«In­dus­tri­el­les Weiss ist der Flach­ma­cher der Ar­chi­tek­tur»

Ein Besuch in der Farbmanufaktur ktColor in Uster

Sie ist die Königin aller Farben: Weiss ist niemals nur Weiss, das Spektrum reicht von Schneeweiss über Grauweiss bis hin zu edlen Elfenbeintönen. Weiss ist, wie Schwarz und Grau, eine unbunte Farbe: Es ist keine Spektralfarbe, sondern Helligkeit ohne Farbstich. Ein Besuch in der Farbmanufaktur ktColor in Uster.

Publikationsdatum
04-03-2025

Wer nun denkt, dass man mit Räumen in Weiss nichts falsch machen kann, wird von Katrin Trautwein, Gründerin von ktColor, eines Besseren belehrt. «Der angeblich neutrale White Cube hat ausgedient. Ein Raum, der dem Auge schmeichelt, muss im Büro nicht anders aussehen als in der Wohnung. Je monochromer die Umgebung ist, umso künstlicher wirkt sie und ist zudem anstrengend für unsere Augen», erklärt die Farbforscherin. «Monochrom weisse Räume, die mit Titandioxid gestrichen sind, wie sie landauf, landab zu sehen sind, strengen unsere Augen sogar an.» 

Die promovierte Chemikerin hat ihr Leben der Farbe verschrieben, genauer gesagt der aus natürlichen und mineralischen Pigmenten gewonnenen Farbe. Ihre Suche nach der perfekten Farbe begann vor einem Vierteljahrhundert mit der Erforschung der Farbklaviatur von Le Corbusier. 

Mit der «Polychromie architecturale» – Le Corbusiers Palette aus 63 Farben – machte sie sich einen Namen in der Welt der Architektinnen, Gestalter und Denkmalpflegerinnen. «Nach langem Suchen hatten wir die Pigmente gefunden, die Le Corbusier und viele andere Künstler einsetzen», sagt Katrin Trautwein. «Mit einer Ausnahme waren diese aber nach dem Zweiten Weltkrieg sang- und klanglos aus den Mischanlagen der Mineralfarben, Bau- und Industriefarbenherstellern verschwunden.» 

Von Le Corbusier lernte sie, dass Farbe ein Material ist. «Die Farben, die er ausgewählt hat, haben eine besondere Tiefe, lassen im Zusammenspiel mit dem Licht Räume natürlich und angenehm wirken und unterstreichen die Architektur ideal», erklärt Katrin Trautwein. «Es sind funkelnde, gekörnte, harmonische, natürliche Farbkörper, die Farben eine Lebendigkeit verleihen, die zauberhaft schön ist. Künstliche Pigmente können das nicht – ihnen fehlt das Leben.» 

Auch bei der Restaurierung des legendären Hauses E.1027 von Eileen Gray und Jean Badovici in Südfrankreich konnte sie mitarbeiten, die Farben identifizieren und rekreieren.

Das Handwerk der Farbherstellung

Die Beschäftigung mit den Farbpaletten Le Corbusiers legte den Grundstein. 1998 gründete Katrin Trautwein die Farbmanufaktur ktcolor. Im Jahr 2000 erhielt sie die exklusive Lizenz der Fondation Le Corbusier, dessen Farben als Künstlerfarben und als Wandfarben herzustellen und weltweit vertreiben zu dürfen. 

In den Hallen einer ehemaligen Spinnerei in Uster erforscht und produziert sie seither handgefertigte Farben, inzwischen verfügt sie über mehr als 2000 Farbrezepte. Gemeinsam mit einem 18-köpfigen Team verwandelt die gebürtige Stuttgarterin Farbpigmente von Hand zu rund 225 «Farben der Poesie», wie die Farbforscherin sie nennt. «Nicht das schnell Gemischte ist nachhaltig, sondern das langsame Handwerk der Farbenherstellung. Bei uns entstehen aus diesen natürlichen Pigmenten Farben, die harmonisch, naturbezogen, leuchtend und nachhaltig sind.»

Dahinter stehen sehr komplizierte Rezepturen: «Wir optimieren das Funkeln im Licht, deshalb wirken unsere Farben tiefer.» Im Untergeschoss stapeln sich in Kästen und Säcken die Farbpulver, Naturerden und Halbedelsteine, in Holzregalen reihen sich Fläschchen an Fläschchen mit Farben aller Couleur – man könnte in einen Farbrausch kommen. Zu den teuersten Pigmenten zählen auch kostbare, feingemahlene Steine wie Lapislazuli und Malachit. 

