Ist eine Stand­seil­bahn eine Op­tion?

Derzeit wird in Horgen am Zürichsee diskutiert, inwieweit eine Standseilbahn den Weg zwischen See und Oberdorf vereinfachen könnte. Die Idee ist nicht neu. Vor rund 120 Jahren wurde diese Option bereits angedacht. Hans Burch, bis 2021 Gemeindeingenieur in Horgen, blickt zurück und beleuchtet die Situation heute.

Date de publication
20-12-2022
Hans Burch
dipl. Kult. Ing. ETH/SIA, Gemeindeingenieur Horgen, 1997–2021

Horgen ist mit rund 23'500 Einwohnerinnen und Einwohnern eine pulsierende Gemeinde am linken Zürichseeufer. Die Hanglage am Zürichsee ist zwar sehr vorteilhaft für die imposante Seesicht in den Bauzonen, jedoch beschwerlich für die Fussgängerinnen und Fussgänger. Wäre eine Standseilbahn ein geeignetes Verkehrsmittel, um die rund 800m lange Strecke zu überwinden?

Eine Horgner Standseilbahn war schon beim Bau des Bahnhofs Oberdorf im Gespräch. Die Idee stammte von Adolf Guyer-Zeller (1839–1899), dem Direktor der Nordostbahn (NOB). Zur Überwindung der Höhendifferenz von 70 Metern zwischen den Bahnhöfen See und dem damals im Bau befindlichen Bahnhof Oberdorf erarbeitete die Nordostbahn bereits ab März 1895 erste Studien für eine elektrische Standseilbahn. Vom Bahnhof Horgen sollte diese ohne Zwischenhalt zum Bahnhof Oberdorf führen. Mit einer Spurweite von 1.0 m und einer Ausweichstelle war für die damalige Bestvariante eine Fahrzeit von 9.5 Minuten eingeplant. Im Längsprofil wurden variable Neigungen bis max. 17% vorgesehen.

Schnell erkannte man, dass die alte Dampfschifflände idealerweise von der Sust zum 1875 eröffneten Bahnhof Horgen verschoben werden soll. Damit wären kurze Umstiegswege zwischen Bahn, Dampfschiff und Standseilbahn nach Oberdorf möglich gewesen. Dies wurde bereits im ersten Projektplan vorgesehen.

Oder soll es ein Tram sein?

Als Alternative zu einer Standseilbahn wurde damals eine Tramverbindung zwischen den Bahnhöfen geprüft. Im Projektdossier vom 27. März 1896 wurden bereits drei Varianten, inkl. Längenprofile, Kostenvoranschläge und Technischem Bericht vorgelegt.

Mit der Verschiebung des Dampfschiffstegs von der Sust zum Bahnhof und einer neuen Passerelle über die bestehende Bahnlinie sollte die neue Talstation See/Meierhof direkt erschlossen werden und eine Standseilbahn – ohne Zwischenhalt – zum Bahnhof Oberdorf führen. Die Fahrt mit einem Tram via Stockerstrasse (Variante III) hätte 12.5 Minuten gedauert. Die NOB plante im Bahnhof Horgen Oberdorf einen künftigen «Hub» zur Gotthardbahn. Dazu sollte die neue Verbindungsbahn vom Bahnhof Horgen zum Oberdorf unter anderem einen bequemen Anschluss von der geplanten Bahnlinie Uster-Meilen via Dampfbootverbindung Meilen-Horgen ermöglichen.

Die Pläne geraten in Vergessenheit

Der Bahnhof Horgen-Oberdorf wurde am 31. Mai 1897 feierlich eröffnet. Die Verschiebung des Dampfschiffstegs von der Sust zum Bahnhof-See erfolgte einige Jahre später, die Bahn Uster-Meilen wurde hingegen nicht gebaut. Mit Adolf Guyer-Zeller starb am 3. April 1899 der Promotor dieser Standseilbahn zum Oberdorf, bevor von Seiten NOB und Gemeinde Horgen eine Projektzustimmung vorlag. Damit kam das Projekt nicht zustande und verschwand für über hundert Jahre in den Schubladen. Man kann nur vermuten: Falls damals die Standseilbahn zum Oberdorf gebaut worden wäre, stände sie heute wohl unter Denkmalschutz und müsste erhalten bleiben.

