Simulationen bei der St. Galler Kantonalbank Halle
Mit Simulationen planen und sparen
Ausgereifte Simulationen sind aus der Bauwelt nicht mehr wegzudenken. Bei rechtzeitiger Beteiligung der Büros fliessen ihre Ergebnisse direkt in die Planungen ein. Finden sie bereits in der Konzeptphase Berücksichtigung, kann dies sogar zu neuen Prozessabläufen führen. Das Beispiel der St. Galler Kantonalbank Halle zeigt, wie lukrativ dies sein kann.
Die grösste Halle der Ostschweiz, die St. Galler Kantonalbank Halle, ist eigentlich ein klar und einfach strukturiertes Gebäude. Ein Vorplatz, ein rechteckiges Foyer und daran anschliessend die grosse unterteilbare Halle – alles auf einer Ebene. Fluchtwege, bei einem Brand etwa, dürften kein Problem darstellen. Nun weist die Halle aber aufgrund ihres Standorts auf dem Gelände der Olma Messen durchaus einige Spezialitäten auf: Zunächst ist sie mit einer zweistöckigen Tiefgarage unterkellert. Ausserdem unterqueren die Nationalstrasse A1 und die Bahnlinie das Gebäude diagonal, eine weitere Röhre ist bereits vorgesehen.
Diese aussergewöhnliche Lage des Baugrunds führte zur ungewöhnlichen Konstruktion der Halle: Mittels zwölf Sichtbetonkästen, liebevoll Elefantenfüsse genannt, trägt sie ihre Lasten in den Baugrund. Die Wände der Halle sind als Hohlkasten konzipiert und wurden im Freivorbau ausgeführt (vgl. TEC21 32–33/2023 «Stahl zum Staunen»). Und eine weitere auffällige Konstruktion findet sich unter dem Dach des 15 m hohen Foyers: Ein Grossraumbüro als Stahl-Glas-Holzkonstruktion ist dort abgehängt und schwebt über den Gästen in der Eingangshalle. Können Besucher und Besucherinnen einer Veranstaltung im Notfall die grossen Hallen nach mehreren Seiten zügig verlassen, stellt sich für Personen im Büro die Sachlage schon schwieriger dar.
Bei Brand: Büro – Brücke – Betonkasten
Die möglichen Fluchtwege aus dem Grossraumbüro sind klar vorgegeben: Sie führen über geschlossene Brücken in die hohlkastenförmig ausgebildeten Betonwände zwischen Foyer und Haupthalle beziehungsweise der Aussenwand. Von dort geht es über brandsichere Treppenhäuser auf die Erdgeschossebene und ins Freie. So weit kein Problem – nur: Würde die Zeit ausreichen, um bei einem Brandfall im Foyer rechtzeitig in die sicheren Treppenhäuser zu gelangen? Eine bautechnisch aufwendige Lösung wäre natürlich, den Büroraum feuersicher auszugestalten. Allerdings würde vielleicht die filigrane, abgehängte Struktur mit ihrem stählernen Tragwerk darunter leiden und eine Behandlung der Stahlträger mit einem Brandschutzanstrich, der bei Hitze aufschäumt und als Dämmschicht das Material ummantelt, ist eine teure Massnahme.
Mehr zum Thema in TEC21 15/2024:
Neue Planungsmethoden für Sicherheit und Nachhaltigkeit
Auch hitzebeständige Brandschutzgläser sind aufwendige Konstruktionen. Daher war bereits im Wettbewerb von Ilg Santer Architekten in Zusammenarbeit mit den Spezialisten von AFC Energie + Sicherheit angedacht worden, die Konstruktion in Bezug auf die architektonische Erscheinung, den Unterhalt und die ökonomischen Anforderungen als stimmiges Ganzes zu erhalten und die Sicherheit über brandschutztechnische Nachweise zu prüfen.
Temperatur am Bauteil entscheidend
In Absprache mit der Feuerpolizei kamen Architekt und Experten zum Schluss, dass der neuralgische Punkt der Konstruktion in Sachen Feuer der Hauptknoten des Tragwerks ist. Auf diesen unterspannten Träger zielte die Brandsimulation ab, die mit einer CFD-Software erstellt wurde. Computational-Fluid-Dynamics-Programme können Strömungsvorgänge in Flüssigkeiten oder Gasen simulieren und liefern entsprechende Ergebnisse, im Brandfall etwa die Temperaturverteilungen an bestimmten Orten.
Die Ingenieure untersuchten mehrere Brandszenarien, insbesondere einen Hochenergiebrand unterhalb der Bürokonstruktion. Die Plume – die Rauchgassäule über dem Brandherd – lag dabei jeweils direkt unter dem interessierenden Punkt, wodurch dort die höchsten Temperaturen entstanden.
Stahl verliert seine Festigkeit ab etwa 400 ° C, normales Glas kann schon bei weit geringeren Temperaturen springen. Als kritisch ist hier eine Lufttemperatur von 170 ° C anzusehen. Die Gläser sind für die Tragwirkung zwar nicht entscheidend, als rauchdichter Abschluss des Büros kommt ihrer Beständigkeit aber eine grosse Bedeutung zu. Würden die Scheiben zu früh bersten, wäre je nach Verrauchung des Raums eine Flucht nicht mehr möglich.
