Woh­nen und ar­bei­ten auf Deck

Umbau Hochbergerstrasse 158, Basel; Anonymer, offener Projektwettbewerb

Das Amt für Umwelt und Energie des Kantons Basel-Stadt zieht in einen Neubau an der Spiegelgasse. Dadurch wird das Bürogebäude an der Hochbergerstrasse frei. In Zukunft soll dort ein innovatives Zuhause für gemeinschaftliches Wohnen und Arbeiten entstehen.

Date de publication
17-12-2020

Die Liegenschaft Hochbergerstrasse 158 liegt in Kleinhüningen an der Wiese, einem Nebenfluss des Rheins. Charakte­ristisch für das Quartier sind die Gegensätze von industrieller Hafen­anlage und idyllischem Dorfkern. Das Gebiet steht vor einem gros­sen  Umbruch. Durch die Verlegung des Rheinhafens zum neuen Hafenbecken 3 soll entlang des Rhein­ufers am Klybeckquai und auf der Westquai-Halbinsel ein ­neues Stadtquartier entstehen.

Das Bürogebäude an der Hochbergerstrasse wurde 1965 für die Verwaltung der Schweizerischen Rheinhäfen gebaut und danach vom Amt für Umwelt und Energie (AUE) genutzt. Durch den Bezug des Neubaus an der Spiegelgasse von jessenvollenweider architektur im kommenden Jahr wird die Liegenschaft frei. Mit einer Machbarkeitsstudie und einem generellen Baubegehren wurden die planungs- und baurechtlichen Grundlagen festgelegt und der bauliche Zustand des Gebäudes untersucht. Die Studie hat ergeben, dass die Parzelle stark übernutzt ist. Wegen der Bestandsgarantie ist aber eine weitere Nutzung der vorhandenen Flächen innerhalb der Mantellinie des bestehenden Ge­bäudes zugelassen. Der Rohbau ist in einem guten Zustand und kann erhalten werden. Die übrigen Gebäudeteile, insbesondere die Fenster und Betonbrüstungen, müssen rückgebaut werden. Diese Erkenntnisse haben zum Entschluss beigetragen, das bestehende Gebäude zu erhalten und umzunutzen.

Entstehen soll ein innovatives Haus für gemeinschaftliches Wohnen und Arbeiten. Es sind 30 bis 35 einfache Kleinwohnungen als Mietwohnungen für Ein-, Zwei- und Dreipersonenhaushalte vorgesehen. Zusätzlich sollen ein Gemeinschaftsraum mit Gemeinschaftsküche, Flächen für freiberufliche oder kleingewerbliche Tätigkeiten (Coworking-Spaces) sowie Hobby-, Band- und Bastelräume entstehen. Das Raumprogramm reflektiert die tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen durch die Digitalisierung.

Private und öffentliche Räume vermischen sich. Die einst klar umrissenen Grenzen von Arbeit und Freizeit verschwimmen immer mehr. Ziel der Umnutzung des Bü­ro­gebäudes an der Hochbergerstras­se sind erschwingliche Mieten und tiefe Nebenkosten. Dazu beitragen sollen möglichst viele vermietbare Einheiten und eine grosse Mietfläche. Die Erschliessung soll effizient und die Eingriffstiefe in den Rohbau möglichst gering sein. Die Investitions-, Instandhaltungs- und Betriebskosten sollen tief sein und trotzdem langlebige Materia­lien zum Einsatz kommen. Um Lösungsansätze für diese zukunftsweisende Aufgabe zu erhalten, hat der ­Kanton Basel-Stadt einen Projektwettbewerb im offenen Verfahren durchgeführt. Es gingen 121 Wettbewerbsbeiträge ein, die alle zur Beurteilung zugelassen wurden.

Die Herausforderung der Aufgabenstellung lag im Umgang mit dem bestehenden Tragwerk aus Stützen und Deckenplatten, in der Neuinterpretation der Fassade aus Bandfenstern und in der Öffnung des abweisenden Hochparterres für gemeinschaftliche Nutzungen. Zudem galt es, die Erschliessung und die Grundrisse auf das vorhandene Tragwerk masszuschneidern. Die Strassenseite ist gleichzeitig auch die Südseite mit Weitblick über den Fluss, während die ruhige Hofseite gegen Norden gerichtet ist.

