Die Stadt Zürich als Schulhauslabor
In den letzten Jahren sind in Zürich viele Schulhäuser entstanden. Immer umfangreicher werden die Wettbewerbsprogramme für Ersatzneubauten und Erweiterungen zum Bestand. Dabei wären in Zeiten der Innenverdichtung Mehrfachnutzung und Suffizienz angezeigt. Einige Projekte verfolgen neue, erfrischende Strategien – teils mit Erfolg.
Um der wachsenden Schülerzahl und den neuen Raumanforderungen nachzukommen, schrieb die Stadt Zürich im letzten Jahrzehnt zahlreiche Projektwettbewerbe aus. Der Wechsel zum Lehrplan 21, die Integration beeinträchtigter Kinder, neue Unterrichtsformate und der Ausbau zur Tagesschule «light» steigern den Raum- und Flächenverbrauch pro Kind seit Jahren. Eine Tendenz, die dem zunehmenden Wohnraum pro Kopf gleicht.
Am offensichtlichsten manifestiert sich der Massstabssprung bei der Sportinfrastruktur: Um den immer knapper werdenden Grünraum zu erhalten, bietet es sich an, Turnhallen in den Untergrund zu verlegen. Beispiele dafür sind die erstplatzierten Wettbewerbsbeiträge der Stadtzürcher Schulen «Utogrund», «Riedhof», «Sirius» und der kürzlich entschiedene Wettbewerb «Staudenbühl».
Wenn wir nun nicht jede Dreifachturnhalle vergraben wollen, müssen wir entweder deren Grössenverhältnisse akzeptieren und uns im städtischen Umfeld daran gewöhnen oder aber wir erarbeiten Schulkonzepte, die räumlich, finanziell und ökologisch nachhaltig und suffizient sind. Denn bestehende Areale lassen sich im Siedlungsgebiet nur selten vergrössern.
Oberirdische Bauten sind aus ökonomischer und ökologischer Sicht bekanntlich den Untergeschossen vorzuziehen: Bei der Schulanlage «Höckler» fand das Siegerteam um Büro Konstrukt eine Lösung, die Turnhallen bis ins Erdgeschoss zu führen, ohne dabei den Fussabdruck der Schulanlage zu vergrössern. Und das 2023 fertiggestellte Schulhaus «Allmend» von Studio Burkhart bricht aus Platzgründen mit der Konvention, dass Pausen- und Sportplätze ins Erdgeschoss gehören. Die Aussenräume befinden sich auf dem Dach.
➔ Einen guten Überblick über aktuelle Wettbewerbe und Projekte im Schulbau – nicht nur in Zürich – bietet unser E-Dossier «Schulen».
Was können wir also gegen aufgeblasene Wettbewerbsprogramme tun? Ein grosser Hebel ist die Mehrfachnutzung von Räumen. Dies fördert einerseits die Schule als öffentlichen Ort und schont andererseits Ressourcen. Mithilfe digitaler Unterstützung könnten neue räumliche Konzepte mit flexibler Zuordnung entwickelt werden, in der Schule, Betreuung und öffentliches Angebot stärker miteinander verschmelzen.
Der Anteil der Erschliessung an der Gesamtfläche ist in Schulen hoch – viel Raum dient nicht direkt dem Unterricht. Seit der Anpassung der Brandschutznormen im Jahr 2015 ist es möglich, Erschliessungsflächen zu möblieren und damit zu Unterrichts- oder Betreuungszwecken zu nutzen. So könnte die gesamte Schule – unter Berücksichtigung von Fluchtwegen und Schallschutz – als Lern- und Erholungsraum gesehen werden.
Multiplizierte Nutzungen
Vor dem Hintergrund schwankender Schülerzahlen – in Zürich stagnieren sie erstmals seit 30 Jahren – bieten sich Quartierräume für Mehrfachnutzungen an. Sie stärken die Schule als öffentlich zugängliches Gebäude. Als Wahl- und Abstimmungslokal oder als Versammlungsort für Gemeindefeste und Vereine, als Bibliothek, für Sport- und Musikanlässe und natürlich als allgemeinen Treffpunkt auf dem Schulhausplatz.
