Von CAD zu CAM

Entwerfen mit Generative Design: Kilden-Theater und -Konzerthaus, Kristiansand (N)

Die heutigen digitalen Werkzeuge von Architekten und Bauingenieuren stellen auch Informationen für die Ausführung zur Verfügung. Dieses Potenzial wird jedoch noch zu wenig genutzt, erfordert es doch ein Umdenken beim Entwerfen.

Publikationsdatum
12-09-2013
Revision
13-09-2016

Im Gegensatz zum Zeichnen mit dem Computer (Computer Aided Design, CAD) schöpft das Computational oder Generative Design das digitale Potenzial um ein Vielfaches weiter aus. Während beim reinen CAD der Vorgang des Skizzierens und Zeichnens lediglich vom Papier auf den Rechner übertragen wird, erlaubt das Entwerfen mit dem Computer das Entwickeln von Formen, die auf Regeln basieren und über die Beeinflussung von Parametern gesteuert werden können. Mit anderen Worten: Beim digitalen Zeichnen wird das Ergebnis einer gestalterischen Idee auf den Computer übertragen, während im zweiten Ansatz die Idee der architektonischen Form selbst innerhalb eines digitalen Informationssystems beschrieben wird.

Das stellt die Entwerfenden vor neue Herausforderungen, weil anstelle des Resultats nun der Weg dort­hin – ein Algorithmus – präzise definiert werden muss. Dieser öffnet aber auch neue ­Möglichkeiten, da einzelne Inputs – die Parameter – bis zur letzten Minute angepasst werden können und das Endergebnis fast augenblicklich aktualisiert wird.

Durch die enorme Anzahl an möglichen Varianten kommt den Entwerfenden dabei eine wichtige Rolle zu: Sie müssen entscheiden, welche Richtung die Entwicklung der Form nehmen soll und wie sie schlussendlich realisiert werden kann.1 Alles, was digital produziert werden soll, muss zuerst bis ins Detail digital geplant werden. Der Arbeitsaufwand verschiebt sich im Prozess nach vorn, von der Baustelle in die Planung. Gleichzeitig erhöhen sich Präzision und Effizienz bei minimiertem Fehlerrisiko.

Wellen für Kristiansand

Die Fassade des Kilden-Theaters und -Konzerthauses im norwegischen Kristiansand, die sich von der 22m hohen Traufkante wie ein wehender Vorhang in Wellen nach hinten schwingt, ist definiert durch eine gerade Ober- und eine geschwungene Unterkante, die durch gerade Linien miteinander ver­bunden werden. Mathematisch betrachtet hat diese sogenannte Regelfläche den Vorteil, dass entlang der geraden «Regellinien» verlaufende Schalungsbretter nur verdreht und nicht gebogen werden müssen.

Ein mehrere Quadratmeter grosses Modell der Fassade hatte jedoch die geforderten Ansprüche nicht erfüllt. Damit die gewellte Fläche mit geraden Eichenbrettern verschalt werden konnte, mussten diese exakt ausgerichtet sein und nach oben schmaler werden, was bei der Montage vor Ort einen immensen Aufwand bedeutet hätte. Als bereits der Rohbau aus der Baugrube wuchs, wurde das konstruktive Konzept der Fassade komplett geändert: Statt eine gebogene Stahlkonstruktion vor Ort mit einer wenige Zentimeter dünnen hölzernen Haut zu überziehen, sollten die kompletten Fassadenelemente aus Holz vorgefertigt und in das auskragende Stahlgerüst eingehängt werden.

Man versprach sich davon, dass sich die gebogene Tragstruktur aus Holz durch spanende Bearbeitung wesentlich präziser herstellen lässt als durch plastisches Verformen von Stahl. Ausserdem würde die Präzisionsarbeit vom 20m hohen Gerüst in die kon­trollierte Umgebung der Montagehalle verlagert.

An der Schnittstelle zwischen Architekt, ­Tragwerksplaner und Holzbauer erstellten Spezialisten ein «parametrisches CAD-Modell» der gesamten Fassade, in dem jedes einzelne Bauteil und deren Verbindungs­details drei­dimensional definiert wurden, ­sodass die Struktur vom Tragwerksplaner ­berechnet und die Einzelteile auf computer­gesteuerten ­Maschinen produziert werden konnten.

Die Entwicklung des Konzepts ­dauerte drei Monate, bevor die eigentliche Planung beginnen konnte. Doch es gab ­weitere Überraschungen. Im CAD-Modell der Architekten wichen die Regellinien der Fassadenfläche an einigen Stellen vom Achsraster ab, an dem auch die tragende Stahlkonstruktion ausgerichtet worden war.

Diese Abweichung sprengte nicht nur das Konstruktionsprinzip der Fassadenelemente, sie führte auch zu einem unansehnlichen Knick im oberen Fassadenbereich. Daher wurde die Fassadenunterkante so weit verschoben, bis die Geometrie überall dem ursprünglichen Grundprinzip entsprach. Erst nachdem die genaue Form der Fassade so präzise definiert war, konnten ihre Einzelteile rationell geplant und vorgefertigt ­werden.

Jedes der 126 Fassadenelemente besteht aus zwei geraden Trägern aus Brettschichtholz (BSH), zwischen denen bis zu 13 individuell gekrümmte BSH-Träger die Form des Elements definieren und an denen die Eichenbretter der Schalung befestigt werden. Auch sie mussten individuell zugeschnitten werden, weil sich Neigung und Krümmung der Fassade kontinuierlich ändern und trotzdem ein regelmässiges Muster gerader Fugen vom Fuss der Fassade bis zur Traufkante entstehen sollte. Kein Problem für die CNC-Maschinen, die im Zehntelmilli­meterbereich genau produzieren, aber eine Herausforderung für die Planung, denn jeder Fehler im CAD-Modell wird mit unerbittlicher Präzision reproduziert.

Um Fehlerquellen bei der Vormontage der Elemente möglichst auszuschliessen, wurden alle Verbindungsdetails selbstpositio­nierend ausgeführt. Für jeden der 1700 gekrümmten Träger gibt es eine kleine Aussparung an der Verbindung zum geraden Träger, für jedes der fast 12.500 Eichenbretter der Schalung wurden in die gekrümmten ­Träger entsprechende Vertiefungen gefräst, die die exakte Position vorgeben. Bei der Vormontage wurden nur vier Referenzpunkte am Elementrahmen per Laser eingemessen, alles andere funktionierte nach dem Baukastenprinzip.

Die Daten für alle 14.309 Bauteile und ihre über 60.000 Verbindungspunkte kamen aus dem Rechner und wurden digital an die Fertigung übermittelt. Nur durch das strenge Konstruktionsprinzip, das sich in mass­geschneiderten parametrischen CAD-Werkzeugen abbilden liess, war es möglich, diese Menge an individuellen Bauteilen und Ver­bindungsdetails zu realisieren, besonders da aufgrund der späten Konzeptänderung lediglich ein knappes Zeitfenster zur Verfügung stand. 

Anmerkung
1 Im Interview «Gedanken zur heutigen Bau­kultur» (NZZ vom 26. April 2013) äussert sich der Architekturhistoriker William J. R. Curtis sehr ­kritisch zu diesem Punkt, wenn er anmerkt, dass «nur wenige Architekten die Form kontrollieren können».

Tragwerksplanung Fassade: SJB Kempter Fitze
Parametrische Planung: designtoproduction GmbH
Holzkonstruktion: Blumer-Lehmann AG

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