Bauen in Zü­rich: zwis­chen Uto­pie und Re­sig­na­tion

Anlässlich der Hauptversammlung der SIA Sektion Zürich am 16. März 1988 hielt die damalige Stadträtin Ursula Koch ein Referat über die weitere Bauentwicklung von Zürich. Der «Schweizer Ingenieur und Architekt» hat den Vortrag in leicht überarbeiteter und gekürzter Fassung in der Ausgabe 25/1988 publiziert.

Date de publication
08-12-2017
Revision
08-12-2017

Der Begriff «Utopie» wird in unseren Breitengraden vor allem im Sinne von «unrealistisch» gebraucht. Ein Utopist zu sein, ist geradezu ein Schimpfwort. Utopien entstehen immer aus einer Situation des Mangels. Erst die Erfahrung eines Mangels an der erlebten Wirklichkeit bringt überhaupt utopisch-kritisches Bewusstsein hervor. Leider vergisst man, dass der Begriff «utopisch» vor allem jene positive Kraft der Vorstellung meint, welche die gesellschaftliche Entwicklung immer wieder vorwärtstreibt. Dass ich in bezug auf das Bauen in Zürich durchaus meine positiven, ja sogar utopischen Vorstellungen habe, werde ich Ihnen später darlegen. 

Damit wir uns im Moment besser verstehen, will ich den Begriff «utopisch» vorerst also im landläufigen Sinn von «unrealistisch» verwenden. Die Sehnsucht von Bauherren, Planern, Architekten und Politikern, Zürich nach Vorbildern anderer Städte zu gestalten, betrachte ich als utopisch. Wer begeistert von einer Reise zurückkommt und das Bauen in Zürich an demjenigen von Hongkong, Paris, Londing oder Tokio misst, kann nur Enttäuschungen erleben. Zürich ist nicht Singapur und nicht eine andere Weltstadt.

Zürich ist Zürich, eine mittelgrosse Stadt mit ihren eigenen historischen Gegebenheiten und Gesetzmässigkeiten, mit einer mehrheitlich konservativ eingestellten Bevölkerung. Wer in dieser Stadt tätig sein will, muss den Charakter und die Eigenart dieser Stadt anerkennen und gerne haben. Grosse städtebauliche Würfe werden in nächster Zeit in Zürich nicht gefragt sein. Städtebauliche Entwicklungsperspektiven, welche die in den Grundstückparzellen gespiegelten Eigentumsverhältnisse elegant ignorieren, gehören ins Reich der Utopien. Wer also sein Herz daran hängt, wird mit Sicherheit enttäuscht werden. Diese Feststellung ist nicht etwa eine negative Wertung. Ganz im Gegenteil: Solche städtebaulichen Gesamtlösungen wären durchaus erwünscht. Doch die Verhältnisse, die sind nicht so. 

Ebensowenig ist aber die resignative Haltung gerechtfertigt. Bauen in Zürich ist nach wie vor eine faszinierende Aufgabe, wenn man Abschied genommen hat von Grossstadtträumen und die Realitäten dieser Stadt als Herausforderung annimmt. Für gute Architekten und kultivierte Bauherren stellen sich heute ganz besondere Aufgaben. Die Bausünden der vergangenen Jahrzehnte sind wieder gutzumachen. Wer nur über die ach so einschränkenden Baugesetze klagt, mit dem Anwalt anstatt mit dem Architekten baut, wessen Mass aller Dinge die Ausnützung ist, hat resigniert. Gute Beispiele zeigen, dass für den motivierten Bauherren, der es versteht, einen Architekturkünstler zu engagieren, vielerlei Lorbeeren zu holen sind. Si ist die Resignation möglicherweise einfach die bequeme Ausrede, um die Herausforderung nicht annehmen zu müssen.

Zur Entwicklung der Stadt Zürich 

Die jüngste Geschichte unserer Stadt ist die Geschichte des Ausbaus der Zentrumsfunktion; eine Entwicklung, die nicht im ganzen Land gerne gesehen wird und deshalb den Namen Wasserkopf Zürich geprägt hat. Unter Zentralität verstehen wir eine doppelte Erscheinung: Auf der einen Seite wird die Stadt für das Umland immer besser erreichbar, und auf der anderen Seite greift die Stadt immer weiter ins Umland hinaus. Zentralität entwickelt sich also hauptsächlich parallel mit den Verkehrsverbindungen, die praktisch alle radial zur Stadt verlaufen.  Zürichs wirtschaftlicher Aufstieg begann mit der Eisenbahn. Ein Blick in die Eisenbahnkarte genügt. Nicht Ölten, Zürich ist das Herz der Eisenbahn-Schweiz. Und mit der Eisenbahn kam der erste grosse Zentralitätsschub. 

