SIA: Europäisches Planerinnen-Netzwerk auf dem Weg
Das Netzwerk Frau und SIA ging mit Vertreterinnen europäischer Frauennetzwerke aus Planungsberufen auf eine Schweizreise – auf der Tour wurden künftige länderübergreifende Aktivitäten geplant.
Im Juni 2015 hat das Netzwerk Frau und SIA-Kolleginnen aus europäischen Frauennetzwerken zu einem ungewöhnlichen Tagungsformat eingeladen: Thema der mehrtägigen Schweizreise war der Umgang von Planung und Architektur mit dem Alpentourismus. Parallel dazu stand auf strategischer Ebene der Austausch von Erfahrungen zu Themen wie Chancengleichheit, der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben oder Lobbying im Mittelpunkt.
Angeregt wurde die Idee des Austauschs auf europäischer Ebene durch den Kongress «Women in Architecture» 2012 in Hamburg. Ergebnisse der Reise sind einige konkrete Projekte, die durch internationale Arbeitsgruppen in den nächsten Monaten vorangetrieben werden sollen.
Auf der Reise waren rund 30 Vertreterinnen von neun verschiedenen Netzwerken aus Deutschland, Grossbritannien, Frankreich, Österreich und der Schweiz anwesend, die ebenfalls an einer Stärkung genderspezifischer Fragen in Bereich Planung, Architektur und Ingenieurwesen interessiert sind. Den Auftakt bildete eine rege besuchte öffentliche Podiumsdiskussion im Architekturforum Zürich mit dem Titel «Der Wert guter Architektur im Tourismus».
Am folgenden Tag ging es nach einer ersten Station am Freitag Flagship Store in Zürich West nach Luzern. An den Vorträgen der Luzerner Architektin Monika Jauch-Stolz und der Leiterin des Ressorts Denkmalpflege Theresia Gürtler Berger bekamen die Teilnehmerinnen einen kritisch-persönlichen Blick auf Luzern – eine der Schweizer Tourismusdestinationen. Nach diesen urbanen Spaziergängen endete der Freitag im Gotthardhospiz am Gotthardpass, das vor einigen Jahren von Miller Maranta zum Hotel umgebaut wurde.
Ortsbildpflege durch Tourismus?
Der dritte Tag stand im Zeichen gegensätzlicher Tourismuskonzepte. Er begann mit einer Führung durch das Ressort Andermatt. Das ambitionierte, international orientierte Projekt war ein deutlicher Kontrast zum nächsten Etappenziel, dem Hotel Furkablick auf dem Furka, das, wie in einen Dornröschenschlaf gefallen, an Reisegewohnheiten und Ästhetiken des frühen 20. Jahrhunderts erinnert.
Schliesslich warf das Projekt «Ferien im Baudenkmal» des Schweizer Heimatschutzes die Frage auf, wie Ortscharakter und traditionelles Handwerk im Windschatten des modernen Tourismusbetriebs bewahrt werden können. Den Abschluss bildete ein Vortrag über die Neuausrichtung der Schweizer Jugendherbergen. Von der Wertschätzung für zeitgenössische Architektur und Design konnten sich die Teilnehmerinnen in der Jugendherberge Interlaken überzeugen.
Der vierte Tag der Reise führte die Gruppe zunächst nach Biel, wo Ariane Widmer Pham, SIA-Vorstand und ehemalige Mitarbeiterin der Expo.02, die Landesausstellung im Vortrag wieder aufleben liess. Das vielseitige Programm bot ein breites Spektrum an Beispielen, um über die Auswirkungen des Tourismus auf unsere gebaute Schweizer Umwelt nachzudenken und zu diskutieren. Die Reise endete in Basel.
Verbände stärken Netzwerke
Zwei Workshops bildeten die strategisch-konzeptionelle Klammer des Programms: Im Workshop «informieren, präsentieren, austauschen» im Gotthardhospiz bestand Gelegenheit, die je unterschiedlichen Organisationsformen und Themenschwerpunkte der verschiedenen Netzwerke kennenzulernen.