Aus der Temperaturverteilung liess sich die Zeit ableiten, die für eine Selbstrettung zur Verfügung steht. Diese musste nun der erforderlichen Zeit für eine Flucht gegenübergestellt werden.
ASET / RSET
Ein etabliertes Vorgehen ist hierfür die ASET / RSET-Methode. Die verfügbare Fluchtzeit (available safe egress time) wird mit der erforderlichen Fluchtzeit (required safe egress time) verglichen. Das Ergebnis der Simulationen war mehr als befriedigend: Nach 30 Minuten Dauer eines hochenergetischen Brands erreichte die maximale Temperatur auf der Stahloberfläche am Knotenpunkt 436 °C. Mit zunehmender Entfernung von der Plume verringerte sich die Temperatur zügig. Weil eine installierte Sprinkleranlage in der Simulation nur bedingt berücksichtigt werden konnte, ist anzunehmen, dass die Temperaturen sogar tiefer liegen würden.
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Da für das Tragwerk R30 gefordert war – das heisst, es muss 30 Minuten lang standhalten, um den Rettungskräften Zeit für Massnahmen zur Verfügung zu stellen –, konnte letztlich auf einen Brandschutzanstrich des Stahls verzichtet werden. Und die Fluchtzeiten? Nach vier Minuten stellte sich die kritische Temperatur an den Glasscheiben ein.
Unter Berücksichtigung der installierten Brandmeldeanlagen (BMA) und der Evakuationsanlage (Sprachmeldeanlage EVAK) würden 210 Sekunden für die Selbstrettung ausreichen. Auf den Einbau von Brandschutzverglasung im Bürotrakt konnte also ebenfalls verzichtet werden. Eine Kombination aus Einscheibensicherheitsglas (ESG) und Verbundsicherheitsglas (VSG) war ausreichend.
Die Brandsimulationen bescherten der Bauherrin aber noch weitere Gewinne: Die rechnerisch ermittelten Temperaturverteilungen helfen dabei, die Resttragfähigkeiten der Baukonstruktion einzugrenzen, und auch die Platzierung und Dimensionierung der Sprinkleranlagen konnte anhand der Ergebnisse optimiert werden. Dies sparte nicht nur Geld beim Einbau, sondern wird auch einen postiven Effekt auf die Wartung haben – überdimensionierte Einbauten sind im Unterhalt teurer.
Brand in der Messehalle
Nicht nur das Foyer belegte die Firma AFC mit Feuer, sondern auch die Halle selbst. Dank der hier gewonnenen Erkenntnisse über die Temperaturverteilung am stählernen Tragwerk – die Konstruktion ist ein Raumfachwerk – konnte viel Geld gespart werden. Pro Quadratmeter Deckenfläche kommen zwar nur 85 kg Stahl zum Einsatz, doch besitzt die Rohr-Kugel-Konstruktion eine grosse Oberfläche. Auch hier konnte die Simulation Entwarnung geben. Ein Brandschutzanstrich war nicht nötig.
Die Brandsimulationen und die Expertise von AFC gaben auch Sicherheit bei der Bewertung eines weiteren am Standort wichtigen Problems. Ein Herunterstürzen von grösseren Teilen der Stahltragwerks, etwa durch ein plötzliches Versagen im Brandfall, muss unter allen Umständen vermieden werden, weil dies die Sicherheit der knapp unter dem Bauwerk verlaufenden Verkehrswege gefährden würde. Die Ergebnisse der Analysen lassen aber auf ein im Versagensfall gutmütiges Verhalten schliessen. Das Raumfachwerk würde sich langsam an einzelnen Stellen trichterförmig in Richtung Boden bewegen. Ein akutes Versagen kann ausgeschlossen werden.
Rauch muss raus
Sind die Mitarbeitenden im abgehängten Büro durch die Gläser einige Minuten vor Raucheinwirkung geschützt, wären Menschen im Foyer und der Halle direkt einem Feuer und seinen Begleiterscheinungen ausgesetzt. Es ist daher ein absolutes Muss, dass der Rauch von den Personen weggeleitet wird, um eine Entfluchtung zu ermöglichen. Schliesslich können sich bei Veranstaltungen bis zu 12 000 Menschen in der Halle befinden. Auch für die Einsatzkräfte ist ein möglichst entrauchter Raum entscheidend.
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Es galt daher, die Rauch- und Wärmeabzugsanlage RWA zu simulieren und einen Entrauchungsnachweis zu führen. Halle und Foyer waren hierbei als getrennte Rauchabschnitte zu sehen. Ein natürlicher Rauchabzug (NRWA) wäre nicht möglich gewesen, da der Rauch bei Winddruck nicht genügend aus dem Foyer abgeflossen wäre. Daher musste es eine maschinelle Wärme- und Rauchabzugsanlage sein (MRWA). Ihre benötigte Leistung wurde auf 520 000 m3/h berechnet, wobei 360 000 m3/h auf die Halle entfallen.