Die Ursache des zweiten Zentralitätsausbaus war das Flugzeug. Stellen Sie sich vor, der wichtigste schweizerische Flughafen wäre bei Bern gebaut worden Das Auto verursachte den dritten Schub. Zusammen mit den radialen National- und Kantonsstrassen verfügt die Region Zürich über das dichteste Strassennetz der Schweiz. Damit wurde die Zentralität der Stadt noch einmal entscheidend gesteigert. Es gibt übrigens Untersuchungen, die zeigen, dass die durchschnittliche Zeit, die für den täglichen Arbeitsweg aufgewendet wird, seit Jahren ungefähr konstant ist. Was sich hingegen geändert hat, ist die Strecke, die man in dieser Zeit zurücklegen kann. Das Einzugsgebiet der Stadt ist entsprechend gewachsen. Der nächste Zentralitätsschub kommt wieder per Eisenbahn: S-Bahn und Bahn 2000. Man kann dann problemlos in Basel wohnen und in Zürich arbeiten. Es fragt sich nur: problemlos für wen? Auf keinen Fall problemlos für die Stadt Zürich und ihre Bewohnerinnen und Bewohner. Ohne im einzelnen näher darauf einzugehen, nenne ich einige Stichworte. Die Sache an sich ist schon vielfach dargelegt und diskutiert worden: 

  • Ungleichgewicht zwischen Wohnen und Arbeiten
  • Überbelastung der Stadt an zentralen Infrastruktur-Einrichtungen, gemessen an der Zahl der Bewohner, die sie nicht nur finanziell tragen müssen 
  • Verdrängung der wirtschaftlich Schwächeren und Arbeitsplatzmonokultur des tertiären Sektors
  • Verlust an Lebensqualität durch Übernutzung der natürlichen Ressourcen und
  • Verlust an echter Urbanität. 

Die Liste könnte fortgesetzt werden. Am eindrücklichsten kommen sie in den unzähligen Briefen von besorgten Bürgerinnen und Bürgern an die sehr geehrte Frau Stadträtin und den sehr geehrten Herrn Stadtrat zum Ausdruck, die sich über den Lärm, den Verkehr, die schlechte Luft, die neue Parkgarage im Wohnquartier, über das neue Bauprojekt, das Fällen von Bäumen im Nachbargarten usw. beklagen und die selbstverständlich hoffen, wünschen, verlangen und fordern, dass wir alle ihre Probleme sofort lösen.

Wir wollen aber auch die vielen Pluspunkte nicht vergessen: Noch nie ist es uns Zürchern materiell besser gegangen als heute. Wir sind die Neureichen Europas geworden. Und: In der Stadt wohnen bedeutet, eine grosse Auswahl an vielerlei Aktivitäten beruflicher und kultureller Art und damit viele Freiheitsgrade zu haben. Dennoch: Die Trends sind klar gesetzt. Wir wissen, was geschieht, wenn nichts geschieht. Noch weniger Einwohner, noch mehr Arbeitsplätze, noch mehr Belastung der Infrastruktur, noch schlechtere Umweltbedingungen und eine nach Arbeitsschluss verödete City. Wir wissen, dass diese Entwicklung vom grössten Teil der Zürcher Bevölkerung nicht gewünscht wird und dass wir Politikerinnen und Politiker beauftragt sind, etwas dagegen zu tun, Gegensteuer zu geben. 

Wohnstadt Zürich in der Arbeitsregion Zürich 

Zürich soll die Wohnstadt der Arbeitsregion Zürich werden. Anzustreben ist also 1. eine Stabilisierung der Zahl der Arbeitsplätze in der Stadt Zürich und Ansiedlung von Dienstleistungsarbeitsplätzen auch in der Region, wo viele der Arbeitnehmerinnen wohnen, und 2. Stabilisierung und später vielleicht gar eine leichte Zunahme der Wohnbevölkerung in der Stadt Zürich. Kurz: Trendumkehr. 