Die von Guyer-Zeller vorgeschlagene rasche Schiffsverbindung zwischen Meilen und Horgen wurde am 4. November 1933 mit dem Fährschiff «Schwan» im 30-Minuten-Takt in Betrieb genommen. Auch dieses neue Transportmittel war in der Planungsphase bei Politik und Bevölkerung stark umstritten. Heute ist diese Fährverbindung eine Erfolgsgeschichte und ein unverzichtbarer Bestandteil der regionalen Verkehrserschliessung. Die bereits im Jahre 1897 vorgeschlagene Passerelle beim Bahnhof Horgen über die Gleisanlagen wurde erst im Herbst 2009 – also rund 110 Jahre später – mit einem grossen Fest eröffnet.

Noch fehlt die Standseilbahn zum Oberdorf, aber das Trassee entlang dem Kirchrain wurde 2006 im Anschluss an ein Mitwirkungsverfahren im kommunalen Verkehrsrichtplan eingetragen. Im April 2012 erfolgte die Aufnahme in den regionalen Verkehrsrichtplan: «Im regionalen Verkehrsplan ist auf dem Gemeindegebiet Horgen zwischen dem Bahnhof Horgen und Bahnhof Horgen Oberdorf eine Schrägliftverbindung festgesetzt. Sie dient dem regionalen öffentlichen Verkehr. Die Festlegung im Plan ist Grundlage für die Trassee-Sicherung. Bei der Festlegung der Baulinien hat die Gemeinde die Bedürfnisse des Betriebs zu berücksichtigen.»

Bauboom im Oberdorf

Nach erfolgter Zonenplanrevision sowie anschliessender Bewilligung von diversen Gestaltungsplänen fiel im Jahr 2013 der Startschuss für den Bau von rund 700 neuen Wohnungen rund um den Bahnhof Oberdorf. Erwähnenswert sind die Gestaltungspläne «Schweiter» (bergseits der Geleise) und «Silo» (talseits der Geleise). Zudem ist relevant, dass viele Überbauungen als autoarme Siedlungen konzipiert werden.

SBB Infrastruktur plant aktuell den barrierefreien Ausbau des Bahnhofs Oberdorf bis 2025. Parallel dazu ist von Seiten SBB Immobilien für das seeseitige Bahnhofareal ein Architekturwettbewerb im Gange. Mit dieser Konstellation stellt sich nun die Frage, wie dieses aufstrebende «Boom-Gebiet Oberdorf» künftig attraktiv, komfortabel und nachhaltig mit dem Horgner Ortszentrum verbunden werden soll?

Neuer Schub für eine Standseilbahn

Hier kommt die geplante Standseilbahn zum Dorf hinunter wieder ins Spiel. Die aktuelle Bestvariante der Standseilbahn Horgen aus dem Jahre 2018 entspricht mehrheitlich der ursprünglichen Linienführung Variante I/1896.

Die Talstation ist direkt neben der «Dorfbeiz» auf Höhe der Piazza über der Seestrasse vorgesehen. Von dort können bestehende Lifte zur Seestrasse und zur Tiefgarage Schinzenhof genutzt werden. Via Passerelle gelangt man schnell zur Bahn oder zum Schiffsteg. Die Bergstation im Oberdorf ist zwischen den Gleisen und der Oberdorfstrasse vorgesehen. Von dort kann man direkt auf das spätere Hausperron oder via Personenunterführung bzw. via Passerelle zum Mittelperron gelangen.

Die beiden geplanten Stationen sind bereits gut erschlossen und erhalten einen Witterungsschutz, damit hindernisfrei umgestiegen werden kann. Gemäss technischem Bericht sind aktuell Kabinen für 40 Personen vorgesehen. Die Anlage könnte bedarfsgerecht betrieben und bei grosser Nachfrage ein Fünf-Minuten-Takt angeboten werden.

