Minimale Kosten, maximale Ansprüche
Rückschau auf das Podiumsgespräch
Mit welchen Massnahmen lässt sich unter den derzeitigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bezahlbarer Wohnungsbau produzieren – ohne qualitative Abstriche? Unter dieser Devise stand in Wien Ende November/Anfang Dezember das Symposium «Minimal Maximal».
Voneinander lernen – das stand im Mittelpunkt der Veranstaltung, die vom Ausschuss der Ziviltechnikerinnen, der Ziviltechnikerkammer und von «Frau und SIA» in Kooperation mit der TU Wien und der Schweizerischen Botschaft in Österreich durchgeführt wurde. Welche Ansätze für kostengünstiges Wohnen gibt es in den beiden Ländern? Welche wären auf das Nachbarland übertragbar, wo schlummert weiteres Potenzial?
Dichte als Motivation
Die Ursachen für hohe Wohnbaukosten lägen weitgehend ausserhalb der Einflusssphäre der Architekten, stellte Architektin Anna Popelka (PPAG) eingangs fest. Es sei ernüchternd, wie derzeit nach dem Motto «Arm soll auch arm aussehen» auf den Kostendruck reagiert werde. Selbst in Wien, der Hauptstadt des sozialen Wohnbaus, sei Virtuosität im Umgang mit knappen Budgets kaum noch gefragt. Um dieser Tendenz gegenzusteuern, sollten Architekten die Gründe kennen. Ein enormer Preishebel sei die Dichte, für viele ein Schreckgespenst, für PPAG aber durchaus positiv besetzt, wie sie anhand eigener Wohnerfahrungen und Projekte in ihrem Impulsreferat darlegte.
Hügelförmige Konfigurationen, die Strassenraum und Nachbarschaft weniger beschatten als ein Blockrand, mit einer äusseren Kruste aus Wohnungen mit vorgelagerten Terrassen und Gärten und innen Gewerbe- und Sportflächen sind ein Vorschlag, der in Wien-Simmering bereits realisiert wurde. Ihr Modell der «elastischen Wohnung» gruppiert acht Zellen um einen grossen Wohnraum: Küche, Bad und Abstellraum plus fünf, die je nach Anforderung als abgeschlossene Minizimmer dienen, flexibel koppelbar sind oder einfach den Wohnraum erweitern. Wohnungen jenseits üblicher Zuschnitte versuchten sie in jedem ihrer Projekte anzubieten. Auch wenn nicht jedermanns Sache, fänden sich dafür stets Liebhaber, die dann umso zufriedener seien. «Wir glauben an den volkswirtschaftlichen Nutzen von hoher Wohnzufriedenheit», so Anna Popelka.
Klug organisierter Raum
Wie die Stadt Wien, die nach zehnjähriger Abstinenz 2015 beschlossen hat, wieder selbst Wohnbauten zu errichten, ist auch die Stadt Zürich verstärkt als Wohnungsbauherrin aktiv. Ein Projekt entsteht derzeit im noblen Zürcher Seefeld, wo 100 m² üblicherweise mit 3000 Fr. Miete zu Buche schlagen. Nur 1700 Fr. werden es für eine gleich grosse 4.5-Zimmer-Wohnung in der Siedlung Hornbach von Knapkiewicz & Fickert sein – ein Beitrag zur sozialen Durchmischung im gentrifizierten Stadtteil.
Inhaltlich mit Parallelen zu PPAG, aber formal völlig anders wird auf Nutzungsmix mit Gewerbeflächen, einem Werkhof, Hort und Kindergarten sowie flexibel nutzbare, klug organisierte Wohnungsgrundrisse gesetzt. Geschickt angeordnete Loggien verschaffen den Wohnungen Seeblick. Ein Hallenraum, um den die Zimmer angeordnet sind, übernimmt Funktionen als Zentrum der Wohnung und sämtliche Erschliessungsaufgaben. Somit entfallen die Gänge, und es bleibt auf weniger Fläche mehr Wohnraum.
Partizipation der Bewohner
Ausgereizt wurden die neuen Wohnformen bei den Genossenschaftsprojekten Kalkbreite (Müller Sigrist Architekten) und Zollhaus (Enzmann Fischer und Partner): Clusterwohnungen, Grosshaushalt und Jokerzimmer, im Zollhaus auch «Molekulares Wohnen» – zusammenschaltbare Wohnungstypen – sowie rund 300 m² grosse, von Mietergruppen nach eigenen Bedürfnissen ausbaubare Hallenwohnungen. Sabine Wolf, Projektleiterin der «Plattform Genossenschaften», erläuterte den jeweils von einer «generischen Partizipation» getriebenen, straff durchorchestrierten Projektentwicklungsprozess, wo die Bedürfnisse der Gemeinschaft in ein Architekturprogramm übersetzt werden und klare Regeln vorgeben, was die Architekten und Stadtplanern zu leisten haben und was bei den Bewohnern liegt.
Solche Projekte bedürfen eines hohen Koordinationsaufwands und verlangen Ergebnisoffenheit, Mut und Vertrauen auf Bauherrenseite. Dem gegenüber stehen der Gewinn an Ideenvielfalt, ein hohes Innovationspotenzial, die Möglichkeit, ganzheitliche Konzepte zu entwickeln, und eine hohe Identifika-tion der Bewohnerschaft. Günstige Mieten entstehen dadurch, dass Funktionen aus der individuellen Wohnung ausgelagert und gemeinschaftlich geteilt werden. Während im Zürcher Durchschnitt die Wohnfläche pro Person 45 m² beträgt, sind es in der Kalkbreite 31.5 m² – im Zollhaus gar nur 29.8 m² inklusive der Gemeinschaftsflächen.