Wie ist eine Trendumkehr zu erreichen? Vorerst noch eine wichtige Feststellung: Wenn immer behauptet wird, die Ansiedlung von Dienstleislungs-Arbeitsplätzen in der Region führe zu einem Ausbluten der Stadt Zürich, wenn man uns immer damit droht, dass wichtige Firmen die Stadt Zürich verlassen würden, wenn wir nicht dies oder jenes tun würden, so sprechen die Tatsachen eine andere Sprache: Die Attraktivität des Standortes Zürich ist offenbar nach wie vor so gross, dass für jeden Betrieb, der Zürich verlässt, fünf andere anstehen, um nach Zürich zu kommen. Zwischen 1975 und 1985 sind 21000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden; das entspricht einer Zunahme von 6,8%. 

Nochmals, wie ist Trendumkehr zu erreichen? 

Ich beschränke mich auf jene Aspekte einer Gesamtpolitik, die mir selber wichtig sind. Ich nehme auch an, dass Sie sich als Baufachleute ebenfalls dafür interessieren. Abschied vom Monokulturdenken. Das heisst, wir sollten aufhören, die Stadt nur als Zusammensetzspiel von Gebieten mit nur einer Nutzung zu verstehen. Hier Dienstleistung, dort Wohnen. Wir müssen eine Durchmischung verschiedener Nutzungsarten anstreben. Dienstleistungsgebiete mit einem Wohnanteil null sind nicht mehr erwünscht, schon wegen dem Verkehrsaufkommen nicht. 

Die Stadt muss wieder bewohnerfreundlich gemacht werden. Das heisst, wir wollen die Lebensqualität, die in den letzten Jahren bedenklich gesunken ist, wieder heben. Dazu gibt es zwei Mittel: Die Steigerung der Wohnqualität als Ergebnis der umweltpolitischen Massnahmen und die Förderung einer echten Urbanität. Urbanität heisst, die Stadt als öffentlichen Begegnungsraum verstehen, heisst, sie nicht länger bloss als Kulisse zu gebrauchen. Zürich ist mehr als hier eine Arbeitssladt, die am Abend ausgestorben wirkt, und ein Rummelplatz dort. Die Stadt muss ein ausgezeichneter Platz, ein Wohnort sein, der sich von der Umgebung, der Agglomeration abhebt, seine städtischen Qualitäten zeigt und ausgestaltet und in dem wir zuhause und verwurzelt sind. Die Stadt gehört den Urbaniten. Wenn ich mehr Lebensqualität fordere, meine ich damit nicht mehr Dörflichkeit und agglomeratorischen Einheitsbrei von Ungestaltetem, Zufälligem und Orientierungslosem. Gute Luft, weniger Lärm und mehr Grünräume in einer Stadt hat nichts mit Ländlichkeit zu tun, sondern viel mit bewusstem Gestalten des urbanen Raums.

Zürich braucht endlich wieder eine Baukultur. Wir müssen an unsere Bauten höhere Qualitätsansprüche stellen. Wer gute Architektur will, muss vor allem etwas gegen die schlechte tun. Es geht nicht nur um das künstliche Erzeugen von wenigen Spitzenleistungen, versteckt und schwer zu finden in der ganzen Stadt, als vielmehr um das Verhindern des massenhaft anzutreffen den Ungenügenden. In unseren Bauten beweisen wir unser kulturelles Bewusstsein und unsere kulturelle Verantwortung viel nachhaltiger und dauerhafter als in vielen anderen kulturellen Anstrengungen, die nur für den Tag Bestand haben müssen. 

Die Zeit des schnellen Machens ist vorbei. Wir werden in Zürich in den nächsten Jahren kein quantitatives Wachstum, sondern grosse qualitative Verbesserungen benötigen. Die Stadt ist gebaut. Sie muss nicht neu-, sondern umgebaut werden. Umgebaut zu einem lebenswerteren Zürich, mit hohen urbanen Qualitäten. 

Einige in dieser Stadt müssen Abschied nehmen von ihren Weltstadtneurosen. Wir leben über unseren Verhältnissen. Zürich ist gross genug. Wir brauchen mehr Lebensqualität, nicht mehr Rekorde. Das heisst, wir müssen unsere Geschichte und das, was sie uns baulich hinterlassen hat, anerkennen. Die Stadt ist nur die Jetztform eines jahrhundertealten Prozesses. Diese gewachsenen Strukturen müssen wir respektieren, nicht sprengen. Baukultur bedeutet, mit der gebauten Stadt in einen Dialog treten. Nur wer dazu willens und fähig ist, sollte in Zürich bauen dürfen. 