Als Auflage in der Baubewilligung zur Realisierung des Gestaltungplans «Silo» ist festgehalten, dass der private Bauherr die nachträgliche Erstellung einer Bergstation für diese Standseilbahn (inkl. Gleisanlage, technische Räume und Bahnhofshalle) sicherstellen muss. Als Kompensation wurde ein zusätzliches Bauvolumen im Attikageschoss des Längsbaus und eine Erhöhung des neuen Silo-Turms bewilligt. Im Rahmen der baulichen Umsetzung des privaten Gestaltungsplans «Silo» erfolgte bereits Mitte September 2022 der «Spatenstich» zur neuen Überbauung mit dem sorgsamen Abbruch des alten Getreidesilos.

Hochbahn oder Tunnel?

Während 1895 die Standseilbahn noch mehrheitlich auf Strassenniveau geplant war, müsste aufgrund der inzwischen erstellten Häuser und des gestiegenen Verkehrsaufkommens diese Bahn über oder unter dem Strassenraum angelegt werden. Für beide Varianten liegen Machbarkeitsstudien und Kostenschätzungen vor.

Favorisiert wird weiterhin die Bestvariante 2018, eine Hochbahn, da diese mehrheitlich über öffentlichem Grund verläuft. An wenigen Stellen würde die Hochbahn – vorgesehen ist ein Stahlviadukt in 5 Metern Höhe – lokal über privates Vorgartengebiet führen. Es müssten aber keine Gebäude abgebrochen oder verschoben werden.

Wie geht es weiter?

Planungsrechtlich sind noch ein paar Herausforderungen zu meistern. Voraussetzung ist, dass die Gemeinde Horgen, die Region und der ZVV dieses Projekt für eine nachhaltige Mobilität unterstützen. Hilfreich wäre, wenn an einer nächsten Abstimmung zum Regionalen Richtplan der Realisierungshorizont dieser Standseilbahn von langfristig auf mittelfristig (10–20 Jahre) geändert würde.

Ziel muss es sein, diese Bahn bis spätestens 2035 in Betrieb zu nehmen, damit noch ein namhafter Kostenbeitrag aus dem Agglomerationsprogramm Nr. 5 des Bundes an die geschätzten Gesamtkosten einer Hochbahn von 30 Mio. Fr. beantragt werden kann. Denkbar wären auch Beiträge von regionalen oder lokalen Sponsoren. Absolut zentral ist, dass diese Hochbahn möglichst siedlungsverträglich erstellt wird. Dazu würde sich ein öffentlicher Wettbewerb mit einer hochkarätigen Jury anbieten. Dabei sollten auch Experten der kantonalen und eidgenössischen Denkmalpflege sowie des ZVV einbezogen werden.

In der Zürichsee-Zeitung (ZSZ) vom 31. Januar 2022 äussert sich dazu der Horgner Gemeinderat Markus Uhlmann: «Dreh- und Angelpunkt ist der Bahnhof Oberdorf. Die SBB wollen diesen nicht nur behindertengerecht umbauen, auch der öffentliche Verkehr wird früher oder später ausgebaut werden müssen. Neben dem Bahnhof am See soll im Oberdorf ein zweites Verkehrszentrum entstehen. Wir haben verschiedene Optionen: Eine davon ist die viel diskutierte Standseilbahn. Sie könnte die beiden Bahnhöfe miteinander verbinden. Das Vorhaben ist mehr als eine Vision, es ist eine Verhandlungsoption».

Derzeit sind in Horgen zwei Planungsvorhaben in Bearbeitung, die – am Rande – auch die Standseilbahn betreffen. Zum einen ist das die Teilrevision des regionalen Richtplans der Zürcher Planungsgruppe Zimmerberg (ZPZ), die zuständig ist für die Regionalplanung im Bezirk Horgen. In den Revisionsakten, die bis 12. Dezember 2022 öffentlich auflagen, wurde vermerkt, den Realisierungszeitraum der Standseilbahn von langfristig auf mittelfristig (10 bis 20 Jahre) zu ändern. Zum anderen legen die SBB zwischen dem 5. Dezember 2022 und 19. Januar 2023 ihre Pläne zum barrierefreien Ausbau des Bahnhofs Horgen Oberdorf öffentlich auf. In den Auflageplänen ist die Standseilbahn Horgen als  «Drittprojekt» ausgewiesen.

Zur Realisierung dieser Standseilbahn müssen sicher noch einige Hürden genommen werden. Für Horgen könnte aber auch dieses neue Transportmittel zu einer Erfolgsgeschichte werden.

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