Die Gren­zen der Na­ch­hal­tig­keit: die Ar­chi­tek­tur des Kom­forts

Kommentar

Date de publication
18-05-2022

Der Wettbewerb für den Neubau der Geisteswissenschaften der Universität Lausanne ist ein Paradebeispiel: Es zeigt genau auf, wo die Grenzen der heutigen Architektur in Bezug auf die Nachhaltigkeit liegen – trotz guten Vorsätzen und kompetenten Ingenieurinnen und Architekten, die in der Lage sind, Lö­sungen zu entwickeln. Obschon straff organisiert und ehrgeizig: Der exem­plarische Wettbewerb scheitert beim Versuch, ein revolutionäres Projekt her­vorzubringen, das den erwarteten Richtungswechsel klar aufzeigt.

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Das Prob­lem liegt weder bei der Jury noch beim Pflichtenheft oder beim Organi­sator. Es ist vielmehr ein strukturelles. Ein öffentlicher Bauherr kann heute keine Entscheidung fällen, die auch nur geringste Unsicherheiten in finanzieller oder technischer Hinsicht aufweist oder die den Nutzungskomfort infrage stellt. Die Wettbewerbsausschreibung sah jedoch genau dies vor: Die Nutzerinnen und Nutzer sollten bereit sein, ihr Verhalten an die klimatischen Verhältnisse der Umgebung anzupassen – mit anderen Worten: ein gewisses Mass an Komfort zu opfern. Doch kann die Universität Lau­sanne dies von ihren Studierenden und den Dozierenden verlangen?

Das Siegerprojekt schlägt aufgrund der Lärmbelastung durch die benachbarte Autobahn eine mechanische Lüftung vor. Öffnet man nämlich die Fenster, hört man die Autos. Die Projekt­optionen passen sich somit an die Vorherrschaft des Autos an; ein Kontext, auf den man keinen Einfluss nehmen kann. Die Struktur ist teilweise aus Holz, aber die Verbunddecken bestehen aus 16 cm dickem Beton, der für die thermische Masse sorgt und den akustischen Komfort erhöht.

Die Lösung scheint einfach: Man müsste akzeptieren, dass zu gewissen Zeiten im Jahr und zu gewissen Stunden am Tag die Temperaturen schwanken, man die Fenster öffnen und den Autolärm sowie das Kommen und Gehen zwischen den Unterrichtsstunden hört – also das Umfeld, in dem wir leben, vollständig akzeptieren. Wäre das so schlimm? Noch einmal: Nicht die Normen sind das Problem, sondern ihre Umsetzung. Die Schwierigkeit scheint darin zu liegen, eine kulturelle Debatte über Themen zu führen, die wir lieber an Spezialisten delegieren. Eine Norm sollte nicht als Projek­tionsfläche dienen, sondern als nützlicher regulatorischer Rahmen, der dafür da ist, sich zurechtzufinden und die Optionen eines Projekts zu diskutieren. Auf dem Campus gibt es Gebäude, die alle Normen einhalten, und trotzdem würde man sich am liebsten aus dem Fenster stürzen (wenn man sie denn öffnen könnte).

In dieser Hinsicht ist das Siegerprojekt ausgezeichnet; aber es könnte noch verbessert werden. Deshalb schlägt die Jury vor, die mechanische Lüftung wegzulassen. Auch über Geschossdecken ohne Beton könnte man nachdenken. Letztlich sollten die Nutzerinnen und Nutzer entscheiden. Ein innovatives Gebäude, das unsere Bedürfnisse erfüllt, bevor wir sie überhaupt in Worte gefasst haben, ist schwer planbar. Es sind die betroffenen Studierenden und Dozierenden der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften, die einbezogen werden müssen. Sie müssen die Gelegenheit erhalten, ihr Umfeld mitzugestalten und Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen, die sie direkt betreffen. Werden sie ein gewisses Mass an Lärmbelastung akzeptieren und je nach Tages- und Jahreszeit einige Grad Celsius mehr oder weniger in Kauf nehmen? Fragen wir sie.

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