Sonniger Laubengang

Die Jury empfiehlt einstimmig den Beitrag «Promenadendeck» der ­Ko­operative E45 zur Weiterbear­bei­tung. Das Projekt sieht vor, das Gebäude auf das Betonskelett zurückzubauen und die Strassenfassade mit einem breiten Laubengang ganz gegen Süden zur Wiese hin zu öffnen. Diese radikale Neuinterpretation der Fassade als viergeschossige Arkade, von den Projektver­fassern auch «Promenadendeck» genannt, erschliesst nicht nur die Wohnungen, sondern ist gleichzeitig auch Aufenthalts- und Begegnungsort für die Bewohnerinnen und Bewohner. Die Qualität dieses grosszügigen Angebots wird allerdings durch die Brandschutzanforderungen an den Fluchtweg gemindert, welche die Nutz- und Möblierbarkeit einschränken.

Der zweigeschossige Gemeinschaftsraum liegt links vom Haupteingang und ist um ein halbes Geschoss ins Terrain eingesenkt. Er ist von aussen einsehbar und gut zugänglich. Der Gemeinschaftsraum kann für Anlässe der Haus­gemeinschaft oder für öffentliche Veranstaltungen genutzt werden. Auf der rechten Seite befinden sich Atelierwohnungen mit direktem ­Zugang von der Strassenseite. Auf der Hofseite im Erdgeschoss liegen die Arbeitsbereiche, die als Ateliers wie auch als Coworking-Spaces genutzt und sowohl von den Bewohnerinnen und Bewohnern des Hauses als auch durch Externe gemietet werden können.

Das bestehende Treppenhaus, ergänzt um Waschküche und Trockenraum, erschliesst den breiten Laubengang, der die Kommunikation unter den Bewohnerinnen und Bewohnern fördert und vor Lärm und Überhitzung schützt. Über den Laubengang gelangt man zu den insgesamt acht Kleinwohnungen pro Geschoss. Die strassen- und hofseitigen Bereiche sind jeweils um eine halbe Achse versetzt zueinander angeordnet. Dadurch wird das Tragwerk aus Stützen und Unter­zügen sichtbar und zoniert den Raum. Die alternierende Anordnung der Nasszellen ergeben verschiedene Wohnungstypen. Die einen verfügen über einen tiefen Wohn- und Schlafbereich zum Hof, die anderen über einen tiefen Wohnbereich mit Küche zur Strasse.

Effizienter Laubengang

Beim mit dem zweiten Preis ausgezeichneten Projekt der ARGE Atelier Aggeler mit Julian Fischer Architekten ist das Kennwort Programm. «Ach Hugo, mach die Kiste doch einfach ein bisschen grösser!» bedeutet minimalen Wohnraum bei maximaler Grosszügigkeit. Die Wohnungen sind über einen kompakten Koch- und Essbereich mit Nasszelle zugänglich. Geschickt gesetzte Wandscheiben und Türen ermöglichen es, die Räume auf unterschiedliche Art zusammenzuschalten und die Wohnung in ihrer ganzen Tiefe zu erleben. Es entsteht ein spannendes Raumgefüge mit unterschiedlichen Wegführungen und überraschenden Blickbezügen.

Mehr Mühe hatte die Jury mit der derben Ausformulierung der Strassenfassade aus raumhohen, aluminiumfarbenen Holz-Metall-Fenstern und feuerverzinkten Storenkästen und Brüstungsgittern. Auch die bunten Stoffe der Markisen können die «Härte und Rohheit» des wie ein Gewerbegebäude gestalteten Umbaus nicht genügend mildern. Für die Jury war nicht klar, wieso «der Entwurf weniger eine kontextuelle Verflechtung mit der Umgebung sucht, sondern vielmehr eine gestalterische Unabhängigkeit verfolgt». Zusammen mit dem schwer auffindbaren Gemeinschaftsraum entsteht der Eindruck eines weit­gehend auf sich selbst bezogenen Projekts, bei dem die Autonomie wichtiger wird als der Gemeinsinn.