Die Simulation half nicht nur bei der Dimensionierung der Anlage, sondern auch bei der optimalen Anordnung der Elemente der RWA, was direkt in die Planung einfliessen konnte und zu finanzieller Einsparung führte. Daneben war die Simulation auch massgebend für die Plangenehmigung, konnte anhand der Ergebnisse doch nachgewiesen werden, dass die gesetzlichen Vorgaben, insbesondere die Anforderungen der VKF Brandschutzrichtlinie 21-15de, erfüllt waren.
Thermische Nachweise für den Betrieb
Nun leisten numerische Simulationen nicht nur ihren Dienst bei Katastrophenszenarien. Ein ebenfalls sehr grosses Potenzial entfalten sie bei alltäglichen bauphysikalischen und thermischen Fragestellungen in Bezug auf Gebäude und deren Betrieb. Die Computermodelle können einen sehr grossen finanziellen Hebel darstellen, wenn es um die korrekte Dimensionierung der Haustechnik geht. Dies erleichtert die Planung, ist aber nicht nur für den Einbau der Anlagen entscheidend; auch die Folgekosten beim Betrieb und Unterhalt hängen von der korrekten Auslegung der Anlagen ab.
Anspruchsvoll bei der St. Galler Kantonalbank Halle war ihre grosse Flexibilität. Sie ist nicht nur als Messehalle konzipiert. Auch diverse andere Veranstaltungen finden hier statt. Vom festlichen Bankett über Konzerte – bestuhlt oder stehend – hin zu Ausstellungen ist praktisch alles möglich. Dazu kann das Foyer miteinbezogen und die Halle unterteilt werden, sodass Veranstaltungen mit vielen oder wenigen Besuchern, sowohl im Sommer als auch im Winter, stattfinden können.
Das Planungsteam löste diese vielfältigen Fragestellungen mit gekoppelten Berechnungen von Zonenströmungssimulationen und thermisch-dynamischen Gebäudesimulationen. Alle relevanten Effekte wie etwa Lüftung, Kühlung, Belegung, Wärmeeinspeicherung und solarer Wärmeeintrag flossen hierbei ein. Auch CFD kam bei den thermischen Simulationen zum Einsatz. Lokale Effekte, wie etwa Kaltluftabfälle oder Strömungslabyrinthe, wurden so eruiert. Die Lüftung beispielsweise konnte dank den Simulationen um 60 % reduziert werden, ohne dass die thermische Behaglichkeit oder die Luftqualität darunter leidet.
Für gelungene Veranstaltungen sind dies wichtige Randbedingungen. Gleichzeitig führen die präzisen Simulationen zu erheblichen Kosteneinsparungen beim Bau und Betrieb der Anlagen – bei höherer Nachhaltigkeit und geringerem Energieverbrauch.
Gase in der Garage
Steht einem klimatechnisch angenehmen Aufenthalt im Gebäude nichts mehr im Wege, muss dies gleichermassen für den Weg dorthin gelten. Die Belüftung der unterirdischen Parkgarage wurde ebenfalls numerisch untersucht. Die neue Tiefgarage unter der Halle wurde auf eine bereits bestehende aufgestockt. Die Zufahrt in die alte, untenliegende führt durch die neue Einstellhalle. Auch hier galt es, verschiedene Szenarien – Normalbetrieb und Veranstaltungsbetrieb in der Halle – zu beleuchten. Die Techniker berechneten detailliert die Luftmengen und wiesen die erforderlichen Luftqualitätskriterien nach SWKI VA103-01 (Richtlinie zur Luftvolumenstrom-Berechnung für Parkhäuser gemäss des Schweizerischen Vereins für Gebäudetechniker SWKI) nach.
Der Mehrwert für die Bauherrschaft schlug sich auch hier in einer bedeutend einfacheren Lüftungsanlage nieder. Auf ein weit verzweigtes Kanalsystem mit Zuluft- und Abluftstellen im Abstand von 20 m konnte verzichtet werden. Stattdessen wird nun die Abluft zentral an der Decke abgesaugt. Die Zuluft strömt natürlich über den Rauchentsorgungsschacht und die Einfahrtsrampe in die Garage nach.
Simulieren statt hantieren
In St. Gallen führten die Simulationen zu Baukosteneinsparungen von insgesamt über 2 Millionen Franken. 9600 m² Glasfläche konnten dank den genauen Untersuchungen ohne erhöhte Brandschutzanforderungen umgesetzt und die Lüftungen um 60 % reduziert werden. Dies sind stattliche, vorzeigbare Zahlen, die auch aufgrund des frühen Einbezugs der Spezialisten ermöglicht wurden.
Laut Daniel Gubler von AFC Energie + Sicherheit werden die Modellerstellungen am Computer immer schneller und die Rechenzeiten kürzer. Deshalb lohnen sich Simulationen auch für kleinere Objekte und immer dann, wenn bauliche Anpassungen sehr aufwendig wären. Nicht zuletzt können Simulationen auch für zügigere Plangenehmigungen äusserst hilfreich sein.