Schau­fas­sade für die Fors­chung

Aktive Solarfassade

Ein bestehendes Laborgebäude des Schweizerischen Zentrums für ­Elektronik und Mikrotechnik CSEM in Neuenburg hat eine neue Fassade erhalten. Sie dient als Aushängeschild für die hauseigene Forschung und präsentiert bifaziale, besonders effiziente PV-Zellen.

Date de publication
10-03-2016
Revision
25-05-2016

Das CSEM (Centre Suisse d’Electronique et de Microtechnique) in Neuenburg verfügt mit seinem Photovoltaik-Center über eine renommierte Forschungsabteilung im Bereich der Solartech­nologie. Hier wurden erstmals weisse und andersfarbige PV-Module entwickelt (vgl. «Überwältigende Vielfalt», TEC21 24/2014); für diese Innovation erhielt das CSEM im Januar den Schweizer Umweltpreis 2016. Als vor drei Jahren der Entscheid fiel, eines der CSEM-Gebäude instand zu setzen, lag es denn auch nah, im gleichen Zug eine grossflächige PV-Anlage in den Bau zu integrieren.

Vorgehängte PV-Fassade

Die beauftragten Architekten und die Projektverantwortlichen des CSEM haben mit dem PV-Produzenten Meyer Burger in Thun die Idee entwickelt, eine im ­Abstand von einem Meter vorgehängte PV-Installation als neue Südfassade einzusetzen. Hinter dieser PV-Wand liegt die bestehende, fensterlose Gebäudesüdmauer – fensterlos, da sich in diesem Bereich des Gebäudes Laboratorien befinden, in denen teilweise unter Reinraumbedingungen gearbeitet wird.

Die Ausrichtung nach Süden ist ideal, die Neigung der PV-Module an der vertikalen Wand hingegen nicht optimal; idealerweise betrüge sie in unseren Breitengraden ca. 30 % zur Horizontalen. Um den Abstand zwischen der PV-Fassade und der Gebäudemauer nicht ungenutzt zu lassen, verwendete man vom CSEM entwickelte, sogenannte bifaziale PV-Zellen. Deren Funktionsprinzip ist einfach: Das Sonnenlicht scheint durch die halbtransparente PV-Wand hindurch, wird an der mit einer silbrigen Farbe beschichteten Gebäudewand reflektiert und trifft zurück auf die Rückseite der PV-Zellen.

Auf diese Weise erhöht sich der Wirkungsgrad der PV-Wand um ein knappes Fünftel. Die quadratischen, dunklen PV-Zellen wurden in transparentes Sicherheitsglas eingebettet, um ein schönes Lichtspiel zu erreichen. Die 633 m2 grosse PV-Fassade – Metallstruktur und Module – wiegt 35 t; sie umfasst 210 PV-Module von 2.34 × 1.20 m mit je 66 PV-Zellen. Die Metallstruktur ist über vier Fixierungspunkte pro Modul in der Gebäudemauer verankert. Bei der Bemessung der Fixierung wurde ein besonderes Augenmerk auf die Windbelastung gelegt.

Neue Photovoltaiktechnologie

Die verwendeten PV-Zellen funktionieren auf der Basis der sogenannten Heteroübergangs-Technologie (engl. Heterojunction Technology, HJT), die bereits in den 1990er-Jahren in Japan entwickelt wurde. Das PV-Center des CSEM und der PV-Lab der EPFL haben die Technologie nach Ablauf des Patentschutzes weiter­entwickelt und in ihrer Wirkungsweise verfeinert. Für die Herstellung der technologisch neuartigen Module hat der Produzent Meyer Burger eine eigene Produk­tionslinie samt neuen Maschinen entwickelt.

Bei der HJT-Photozelle handelt es sich grob gesagt um einen Wafer aus kristallinem Silizium, der beidseitig mit extrem dünnen Schichten von amorphem Silizium (im Nanometerbereich) sowie einer transparenten und leitfähigen Antireflexionsschicht beschichtet wird.

Rückseitig erfolgt anschliessend das Auftragen sehr dünner Metallschichten, um die Reflexion und Leitfähigkeit zu erhöhen. Schliesslich wird noch die typische Gitterstruktur aus Silber angebracht, die den Strom ins Netz leitet. Diese Technologie erreicht dank ihrer Bifazialität einen höheren Wirkungsgrad als ­Standard-PV-Zellen auf Siliziumbasis: Im Idealfall wird nahezu das Doppelte der Sonnenlichtenergie in elektrische Energie umgewandelt.