Weisses Rauschen

Doch zurück zum Weiss in allen Nuancen. Schliesslich ist Weiss das Material, das in den meisten Räumen in Schweizer Haushalten die grössten Flächen einnimmt. Das macht es zur wichtigsten Farbe. Die üblicherweise von Architekten gerne verwendete Weiss-Scala der RAL-Farben scheint eine sichere Bank, jeder Farbenhersteller kann diese industriell normierten Töne anmischen, als Wandfarbe oder Lack. Es gibt allein neun RAL-Weisstöne von «Perlweiss» (No. 1013) bis «Papyrosweiss» (No. 9018), die Basis praktisch aller herkömmlich gemischten, weissen Farben ist Titanweiss. 

Für Katrin Trautwein sind diese Weisstöne jedoch keine Option. Es sei eben ganz und gar nicht egal, ob die weisse Wandfarbe ein künstliches Titanweiss oder ein natürliches Kreideweiss ist – je nachdem ändere sich die Raumwirkung. «Das künstliche Weiss ist für den Sehsinn anstrengend», sagt sie. 

«Es wirkt aufdringlich und steril, egal wie sie sehr es abgetönt wurde». Man sehe dieser Farbe, so erklärt Katrin Trautwein, einfach an, dass sie künstliche Oberflächen bilde, der Raum wirke deshalb zweidimensional, der Blick finde keinen Ankerpunkt. Es sei nach Meinung der Farbexpertin nichts weniger als «der Flachmacher der Architektur».

Doch was unterscheidet ihr Weiss nun vom dem der Industrie? Katrin Trautwein zeigt mir im Besprechungsraum, dessen Wände von Hunderten von Farbkarten bedeckt sind, an einem konkreten Beispiel (Bild Nr. 2 in der Bildergalerie), was ihre Farben zur Raumwirkung beitragen können: «Hier im Bild ist Lichtweiss, unsere Alternative zu RAL 9010, an der Wand links und an der Decke aufgetragen. Gris blanc ist das dunklere Weiss rechts. Die Weissabstufung und die Licht- und Schatteneffekte vertiefen den Raumeindruck und erhöhen die Spannung der Architektur.» 

Lichtweiss, die Nuance mit dem KT-Code 32KT000, wirkt dank der Naturpigmente Kalk, Kaolin und Burgunderocker tiefer, leuchtender und lebendiger als die Oxidpigmente in RAL 9010. Gris blanc ist für die Farbexpertin ein ideales Weiss für kleine Räume mit wenig Tageslicht. «Es vergrössert visuell dunkle Räume und schafft Kontraste zu helleren Objekten.» So hat sich ein Berliner Möbelhändler dafür entschieden, seinen Ausstellungsraum in der Farbe Gris blanc zu streichen (Bild Nr. 3 in der Bildergalerie).

Le Corbusier wählte diesen Weisston für verschattete Innenräume. In der Villa La Roche in Paris (1926) verwandte er beispielsweise Gris blanc im dunklen Bad und in der Küche, wo es die Räume heller und geräumiger wirken lässt. 

Natürliche Pigmente statt künstlichem Weiss

Seit kurzem ergänzen bei ktColor sechzehn neue Farben das Sortiment der Manufaktur. Auch diese Töne sind aus klassischen, natürlichen und mineralischen Pigmenten, sind auf Wasserbasis und frei von umweltschädlichen Chemikalien. Zu jede Farbe gibt es eine Geschichte. 

Die beiden neuen Weiss-Töne sind Rügener Weiss und Französisch-Weiss. Für ersteren – einen besonders reinen, weissen Ton – liefern die berühmten Kreidefelsen der Insel Rügen den aussergewöhnlich leuchtenden Kalk. «Dank den Rundungen ihrer natürlichen Pigmentteilchen reflektiert dieses weiche Weiss das Licht auf eine sanfte und angenehme Weise, was es ideal für den Einsatz in lichtdurchfluteten Räumen macht.» 

Die perfekt symmetrischen Coccolith-Kugeln in der Rügener Kreide nehmen Sonnenlicht und auch Kunstlicht anders auf als das mehlige, stumpfe Titanweiss-Pigment. Französisch-Weiss dagegen ist ein vornehmes Weiss, das seine Herkunft in den eleganten Villen Frankreichs hat. «Diese Farbe wird durch die Verwendung von poröser Belemnit-Kreide aus Châlons-en-Champagne charakterisiert, die ihr subtile, warme Untertöne verleiht», erklärt die Farbexpertin. «Sie eignet sich für Wände, Möbel und Dekorationen, die einen Hauch von französischer Eleganz vermitteln sollen.» 

Insgesamt umfasst die Weiss-Palette von ktColor 26 Farben, die in fünf atmosphärische Gruppen geordnet sind – luftig, klar, steinig, weich und warm. So lassen sich Raumatmosphären ganz nach Wunsch schaffen. 

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