Neues Stadt­bild am Chu­rer Ober­tor

Die Churer Obertorbrücke wurde zum Kreisel umgebaut; Planungsteam: Conzett Bronzini Gartmann AG, Chur; Sylvain Malfroy, Neuenburg; Frank Zierau, Zürich

Seit Mitte Mai 2011 ist die neu als Kreisel gestaltete Obertorbrücke dem Verkehr übergeben. Der Ort hat gewonnen – auch wenn die Neugestaltung (vorerst) nur in reduzierter Form realisiert wurde.

Date de publication
03-01-2012
Revision
01-09-2015

Die steinerne Obertorbrücke aus dem Jahre 1821 mit den Stahlbetonergänzungen von 1931 genügte dem heutigen Verkehr nicht mehr. Im Bereich der Obertorbrücke waren die Flächen für den motorisierten Verkehr und den Langsamverkehr klein und eng, und der Anteil an öffentlichen Freiflächen im Verhältnis zum Strassenraum beim Obertor gering und in seinen Aufenthaltsqualitäten stark verbesserungswürdig. Ebenso war die Brücke als Leitungsträger für die Industriellen Betriebe der Stadt Chur zu klein geworden, und der bauliche Zustand einzelner Teile der Brücke verlangte dringend eine Instandsetzung. Das Verkehrskonzept der Stadt Chur sah vor, einen Kreisel auf der Brücke zu bauen. Wegen der umliegenden Bebauung war dies nur durch eine Verbreiterung der Brücke flussaufwärts möglich.
Die Stadt Chur und der Kanton Graubünden beauftragten eine Arbeitsgruppe, bestehend aus den Churer Ingenieuren Conzett Bronzini Gartmann, dem Städtebauhistoriker Sylvain Malfroy aus Neuenburg und dem Architekten Frank Zierau aus Zürich, mit einer Projekt­studie. Dieses interdisziplinäre Team entwickelte ein Projekt, welches das Potenzial des Ortes besser ausschöpft als eine blosse Fahrbahnverbreiterung.

Mehr Raum für die Stadt

Die drei Plätze Untertor, Postplatz und Obertor rund um die Altstadt bildeten die Grundlage für die Planung: Es sollte ein zusätzlicher differenzierter Ort geschaffen werden und kein «Kreisel-Allerlei» entstehen. Das Projektteam sah deshalb für den Bereich der Obertorbrücke vor, einen vielseitig nutzbaren öffentlichen Raum mit zwei Plattformen über der Plessur zu schaffen. Damit sollte der Fluss den Stadtbereich nicht trennen und die Flussüberdeckung nicht nur als Carparkplatz, Abstellfläche und Verkehrsknoten genutzt werden, sondern – wie es zum Vergleich der Zentralplatz in Biel schafft – die beiden Ufer verbinden, als Mischverkehrsfläche dienen und damit repräsentativ werden.

Alt und Neu vereint

Als Teilprojekt der gesamtheitlichen Umgestaltung des Stadtraumes rund um das Obertor erfolgte als Erstes der Umbau der Brücke beziehungsweise der Neubau des Kreisels. Ausserdem erweiterten die Planenden vor dem Hotel Chur das Trottoir und grenzten es mit einer neuen Stützmauer gegenüber dem Vorplatz ab. Der Vorplatz selber wurde leicht erhöht und neu bepflanzt. Die vorhandenen Bäume wurden zugunsten einer Vollansicht der Platzfassade und einer besseren Belichtung entfernt. Vier konische Stahlbetonmasten mit Scheinwerfern beleuchten den neuen Platz. Um die grosszügigen räumlichen Verhältnisse am neu geschaffenen Stadtraum Obertor nicht durch verstreute Signalmasten zu beeinträchtigen, wurden neben der Beleuchtung auch die Fahrleitung der RhB und die Verkehrssignalisation auf diese vier Masten montiert.
Die vorgesehenen Massnahmen entsprachen dem baulichen Zustand der Brücke, denn der Teil flussabwärts war in einem weitgehend guten Zustand und brauchte lediglich abgedichtet und durch eine neue Fahrbahnplatte statisch verstärkt zu werden. Hingegen wies der Anbau flussaufwärts von 1931 schwere Korrosionsschäden auf, sodass man sich entschied, diesen ganz abzubrechen und ihn durch die neue, breitere Konstruktion zu ersetzen.

