Ze­ment­freie Bin­de- und Zu­satz­mit­tel im Pra­xis­test

Forschungspavillon «Manal» in Hybridbauweise

ETH Spin-Off Oxara eröffnete Ende November 2024 einen Forschungspavillon an der Hochschule Luzern HSLU. Dort werden die vom Unternehmen entwickelten zementfreien Binde- und Zusatzmittel getestet, die es ermöglichen, aus Aushub- und Abbruchmaterial CO2-arme Baustoffe herzustellen.

Publikationsdatum
16-12-2024

Auf dem Weg von der S-Bahnstation zur HSLU ist in Richtung Osten ein 50 m2 grosser Pavillon zu sehen. Mit Schmetterlingsdach und beigen Ockertönen ragt er aus dem weissen Schnee heraus. Auf Arabisch heisst «Manal» – so der Name des Baus – «eine hart erarbeitete Errungenschaft» und so wirkt es auch an der Eröffnung Ende November. Es steckt viel Arbeit dahinter, aber auch viel Optimismus: Seit der Gründung von Oxara vor fünf Jahren wurden die zementfreien Binde- und Zusatzmittel stetig weiterentwickelt, ist das Team von 2 auf 15 Personen gewachsen, mussten Investoren und Partnerinnen gefunden sowie die Zusammenarbeit mit dem Innosuisse Forschungsprojekt «Think Earth» aufgegleist werden. 

Nun ist das Werk vollbracht, aber das Team um die beiden Materialwissenschaftler Gnanli Landrou und Thibault Demoulin ist noch längst nicht am Ziel. Sie wollen die Dekarbonisierung des Bauwesens vorantreiben und einen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft leisten. Um ihre Produkte auf dem Markt zu etablieren, müssen sie nun das Vertrauen von Bauherrschaften und Unternehmen gewinnen.

Materialien testen

Beim Bau des Pavillons in Lehmbauweise wurden drei Oxara-Produkte eingesetzt; mittels eingebauter Sensoren werden die Feuchte (zur Ermittlung der Festigkeit) und das Schwindverhalten dokumentiert und langfristig ausgewertet. 

In den tragenden Wänden und Stützen wurde «Oxacrete Oulesse», ein Bindemittel auf Basis von gemahlenem Abbruchmaterial, eingesetzt. Es entwickelt eine ähnliche Festigkeit wie herkömmliche Bindemittel, ermöglicht die Wiederverwendung von recycelten Materialien und ist wasserbeständig. 

Die nichttragenden Lehmwände enthalten «Oxacrete Nossim». Durch das Zusatzmittel wird weniger Wasser benötigt bis der Lehm giessfähig ist. So wird einerseits die Rissbildung minimiert und der Lehm kann wie Beton geschalt und gegossen werden. «Oxacrete Nossim» basiert auf mineralischen Salzen, die die Kohäsion der Lehmplättchen auf Mikroebene vorübergehend auflösen. Zudem erhöht es die Frühfestigkeit, wodurch ein Ausschalen im noch feuchten Zustand möglich wird. 

Für die tragenden Lehmbögen wurde ein mit «Oxabrick Loko» stabilisierter Lehmstein («Oxabloc») eingesetzt. Der Zusatzstoff ist speziell für die Herstellung von zementfreien und nichtgebrannten, verdichteten Lehmsteinen entwickelt worden. Die von Terrabloc hergestellten Lehmsteine werden mechanisch verdichtet und trocknen anschliessend an der Luft aus, ohne Brennvorgang. Während des Trocknungsprozesses trägt «Oxabrick Loko» zur Entwicklung der Festigkeit bei und erhöht die Wasserbeständigkeit der Steine.

Entworfen wurde der Pavillon von Sara Sherif (Architektin bei Oxara), Stefan Wülser (Architekt, HSLU), Atelierwatt und Nina Hug (Architektin). Die Materialien wurden entsprechend ihrer Eigenschaften eingesetzt, alle Bauteile mussten demontierbar und wiederverwendbar gefügt werden.

Fruchtbare Zusammenarbeit

An den Keynotes zur Eröffnung betonte Gnanli Landrou, dass es ohne Partnerschaften nicht möglich gewesen wäre, den Pavillon zu bauen. Und die Liste von Partnerinnen und Unterstützern ist tatsächlich lang. Als vor drei Jahren die Idee für das Gebäude entstand, stellte die HSLU einen Bauplatz zur Verfügung. Zudem wurde es als eines der «Case Studies» in das Innosuisse Forschungsprojekt «Think Earth» integriert. 

Als Zusammenschluss der HSLU, der ETH Zürich, der Berner Fachhochschule, der FH Ost, der Empa und ca. 40 Wirtschaftspartnern beschäftigt sich «Think Earth» mit regenerativem Bauen. In zehn Teilprojekten werden bis 2028 die Materialeigenschaften und die Verarbeitung von Lehm und Holz untersucht, Konstruktionsweisen geprüft und neue Normen entwickelt. 

Bereit für den Einsatz in der Praxis

Um die Oxara-Produkte richtig einzusetzen, muss man ihre Eigenschaften kennen – Alleskönner wie der herkömmliche Beton sind sie nicht. Aber durch den Verzicht auf Zement erreichen diese Baustoffe nach Angaben des Unternehmens eine CO2-Reduktion von bis zu 90 % im Vergleich zu herkömmlichem Beton. 

Auf dem Rückweg gerät der Pavillon wieder ins Gesichtsfeld, hinter ihm der dunkle Abendhimmel. Markiert er den Start einer Baustoffrevolution oder werden diese Produkte in der Nische bleiben? Das engagierte, enthusiastische Team von Oxara wäre bereit für die Skalierung. 

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