Ein wunderbares Beispiel für ein solches Konzept ist die 2019 fertiggestellte Stadtzürcher Schulanlage «Schütze» von Jonas Wüest Architekten, die neben der Primarschule einen Kindergarten, eine Sporthalle, einen Quartiertreff und eine öffentliche Bibliothek unter einem Dach vereint. Der vielfältige Freiraum von Planikum Landschaftsarchitekten dient als Quartierpark und ist ein bis abends stark frequentierter Ort. Die Bibliothek ist auch ausserhalb der Öffnungszeiten zugänglich, der Quartiertreff abends offen für Veranstaltungen. Mit den vier Eingängen signalisiert das Haus seine verschiedenen Nutzungen. Die Schule erscheint damit nicht als geschlossener Kosmos, sondern als zugänglicher Ort, der dem Lernen oder Zusammenleben dient – aber auch sich verändernde Nutzungen aufnehmen kann.
Genau so einen Ort schlug auch das Team Bessire Winter / DU Studio im Wettbewerb der Schwamendinger Schule «Saatlen» von 2021 vor: Es thematisierte das städtebauliche Projekt der neuen Autobahneinhausung und verstiess mit seinem Entwurf radikal gegen das Wettbewerbsprogramm. Die Planenden verschoben den Bauplatz und präsentierten einen «Mixed Use»-Bau mit Kino, Schule und Wohnen zur Aktivierung der Einhausung. Der Beitrag wurde zwar mit dem vierten Rang honoriert, konnte aber leider keine anhaltende Wirkung entfalten. Es ist eine interessante Vorstellung, einen Neubau für die städtebauliche Umdeutung eines sich verändernden Quartiers zu nutzen. Ein Ideenwettbewerb würde da vielleicht keine schnelle Lösung des Problems, dafür aber zukunftsweisende Vorschläge bringen.
Der Erfolg liegt in der Vorbereitung
Um innovative oder experimentelle Wettbewerbsvorschläge von Architekturschaffenden zu erhalten, müssen die Verantwortlichen im Vorfeld eines Wettbewerbs die Bedürfnisse koordinieren und nicht stur Räume addieren. Wenn die Auslobenden im Wettbewerbsprogramm unkonventionelle Lösungen wie Doppelnutzungen und Aussenerschliessung als echte Möglichkeiten nennen, entstehen innovative Vorschläge nicht nur auf Risiko der teilnehmenden Architekturbüros.
Zwar nicht auf Stadtzürcher Boden, aber im Kanton Zürich angesiedelt, wurde für die Schule «Wallrüti» in Winterthur im Wettbewerbsprogramm ein enger Kostenrahmen definiert. Schneider Studer Primas konnten mit ihrem Vorschlag für einen einfacheren, suffizienten Standard überzeugen, indem sie die Erschliessung in den Aussenraum legten und die Klassenzimmer quer zu den Fassaden anordneten. Dies bedeutet günstigeren, ungeheizten Erschliessungsraum, gleichzeitig aber auch dunklere Schulräume ohne Garderoben. Vor allem aber bedeutet es eine Anpassung des Status quo, die von allen Beteiligten mitgetragen werden muss. Innenverdichtung heisst also auch, dass die notwendigen Flächen für Schulen überdacht werden müssen – etwas, das im Wohnungsbau schon seit einigen Jahren diskutiert wird.
Schulraumplanung – sowie deren Bestellung –, aber auch pädagogisch-räumliche Konzepte und Richtlinien müssen deshalb weiterentwickelt werden. Über die ganze Schweiz lassen sich Tendenzen nicht so einfach festmachen, aber in den letzten Jahren diente die Stadt Zürich als wahres Laboratorium für Schulhausprojekte. Um Lösungen für die Zukunft zu finden, ist es jetzt an der Zeit, dass die öffentliche Hand von den neuen und innovativen Erkenntnissen Gebrauch macht und den Mut findet, die Wettbewerbsprogramme radikal neu zu formulieren.