Welches sind die Rahmenbedingungen, innerhalb derer wir operieren? So wenig wie die Natur, so wenig machen auch die Städte Sprünge. Es gibt keine plötzlichen Kehrtwendungen innerhalb der Stadtentwicklung, es gibt nur langsame und mühselige Prozesse. Was wir aber tun können, ist durch Behinderung des Unerwünschten und Förderung des Erwünschten eine Trendumkehr einleiten. 

Zürich als Wohnstadt in der Arbeitsregion Zürich ist ein politisches Programm. Um diese Zielsetzung zu realisieren, braucht es nicht nur einen deutlichen politischen Willen, sondern auch eine demokratische Mehrheit. Diese Mehrheit - da bin ich optimistisch - wird sich auch finden lassen. 

Stichwort «Architektursituation» 

Prinz Charles von England soll einmal gesagt haben, die Architekten hätten London mehr zerstört als der Zweite Weltkrieg. Dies gilt nicht für Zürich, weil Zürich keinen Weltkrieg erlebt hat. Die Zerstörung ging bei uns lautloser, schleichender voran, sie war sauber über Jahrzehnte verteilt. Man hat sich langsam daran gewöhnt, ist irgendwie unzufrieden und unglücklich, verspürt eine Sehnsucht nach Intaktheit, Schönheit und Qualität. Es ist sicher falsch, die Architekten allein für bauliche Qualität unserer Städte verantwortlich zu machen. Bauherren und die öffentliche Hand trugen das ihre bei. Immerhin ist festzustellen, dass nach 1950 etwa die Hälfte der Baiisubslan: in der Stadt verändert wurde. Die Qualität dieser Veränderung war schlecht, gebauter Kram, wie Rudolf Schilling sagt, billig und schnell hingeklotzt. 

Wenn sich aber heute eine ablehnende Haltung breiter Bevölkerungskreise gegen jedes neue Bauwerk manifestiert, ist dies nur die Reaktion auf die Sünden der letzten Jahrzehnte. Eines aber scheint mir besonders belonenswert: 1988 ist nicht 1968. Die Zeiten der grossen Aufbrüche sind im Moment vorbei. In Richtung neue Gesellschaft ist sie vorbei und in Richtung schnelles Geld wird sie es hoffentlich bald sein. Die Machergeneration der Architekten hat sich verbraucht. Die heilige Dreieinigkeit von schneller, grösser, höher ist nicht länger gefragt. 

Was wir wirklich brauchen, ist Baukunst, nicht länger Baumasse. Das heisst also, wir brauchen wieder Architekten und Planer, die mehr können als zusammenzählen und organisieren. Wir brauchen wieder Baukünstler im guten Sinne. Nicht weltfremde Wolkenschieber, aber Leute, die mit ihrer Aufgabe ringen. Entwerfer, die sich nicht mit dem Banalen zufriedengeben. Vergessen Sie nicht, dass wir in einer Zeit leben, die den Architekten mit wachsendem Misstrauen auf die Finger schaut. Nicht ohne Grund, wie Sie sich auf einem Spaziergang durch die Stadt selber überzeugen können. Dasselbe gilt auch für die Bauherrschaften. Einhalten der Kostenvoranschläge und termingerechte Lieferungen sind nicht mehr allein seligmachend. Es braucht mehr: Wahrnehmung der kulturellen Verantwortung. Diese ist immer, wie jede kulturelle Tat, mit Verzicht verbunden, in unserem Falle zwar nicht immer, aber vielleicht manchmal sogar Verzicht auf die maximale Ausnutzung. An ihren Bauten werdet Ihr sie erkennen!

Wer meint, in Zürich im Stile der sechziger und siebziger Jahre bauen zu können, mit derselben fidelen Wurstigkeit, hat Illusionen. Wir verlangen mehr Qualität und versuchen diese auch durchzusetzen. Der Architekt der Gegenwart muss in erster Linie Kulturschaffender, Künstler sein. Er versucht sein Projekt im Dialog mit der Umgebung so zu gestalten, dass eine gute Einordnung resultiert, was unter keinen Umständen nur Anpassung, nur Unterordnung unter das Vorhandene sein muss. Ganz im Gegenteil: Die genaue Analyse der Umgebung kann durchaus zu spannungsvollen Bauten führen, die eine Weiterentwicklung und ein gehaltvolles Zeichen unserer Zeit sein können. Ich bin gewillt, die mir zur Verfügung stehenden Instrumente so einsetzen, dass die Qualität des Bauens erhöht, die Stadtstruktur respektiert und die städtische Lebensqualität verbessert wird.

