Raum al­lein bringt nichts

Siedlungsentwicklung nach innen ist politisches Gebot. Doch die Pandemie zeigt, dass bauliche Verdichtung allein keine nachhaltige Lösung ist. Es braucht auch Qualität – und engagierte Nutzerinnen und Nutzer.

Date de publication
27-11-2020

Die erste Welle der Covid-19-Pandemie im Frühling 2020 hat es gezeigt, die zweite Welle im Herbst bestätigt es: Wenn mehr Menschen im Homeoffice tätig sind, Kultureinrichtungen und Gastronomiebetriebe geschlossen werden, Freizeitaktivitäten reduziert sind und Ferienreisen abgesagt werden müssen – kurz, wenn die Menschen vermehrt zu Hause bleiben, dann bedeutet das einen Härtetest für ihr Wohnumfeld.

Was funktioniert, was nicht?

Für eine solche Dichte an Menschen und Nutzungen sind unsere Wohnungen, Häuser und Quartiere in der Regel nicht ausgelegt. Entsprechend deutlich offenbaren sich in dieser ausserordentlichen Situation die Stärken und Schwächen der jeweiligen Wohnsituation. Dies eröffnet die Chance, Beobachtungen zu sammeln und Erfahrungen zu diskutieren. Welche Siedlungsmodelle, städtebaulichen Muster, Organisationsformen und Grundrisse bewähren sich in der Krise, welche nicht? Welche Lehren für die Zukunft kann die Planungsbranche daraus ziehen – unter der Voraussetzung, haushälterisch mit dem Boden umzugehen und bestehende Siedlungen zu verdichten?

Erste Antworten auf diese Fragen suchte der ThinkTank «Architektur & Stadtentwicklung: Dichte auf dem Prüfstand #3» vom 16. Oktober 2020, veranstaltet vom Bundesamt für Wohnungswesen und vom Institut CCTP der Hochschule Luzern. Im Gegensatz zu den ersten beiden ThinkTanks – der erste im Mai 2020 verschaffte einen Überblick über die Herausforderungen der Verdichtung, der zweite im Juli 2020 fokussierte auf das Thema «Verdichten nach innen» – kamen in der neuesten Veranstaltung nicht nur Fachleute aus Forschung und Planung zu Wort, sondern vor allem auch jene Expertinnen und Experten, die sich während der Pandemie «vor Ort» engagieren: Siedlungscoaches und Mitarbeitende bei Gemeinden, Genossenschaften und Verwaltungen.

Partizipation und Aneignung

Vier Referentinnen verglichen die Auswirkungen des Lockdowns im Frühling auf Nachbarschaft und Zusammenleben in ihrem Wirkungsgebiet. Sie diskutierten über den Einfluss von Raumangebot, Belegungsdichte und Zusammensetzung der Mieterschaft; sie reflektierten bauliche, soziale und betriebliche Veränderungsprozesse; und sie erläuterten, wie sich die Bewohnerschaft organisiert, sich Räume angeeignet oder gar umgeformt hat.

Die Diskussion bestätigte, dass die Pandemie wie ein Vergrösserungsglas bestehende Stärken und Schwächen akzentuiert: «Wo Nachbarschaft vor der Krise aktiv gelebt wurde, ist Nachbarschaftshilfe ohne professionelle Hilfe entstanden. Wo Kinderlärm vor der Krise gestört hat, sind Konflikte im Zusammenleben eskaliert», brachte es Siedlungscoach Katharina Barandun auf den Punkt.

Der menschliche Massstab

Ein grosszügigeres Raumangebot, etwa mit Begegnungsmöglichkeiten und Aussenräumen, sei nur bedingt eine Lösung: «Gemeinschaftsräume nützen nichts, wenn sie nicht bespielt werden», betonte Regula Suter, Siedlungs- und Wohnassistentin der Gemeinde Horgen. Wenn Partizipation nicht gefördert wird und sich niemand in der Verantwortung fühlt, bleiben sie ungenutzt. Ebenso, wenn bestimmte bauliche Voraussetzungen nicht erfüllt sind – wenn etwa ein schützendes Vordach fehlt oder Fenster, die sich grosszügig öffnen lassen. Scheinbar Nebensächliches erweist sich in der Belastungsprobe als äusserst wichtig. Um ein lebenswertes Wohnumfeld zu schaffen, ist der menschliche Massstab – baulich wie organisatorisch – entscheidend.

espazium.ch berichtete bereits über die ersten beiden ThinkTanks:

ThinkTank «Dichte auf dem Prüfstand»

ThinkTank «Dichte auf dem Prüfstand #2 – Verdichten nach innen»

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