Ein weiterer Vorteil ist das Temperaturverhalten: Der Leistungsabfall bei hohen Temperaturen ist gering. Zudem konnte der Anteil des für die Leitung der elektrischen Energie benötigten Silbers verringert werden, was Kosten spart.

Ist das rentabel?

Wegen der Neuheit der Technologie wird die Fassade zu Forschungszwecken beobachtet. Das CSEM wird kontinuierliche Messungen zur Bestimmung von Leistung und Wirkungsgrad in Funktion der meteorologischen Bedingungen durchführen; diese werden für die künftige Anwendung der Technologie nützlich sein. Auch die geschätzten Unterhaltskosten und Lebensdauer müssen über Erfahrungswerte bestätigt werden.

Die Präsentation von hauseigener Technologie auf 633 m2 ist ein Aushängeschild für das CSEM. Die Finanzierung erfolgte mit Unterstützung der Stadt Neuen­burg und Viteos, dem Marktführer im Sektor ­erneuerbare Energien in der Region. Doch wäre diese Technologie auch anderswo wirtschaftlich sinnvoll einsetzbar? Von der PV-Wand wird eine jährliche Leistung von 50–60 MWh erwartet, die direkt ins Netz von Viteos eingespeist wird.

Dies entspricht etwa dem Verbrauch von rund 15 Schweizer Modellhaushalten. Bei Energiekosten von ca. 21 Rappen für eine Kilowattstunde Strom resultiert ein Ertrag von knapp 13 000 Franken pro Jahr. In Anbetracht der Kosten von einer knappen Million Franken für die PV-Fassade ergibt sich eine sehr lange Amortisationsdauer.

Setzt man jedoch voraus, dass solche PV-Fassaden in Zukunft günstiger werden, weil die Technologie und die Maschinen für ihre Herstellung bereits zur Verfügung stehen, und bezieht man die «Sauberkeit» der Energie, die ästhetischen Vorteile und die positive öffentliche Wahrnehmung als nicht monetäre Mehrwerte mit ein, so lässt sich doch ein gewisses Rentabilitätspotenzial für eine solche Investition erahnen.

Weitere Informationen


Kosten Photovoltaikfassade
1 Mio. Fr.


Kosten übrige Gebäudeinstandsetzung
7 Mio. Fr.


Bauphase
Mitte 2014–September 2015


Leistung PV-Module
330 W pro Modul (210 Module), total 70 kW für die Vorderseite der PV-Fassade, plus weitere 10–20 % durch das reflektierte Sonnenlicht auf der Rückseite (geschätzt)


Jährlich produzierte Energie
50–60 MWh (geschätzt)

 


Die TEC21-Redaktion meint:

Die neue PV-Fassade des CSEM-Gebäudes mag eine beachtliche technische Leistung darstellen, in gestalterischer Hinsicht wirft sie dennoch Fragen auf. Ist es zu begrüssen, wenn ein Gebäude mitten in der Stadt dem öffentlichen Raum eine geschlossene, abweisende Fassade zuwendet? Zumindest auf der Fussgängerebene hätte man sich eine andere Haltung gewünscht.

Dass die alte Südfassade aus den 1990er-Jahren nicht viel freundlicher anmutete, ist ein schwacher Trost. Doch immerhin haben die mit der Ertüchtigung beauftragten Architekten – GD architectes aus Neuenburg – die neue Fassade als Chance genutzt, um die Setzung und die Kubatur des Gebäudes zu verbessern.

Die PV-Anlage ist so platziert, dass sie die gleiche Strassenflucht aufnimmt wie das Nachbarhaus; sie überragt die alte Südfassade bis zur Höhe der postmodernen Hauptfront auf der Westseite des Gebäudes, sodass dieses optisch als einheitlicher Kubus erscheint. Diese «Beruhigung» der Strassenfront und der Volumetrie stellt eine eindeutige Verbesserung des ästhetisch und städtebaulich eher dürftigen Bestands dar. Vermutlich war das auch die einzige Aufwertung, die aufgrund der gegebenen Bauaufgabe mit gestalterischen Mitteln möglich war.  Judit Solt, Chefredaktorin

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