Stichworte «Stadtentwicklung und Städtebau»

Verschiedene Verwaltungsabteilungen, Kommissionen und Gremien haben Einfluss auf die Planung, auf Stadtentwicklung und städtebauliche Fragen. Die Abteilung, die sich mit der Bau- und Zonenordnung befasst, das Büro für Begutachtungen, das Baukollegium, die Denkmalpflege, aber auch die Durchführung von Wettbewerben gehören dazu.

Im Bauamt II wurden der Zonenplan und die Bauordnung nach der öffentlichen Auflage neu bearbeitet. Gemäss den übergeordneten Zielsetzungen, wie Stabilisierung der Bevölkerungszahl, Stabilisierung der Anzahl Arbeitsplätze, Erhaltung der Stadtstruktur, Verbesserung der Wohnqualität, wurden verschiedene Änderungen vorgenommen, die schliesslich noch dieses Jahr vom Gemeinderat beraten werden.

Eine Stadt existiert aber nicht nur in Plänen, sozusagen in der zweiten Dimension. Was wir brauchen, sind räumliche Vorstellungen. Es ist deshalb meine feste Absicht, im Sinne der Stadt- und Quartierbildstudien der Stadt St. Gallen auch in Zürich vermehrt Vorstudien ausarbeiten zu lassen für diejenigen Gebiete, in denen bauliche Veränderungen voraussehbar sind. Dabei denken wir nicht an genau fixierte Projekte, sondern an Studien, die einen grossen Spielraum offenlassen, die städtebauliche Relevanz des Ortes aber beschreiben und dokumentieren. Wir sollten mit unseren städtebaulichen Vorstellungen immer eine Nasenlänge voraus sein. Private Bauherren sehen sich dann mit diesen Entwürfen konfrontiert, und sie werden diese bei ihrer Projektierung mit Vorteil einbeziehen, wenn sie schneller zum Ziel kommen wollen. Sobald die Bau- und Zonenordnung für uns abgeschlossen ist, möchten wir solche städtebaulichen Studien machen. 

Stichwort «Büro für Begutachtungen» 

Das Büro für Begutachtungen hat die Aufgabe, die Baugesuche hinsichtlich der architektonischen und städtebaulichen Einordnung zu begutachten. Aber das architektonische Gebilde Stadt ist in der Krise, wie u.a. die Bilder gezeigt haben. Stadtbildprägend sind bauliche Billigware als Resultat von Investitionsstralegien, aber auch und vor allem Bauten für Verkehr, Transport und andere Infrastrukturanlagen. Die Feststellung, dass die gesetzlich verankerten Gestaltungs-Anforderungen des Paragr. 238 PBG sich bis heute kaum durchgesetzt haben, stimmt. Paragr. 238 sei offenbar ein Gummiparagraph, gut genug für die heutige Gummiarchitektur und nichts wert, wird häufig geklagt. Hand aufs Herz, wer kennt ihn wirklich? 

«Bauten, Anlagen und Umschwung sind für sich und in ihrem Zusammenhang mit der baulichen und landschaftlichen Umgebung im ganzen und in ihren einzelnen Teilen so zu gestalten, dass eine befriedigende Gesamtwirkung erreicht wird; diese Anforderung gilt auch für Material und Farben.» Es ist nicht nur die Pflicht von Architekten und Bauherren, eine befriedigende Einordnung ihrer Bauten anzustreben, sondern auch eine Aufgabe der Baubewilligungsbehörden, Bauten und Anlagen zu verweigern, die sich unbefriedigend einfügen. Natürlich ist hier ein grosser subjektiver Interpretationsspielraum gegeben. Was heisst schon befriedigend? Ordnen sich die folgenden Bauten befriedigend ein? Ich würde dies verneinen, dennoch wurden sie gebaut und stehen heute da und schmerzen. Ich habe den Eindruck, dass bis heute sowohl die Baubewilligungsbehörden wie auch die Gerichte nicht genügend getan haben, um aus dem Gummiparagraphen 238 ein echtes Instrument zur Stadtgestaltung zu machen.