Auch in Wien durch Auslagerung in Gemeinschaftsbereiche noch mehr an der Wohnfläche pro Kopf zu sparen, hielt die Soziologin Eva Bauer, wohnwirtschaftliche Referentin des Österreichischen Verbands gemeinnütziger Bauvereinigungen, nicht für wünschenswert. Wohnungen in Wien seien bereits weitaus kleiner als in Zürich und wohl auch deshalb die Flucht ins Eigenheim in Österreich grösser als in der Schweiz. Das in Wien seit 2012 lancierte städtische Wohnbauprogramm «SMART-Wohnen» setzt auf günstige Mieten und geringe Baukosten durch Reduktion der Wohnfläche. Eine Dreizimmerwohnung ist zum Beispiel auf 70 m² limitiert. Die Mieten dafür betragen (inkl. Betriebskosten und MwSt., exkl. Heizung und Warmwasser) max. 7.50 Euro (ca. 8.80 Fr.) pro m².
Das mag aus Schweizer Sicht lächerlich gering erscheinen, aber es seien im Verhältnis zwischen Mieten und Einkommen die Unterschiede zwischen beiden Ländern nicht gravierend. In Zürich sei aber der Preisunterschied zwischen gemeinnützigem und privatem Wohnen weitaus grösser als in Wien, wo der geförderte und kommunale Wohnungsbau das Mietniveau günstig beeinflusse (Anm.: 60 % der Wiener Bevölkerung leben in geförderten oder in einer der 220 000 gemeindeeigenen Wohnungen). «Wer in Wien Günstiges sucht, wird fündig, muss aber Abstriche – besonders bei der Wohnungsgrösse – hinnehmen.»
Preistreiber
Die schlimmsten Preistreiber, meinten alle Diskutantinnen, seien die Grundstückspreise, aber auch die in beiden Ländern hohen energetischen Standards. «Bei den energetischen Massnahmen haben wir in der Schweiz den Gipfel des Übertreibens zum Glück schon längst überschritten», meinte Architektin und SIA-Vorstandsmitglied Anna Suter. Es sei nicht mehr angesagt, so viel in technische Massnahmen hineinzubuttern, wie das auch schon der Fall war, und man müsse bedenken, dass mit der Nutzung des Bestands graue Energie eingespart werde.
Bauten aus der Zeit vor der Ölkrise auf Minergie-Standard zu trimmen sei sinnlos, aber es sei möglich, sie auf ökologisch vertretbare Weise zu sanieren. Man komme nicht umhin, sich um die Ressource Fläche Gedanken zu machen, betonte Sabine Wolf. Es sei jedoch schwer zu vermitteln, wenn plötzlich nur noch 30 statt 60 m² pro Kopf zur Verfügung stehen. Wenn die Verkleinerung des individuellen Wohnraums aber mit entsprechenden gemeinschaftlichen Flächen, die das fehlende Arbeits- oder Gästezimmer kompensieren, einhergehe, werde sie nicht mehr als Verzicht empfunden.
Die Wiener Bauträgerin Barbara Fritsch-Raffelsberger gab zu bedenken, dass beim bezahlbaren Wohnungsbau in Wien wenig Spielraum für besondere Ideen sei. Sobald gewohnte Pfade verlassen werden und Generalunternehmer Dinge umsetzen sollen, die sie noch nicht kennen, kämen «Angstzuschläge» zum Tragen. Spannend finde sie die neuen Ansätze allemal. So fungiere ihr Unternehmen als Bauträgerin einer Baugruppe beim Wiener Hauptbahn-
hof. Auf mehrere Jahre angelegte Partizipationsprojekte seien keine mehrheitstauglichen Modelle. Aber soziologische Betreuung und Partizipation sei auch im konventionellen geförderten Wohnbau unumgänglich. «Es funktioniert nicht, wenn man den Leuten einen Yogaraum und eine Bibliothek vorgibt.»
Ob mit oder ohne Partizipation – innovative Wohntypologien wie Clusterwohnungen sind in der Wiener Wohnbauförderung nicht vorgesehen. Sie müssen als Heim tituliert werden, womit allerdings der Anspruch auf Mietbeihilfe wegfällt. Kleine Änderungen in den Förderrichtlinien würden es ermöglichen, grössere Gemeinschaftswohnformen im geförderten Wiener Wohnbau zu integrieren.
Notwendige Erneuerungen
Es lohnt sich, andere Planungskulturen zu betrachten. So sind Vorsatzschalen bei Wohnungstrennwänden aus Stahlbeton in Berlin kein Thema, in Wien bislang aus thermischen Gründen obligat. Ihr Effekt ist gering, darauf zu verzichten spart Kosten und erhöht die Nutzfläche. Erst im Vergleich wurde der Wiener Unsinn bewusst und ist mittlerweile so gut wie abgeschafft. Es gehe aber nicht nur ums Weglassen, «wir kommen nicht darum herum, die Dinge ständig neu zu denken», betonte Popelka. «Experiment» sei ein Killerwort, das bei Politik und Bauwirtschaft nicht gut ankomme. «Nennen wir es notwendige Erneuerung!»
Diese ist auf breiterer Basis vonnöten, herrschte nach der Podiumsdiskussion und den tags darauf abgehaltenen vertiefenden Workshops Einigkeit: Umverteilung, aktive Bodenpolitik, Mobilitätskonzepte, Belegungsvorschriften oder das Hinterfragen diverser Standards. Hier wäre wünschenswert, dass sie nicht die Lösung vorgeben, sondern das Schutzziel formulieren, womit kreative Lösungen möglich werden. Die beste Effizienz ist durch Kombinationen mehrerer Strategien zu erwarten.