Ergebnis war die Sammlung «brennender Themen»: Während bei gesellschaftlichen Themen wie Chancengleichheit und Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben in den unterschiedlichen Ländern weitgehende Übereinstimmung herrschte, offenbarten sich bei berufsspezifischen Themen wie dem Vergabewesen oder in der Organisationsform der Netzwerke grosse Unterschiede. So sind beispielsweise in Österreich, Grossbritannien und der Schweiz die Frauennetzwerke in die Berufsverbände eingebunden. Im Gegensatz dazu sind sie in Deutschland überwiegend als unabhängige Vereine organisiert, was ihre Position schwächt.
Der zweite Workshop der Reise fand im «Unternehmen Mitte» in Basel statt und trug das Motto «entwickeln, entwerfen, kooperieren». Den Auftakt bildete ein Vortrag der früheren RIBA-Präsidentin Angela Brady, die im Jahr 2000 «Women in Architecture» ins Leben gerufen hatte, eine Organisation, die heute in Grossbritannien fester Bestandteil der Organisation RIBA (Royal Institute of British Architects) ist. Seit ihrer Präsidentschaft betätigt sich Brady hauptsächlich als Medienschaffende. Im Vortrag zeigte sie auf, wie mittels Fernsehbeiträgen und Social-Media-Aktivitäten auf effiziente Weise Öffentlichkeitsarbeit betrieben und einem breiten Publikum Anliegen von Architektur und Planung vermittelt werden können.
Datenbank mit Planungsexpertinnen
Der Workshop selbst widmete sich der Frage, ob ein Austausch der Netzwerke auf der europäischen Ebene weiterverfolgt werden solle und wie ein solcher zukünftig aussehen könnte. Dabei zeigte sich schon bald, dass grosses Interesse an vertieftem Austausch zwischen den Ländern besteht und ein gemeinsames europäisches Netzwerk allseits gewünscht ist.
Daher ist geplant, am nächsten Netzwerke-Treffen in Wien im September 2016 das europäische Frauennetzwerk für Architektinnen, Planerinnen und Ingenieurinnen offiziell zu gründen. Zur Vorbereitung wurde eine Arbeitsgruppe gebildet. Erklärtes Ziel ist es, dass dem Netzwerk künftig auch solche aus anderen europäischen Ländern, insbesondere aus Nord-, Ost- und Südeuropa, beitreten.
Weitere Ergebnisse der Reisetagung sind der Aufbau einer Datenbank zu Expertinnen aus den Bereichen Planung, Architektur und Ingenieurwesen – nicht zuletzt mit dem Ziel, dem bei der Suche nach Kommissions- oder Jurymitgliedern verbreiteten Argument entgegentreten zu können, man finde dafür keine entsprechend qualifizierten Frauen.
«Meine Freundin ist Chefin»
Ferner bildete sich eine deutsch-schweizerisch-österreichische Gruppe, die in der bekannten Pixi-Kinderbuchreihe eine Sonderreihe lancieren möchte. Mit Heftthemen wie «Meine Freundin ist Architektin», «Meine Freundin ist Maurerin» oder «Meine Freundin ist Chefin» sollen weibliche Vorbilder und Rollenverständnisse im Bereich Planung, Bau- und Ingenieurwesen gestärkt bzw. differenziert werden.
Die gemeinsame Reise und die Workshops wurden in ehrenamtlichem Einsatz geplant und vorbereitet von Marianne Baumgartner, Alexa Bodammer, Anne Brandl, Melanie Franko und Franziska Plüss aus dem Netzwerk Frau und SIA.
Weitere Informationen zu der Studienreise und den europäischen Frauennetzwerken aus Architektur und Planung sind zu finden unter:
http://frau.sia.ch/grenzenlos