhin für Zwischennutzungen zur Verfügung. Dass es damit belebt bleibt, kommt den Quartierbewohnern zugute.
Anmerkung
An der digitalen Informationsveranstaltung am 17. Juni 2020 hatten die Quartierbewohner die Möglichkeit, Fragen zum Projekt zu stellen. Rückmeldungen zu den Ergebnissen des Studienauftrags können zudem bis 31. Juli 2020 mittels eines elektronischen Fragebogens (Link auf www.voltanord.ch) oder schriftlich (Planungsamt, Dufourstrasse 40/50, 4001 Basel) eingereicht werden.
Pläne und Jurybericht zum Wettbewerb finden sich auf competitions.espazium.ch
Juryempfehlungen
Für den Bebauungsplan bzw. die Bebauungspläne zweiter Stufe sowie für die weitere Planung der Gebäude und Freiräume auf Baufeld 2
ARGE Studio DIA (bisher pan m Architekten / gud Architekten) mit Johann Reble Architekt, Schläpfer Carstensen Landschaftsarchitekten, Basler & Hofmann Ingenieure, Bernhard Böhm und Dr. Nils Guettler (Nachwuchsteam)
Für den Bebauungsplan zweiter Stufe und die möglichst konzepttreue weitere Planung der Gebäude und Freiräume durch Genossenschaften – Baufeld 4
jessenvollenweider Architektur mit Stauffer Rösch Landschaftsarchitekten, Martin Frei und Cabane Partner
Weiterbearbeitung des Entwurfs als Grundlage für einen Projektwettbewerb – Baufeld 5
jessenvollenweider Architektur mit Stauffer Rösch Landschaftsarchitekten, Martin Frei und Cabane Partner
Weiterbearbeitung und Realisierung des Quartiersplatzes
Stauffer Rösch Landschaftsarchitekten
Weitere Teilnehmer
Buchner Bründler Architekten mit Ghiggi Paesaggi Landschaft und Städtebau
Helsinki Zürich Office Architekten mit Schmid Landschaftsarchitekten, Raumplan Wirz, Metron Verkehr und Intosens
BeL Bernhardt & Leeser / Marco Merz Marion Clauss Architekten mit Studio Céline Baumann; Fuhr Buser Partner Bauökonomie, Stierli + Ruggli Ingenieure + Raumplanung, Bárbara Maçães Costa, Martin Josephy, Martina Kausch und Merlin Bauer
MVRDV mit Rüst & Gerle Architekten und LOLA Landscape Architects
Harry Gugger Studio mit Maurus Schifferli Landschaftsarchitekt
FachJury
Astrid Staufer (Vorsitz), Architektin; Beat Aeberhard, Kantonsbaumeister, Architekt; Kaschka Knapkiewicz, Architektin; Simon Hartmann, Architekt; Erich Zwahlen, Landschaftsarchitekt; Marie-Noëlle Adolph, Ingenieurin Landschaftsarchitektur
SachJury
Thomas Waltert, Leiter Gesamtentwicklung BaselNord, Planungsamt; Barbara Rentsch, Leiterin Portfoliomanagement, Immobilien Basel-Stadt; Armin Vonwil, Leiter Anlageobjekte Mitte, SBB Immobilien Development; Emanuel Trueb, Amtsleiter Stadtgärtnerei, Bau und Verkehrsdepartement, Kanton Basel-Stadt