Rue intérieure

Der mit dem dritten Preis ausgezeichnete Beitrag «Le vent nous portera» von Salathé Architekten lässt sich stark vom Bestand leiten. So bleibt die vertikale Erschliessung mit Treppe und Lift bestehen. Auch der Charakter der Strassenfassade mit Bandfenstern bleibt erhalten, einzig die Brüstungen werden mit PV-Elementen verkleidet. Das Projekt setzt nicht auf einen Laubengang als Erschliessung, sondern auf eine «rue intérieure». Dieser innere Gang teilt den Grundriss in eine breite Schicht im Süden für die Wohnungen und in eine schmalere Schicht im Norden mit frei unterteilbaren ­Räumen, die zur Woh­nung dazu­gemietet werden können.

Das Projekt besticht durch die wenigen, aber präzisen Eingriffe in die bestehende Bausubstanz. Dazu gehört die einladende Geste des Gemeinschaftsraums, dessen Südseite abgesenkt ist und sich zur Hoch­bergerstrasse hin öffnet. Eine Treppenanlage, die auch als Zuschauer­tribüne dienen kann, verbindet das Strassenniveau mit dem Hochparterre. Insgesamt sind die Eingriffe in das spröde Bürogebäude zu verhalten, um die grossen Erwartungen an ein zukunftsweisendes Wohnen und Arbeiten zu erfüllen. Die Jury lobt zwar die grosse «Genügsamkeit im Umgang mit der bestehenden ­Gebäudestruktur», moniert aber auch die einseitig orientierten Wohnungen, die mangelnde Qualität der inneren Gangerschliessung und die offenen Fragen beim architektonischen Ausdruck.

Kommunikativ und interaktiv

Eigentlich basieren die ersten drei Beiträge alle auf der Typologie des Laubengangs, ordnen ihn aber unterschiedlich an. Mal liegt der Laubengang im Norden, mal im Süden, dann rückt der Gang ins Innere des Gebäudes. Das Projekt von Salathé Architekten setzt auf die Typologie der «rue intérieure» von Le Corbusier und hält weitgehend am Bestand fest. Das mit dem zweiten Preis ausgezeichnete Projekt mit dem Laubengang im Norden ist auf Effizienz getrimmt und punktet mit grosszügigen Wohnungen. Das Siegerprojekt der Kooperative E45 setzt auf einen breiten Laubengang gegen Süden als Begegnungs- und Aufenthaltsort. Die sorgfältig gestalteten Übergänge vom öffentlichen Erdgeschoss über die Erschliessung bis zu den privaten Zimmern der Wohnungen fördern die Kommunikation und Interaktion unter den Bewohnerinnen und Bewohnern. Damit schafft der Entwurf beste Voraussetzungen für eine ­lebendige Hausgemeinschaft, die auch einen wertvollen Beitrag zum Quartierleben leisten kann.

Pläne und Jurybericht zum Wettbewerb finden Sie auf competitions.espazium.ch

Auszeichnungen

1. Rang / 1. Preis: «Promenadendeck»
Kooperative E45, Basel
2. Rang / 2. Preis: «Ach Hugo, mach die Kiste doch einfach ein bisschen grösser!»
ARGE Atelier Aggeler mit Julian Fischer Architekten, Zürich; Dr. Illias Hischier, Chair of Architecture and Building Systems, ETH Zürich
3. Rang / 3. Preis: «Le vent nous portera»
Salathé Architekten, Basel; ZPF Ingenieure, Basel; Gartenmann Engineering, Basel; Amstein + Walthert Basel; Energiebüro, Zürich
4. Rang / 4. Preis: «Kamila»
ARGE e.GO, Wädenswil; Schnetzer Puskas Ingenieure, Basel
5. Rang / 5. Preis: «Basel-Rotterdam»
ARGE Lemmen Mazzei Architekten + BRH Architekten, Basel; WMM Ingenieure, Münchenstein
6. Rang / 6. Preis: «Neonsonne»
Härtel Lovis Steinbach Architekten, Zürich; Energiekonzepte, Zürich; MWV Bauingenieure, Baden

FachJury

Beat Aeberhard, Kantonsbaumeister Basel-Stadt (Vorsitz); Paola Maranta, Architektin, Basel; Adrian Streich, Architekt, Zürich; Reto Pedrocchi, Architekt, Basel (Ersatz)

SachJury

Barbara Rentsch, Eigentümervertretung, Immobilien Basel-Stadt; Gerold Perler, Bauherrenvertretung, Hochbau­amt Basel-Stadt, Abteilung Wohnen; Peter Kaufmann, Portfoliomana­gement, Immobilien Basel-Stadt (Ersatz)

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