Betonkreisel

Während des Baus musste der Verkehr auf Strasse und Schiene aufrechterhalten bleiben. Komplette Sperrungen waren nur nachts oder in kurzen Intervallen möglich; Platz für Installationsplätze war ausserdem kaum vorhanden. Aus diesen Gründen konstruierten die Ingenieure die neuen tragenden Bauteile aus vorfabrizierten Elementen. Darüber wurde die ganze Brückenfläche mit einer Ortbetonplatte versehen, die sämtliche Bauteile monolithisch verbindet und durch ihre lastverteilende Wirkung die statischen Verhältnisse verbessert. Die vorfabrizierten Träger sind über Mikrobohrpfähle in den tragenden ­Kiesschichten fundiert. Vor dem Bohren der Pfähle musste die bestehende Uferverbauung aus Natursteinmauern verstärkt werden. Sie ist zwar mächtig, ihre Konsistenz entspricht aber derjenigen einer Trockenmauer. In die Mauerfugen musste Zement injiziert, wo die Mauerkronen instabil zu werden drohten, mussten Pfahlbankette erstellt werden. Die elf vorfabrizierten Betonträger der Brückenverbreiterung sind im Abstand von 2.10 m verlegt und besitzen einen Doppel-T-förmigen Querschnitt mit einer Breite von 62 cm und einer Höhe von 2.10 m. Die Stege sind 22 cm stark und weisen Endverbreiterungen auf. Die Träger sind zwischen 17.10 m und 18.10 m lang und mit je zwei quasi parabolisch verlaufenden Kabeln zu P0 = 1301 kN vorgespannt. Das Gewicht der Elemente erreicht knapp 30 t. Zwischen diesen vorfabrizierten Teilen wurden zwei begehbare Werk­leitungskanäle angeordnet. Der Kanalboden besteht aus vorfabrizierten Betonbrettern, die zwischen den Trägern abgelassen und auf die Unterflanschen abgesetzt wurden. Auch oben auf die Betonträger wurden Betonplatten gelegt, die als verlorene Schalung für die Ortbetonplatte dienten. Die Kiesfüllung über den bestehenden Bogenbrücken wurde belassen. Einzig im Scheitel der Betonbogenbrücke wurde die Füllung entfernt und die neue Ortbetonplatte mit dem bestehenden Bogen verdübelt und so horizontal fixiert. Dies versteift den Betonbogen und verbessert seine Tragfähigkeit gegenüber asymmetrischen Einwirkungen. Der Betonbelag liegt teils direkt auf der ­Brückenplatte, teils auf anschliessendem Strassenkoffer. Die Übergänge wurden entsprechend dilatiert. Zwischen Belag und oberer Brückenplatte liegt eine Abdichtung aus Flüssigfolie. Die Nutzschicht wurde aus ­Beton gefertigt, da dieses Material den starken und häufigen Brems- und Anfahr­kräften, die in einem Kreisel auftreten, gut widerstehen kann. Zusätzlich wurde der Belag mit Schwindfugen versehen. Neben den technischen Vorteilen schafft der Betonbelag auch eine kraftvolle und optisch übersichtliche Gliederung des Kreiselbereichs: Der helle Beton in Ellipsenform zeichnet den Kreisel deutlich für alle Verkehrs­teilnehmenden aus und sorgt für erhöhte Aufmerksamkeit durch den Farbwechsel von dunkel zu hell und umgekehrt. Das markante «Auge» des Kreisels besteht aus einem Beton mit grünlichen Zuschlagstoffen aus Andeerer Granit und entsprechend eingefärbtem Zement. Die Oberfläche wurde in der Art eines Terrazzo-Belags geschliffen.

Reduziertes Projekt

Mit einer etappierten Umsetzung der Projektideen sollte gemäss dem Planungsteam eine langfristige Transformation des Stadtbereichs rund um das Obertor eingeleitet werden. Ob die weiteren Projektteile wie die Plattformen für die Neugestaltung des Platzes jedoch tatsächlich umgesetzt werden, steht noch nicht fest. Sie sind vorerst zurückgestellt worden.

Am Bau Beteiligte


Bauherrschaft, Gesamtprojektleitung und Bauleitung
Tiefbauamt Graubünden, Tiefbau- und Vermessungsamt der Stadt Chur (Abt. Tiefbau)


Planungsteam Gestaltungplan/Bauprojekt
Conzett Bronzini Gartmann AG, Chur; Sylvain Malfroy, Städtebauhistoriker, Neuenburg
Frank Zierau, dipl. Ing. Architekt BSA SIA, Zürich


Projektverfasser
Ingenieurbüro Conzett Bronzini Gartmann AG, Chur (Kunstbauten)
Inge­nieurbüro Foidl Hegland & Partner AG, Chur (Strassenprojekt)
IBC Energie Wasser, Chur (Werkleitungen)
Frank Zierau, dipl. Ing. Architekt BSA SIA, Zürich


Unternehmer
Lazzarini AG, Chur  

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