In früheren Jahren wurden zu viele hässliche Bauwerke bewilligt, die sich nur unbefriedigend eingliedern. Ich habe, stellvertretend für die Allgemeinheit, den Stadtbaumeister und das Büro für Begutachtung zu ermuntern und zu unterstützen in ihren Bemühungen, die Qualitätsskala nach unten nicht einfach offen zu lassen, sondern Qualitätsansprüche zu stellen. Und wenn unsere Verweigerungen in Rekursen angefochten werden und wir bei der Baurekurskommission II nicht Recht bekommen, werden wir vermehrt, im Interesse der ganzen Stadt, das Verwaltungsgericht anrufen. Wo wir aber gute Einordnung verlangen dürfen (Kernzonen, Arealüberbauungen usw.) sind wir gewillt, den Spielraum zugunsten der Qualität auszunützen, auch wenn dies für viele Architekten ein Ärgernis bedeutet, wenn ein Kollege, dazu noch ein Beamter, die Qualität ihrer Projekte beurteilt und manchmal bemängelt. Eine ebenso wichtige Aufgabe ist die Beurteilung und Bewilligung von Reklamegesuchen. Leider wird in unserer Stadt in dieser Hinsicht viel gesündigt. Ich denke, dass Architekten eine grossen Einfluss auf Bauherren hätten und diese in ästhetischer Hinsicht beraten könnten. Jede Reklame, die nicht geklebt wird, ist ein Gewinn. 

Stichwort Baukollegium 

Das Baukollegium ist ein den Stadtrat und die Bausektion II beratendes Gremium, welches die wichtigen Bauwerke, die Gestaltungspläne und die Arealüberbauungen in städtebaulicher Hinsicht begutachtet und seine Empfehlungen formuliert. Ich bin über das grosse Engagement für unsere Stadt und die Ernsthaftigkeit der Arbeit der Mitglieder dieser Kommission sehr erfreut. Was doch einigermassen verwundert, ist das Echo, welches die Arbeitsweise des Baukollegiums in letzter Zeit ausgelöst hat. Bis auf drei Mitglieder, welche ganz zu Beginn meiner Amtsdauer neu dazu gekommen sind, ist die Zusammensetzung des Baukollegiums dieselbe wie früher. Nun hat es einen politisch nicht genehmen Entscheid gefällt: Es hat sich gegen das jetzt vorliegende Projekt HB-Südwest auf eine sehr differenzierte und doch deutliche Art und Weise nach langer, gründlicher und intensiver Arbeit ausgesprochen. Anstatt dass man sich nun mit diesem städtebaulich und architektonisch völlig unmöglichen Projekt intensiv befasst, versucht man, die Mitglieder des Baukollegiums zu diffamieren, indem man ihnen unlautere Motive unterschiebt. Diese altbekannte Manier der Diffamierung anstatt der sachlichen Auseinandersetzung ist schlechter politischer Stil, wird das Baukollegium aber nicht davon abhalten, nach bestem Wissen und Gewissen im Dienste unserer Stadt zu arbeiten. 

Stichwort «Wettbewerbe» 

Wo die Stadt selber als Bauherrin auftritt, muss sie möglichst vorbildlich handeln. Deshalb werden, wenn immer möglich und sinnvoll, Wettbewerbe durchgeführt, in der Hoffnung, die bestmöglichsten Projekte zu erhalten. Ein Wettbewerb ist aber nur so gut wie die Vorbereitung des Programms und die Jury. Um die Architekturdiskussion zu verbreiten, sollen Experimente mit öffentlicher Jurierung von Wettbewerben gemacht werden. Damit wird einer interessierten Öffentlichkeit Einblick in den Werdegang eines Projekts und die Kriterien der Jury gegeben. Die Akzeptanz eines Bauwerkes bei der Quartierbevölkerung kann auf diese Weise gefördert werden. 

Ob sich diese Form der Jurierung bewährt, wird sich am Projekt Quartierzentrum Schwamendingen zeigen. Ich bin mir bewusst, dass es keine demokratische Architektur gibt. Aber durch eine Architekturdiskussion kann das Verständnis für diese Kunst gefördert und verbreitet werden. Wenn das Neue wirklich besser ist als das Alte, kann die angstvolle Abwehr breiter Bevölkerungsschichten gegen Neubauten abgebaut werden. Eigentlich ist die heftige Ablehnung schlechter Bauten durch die Bevölkerung doch eine gesunde Reaktion. Die Menschen sehnen sich nach schönen Häusern. Leider können sie sich häufig nur noch an dem orientieren, was vor den happy sechziger Jahren gebaut wurde. Die Verbesserung der baulichen Qualität ist ein langsamer Prozess, welcher Jahre dauern wird, und ein täglicher Kampf, der im Interesse der Öffentlichkeit zu führen ist. 

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