«Die Tun­nel­bohr­mas­chine wurde in Be­tracht ge­zo­gen»

Beim Rogfast-Tunnel stösst man auf Eigenheiten, an die man bei alpinen Vortrieben eher nicht denkt. Projektleiter Oddvar Kaarmo ­berichtet vom Tunnel und dem Autobahnprojekt «Ferjefri E39».

Date de publication
04-08-2024


Die Linienführung des Rogfast-Tunnels weicht weit von der direkten Fährverbindung zwischen Mortavika und Arsvågen ab. Weshalb verläuft der Tunnel bogenförmig über die Insel Kvitsøy mit 500 Einwohnern und wird dadurch 26.7 km lang? 

Oddvar Kaarmo: Die Lage des Unterwasser­tunnels Rogfast ist durch die topografischen Gegebenheiten bedingt. Legt man eine Seekarte mit Tiefenangaben zugrunde, ist es relativ einfach zu verstehen, warum Rogfast unter Kvitsøy liegt. Zwischen der Fährstrecke Mortavika und Arsvågen ist das Wasser so tief, dass ein Tunnel unter dem Meer hier nicht möglich ist. In diesem Fall müssten an beiden Enden Spiralen gebaut werden, da im Tunnel ein maximales Gefälle von 5 % erforderlich ist. Die Verlegung des Tunnels unter Kvitsøy ermöglicht auch einen schnelleren Bau, da es vier zusätzliche Zugangsstellen geben wird. Ausserdem wird es möglich sein, den Tunnel mit Frischluft zu versorgen und die verbrauchte Luft aus dem Tunnel abzusaugen.


Werden beim Gestein grössere Herausforderungen erwartet? Ist beim Boknafjord-Tunnel mit Problemen durch Wassereinbrüche zu rechnen? 

Rogfast wird durch weitgehend bekannte Gesteinsarten gebaut. Es stehen Phyllit, Gabbro, Grünstein, Granit und Gneis an. Es ist wahrscheinlich, dass die darunterliegenden Gesteine zwischen Kvitsøy und Bokn von minderer Qualität sind, aber das ist noch nicht ganz sicher. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Gesteinsarten im Allgemeinen akzeptabel sind. Die Felsschutzklassen II und III reichen normalerweise aus, um Stabilität zu erreichen. Der derzeitige Rekordwert für das Eindringen von Wasser in den Tunnel liegt bei 500 l pro Sondierbohrung und Minute; die Sondierbohrungen um­fassen normalerweise vier Bohrungen. Dies ist eine für das Bauunternehmen überschaubare Grösse. 
Die Anforderung an die Leckage beträgt 10 l pro 100 m pro Minute und Tunnelstrecke – eine relativ strenge Vorgabe. Bislang gab es keine grösseren Probleme mit Wassereintritten.

➔ Lesen Sie auch den Artikel «Barrieren aus Wasser» der Ausgabe TEC21 09/2024, «Fjorde ohne Fähren».


Welche Vortriebsarten kommen zum Einsatz?

Der Tunnel wird nach der norwegischen Tunnelbaumethode (NMT) gebaut. Dies bedeutet, dass der Fels selbst als Baumaterial verwendet wird. Der Fels des Tunnelprofils wird mit Felsankern und Spritzbeton gesichert. Die Konstruktion für den Wasser- und Frostschutz besteht aus 12 cm dicken Betonelementen an den Ulmen und dem First. Die geschätzte Lebensdauer der Wasser- und Frostschutzkonstruktion beträgt mindestens 50 Jahre.
Die Tunnelbohrmaschine (TBM) wurde als Vortriebsmethode in Betracht gezogen, doch werden die Mehrkosten auf etwa 25 % geschätzt, weshalb sie nicht in Frage kommt. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Massen nach dem Einsatz der TBM nicht für die Auffüllung im Meer geeignet sind. Das Meer in diesem Gebiet ist stellenweise sehr rau, und die Schüttmassen im Meer müssen der Belastung standhalten können.

Übersicht des gigantischen Infrastruktur­projekts «Ferjefri E39»


Wie viel Ausbruchmaterial fällt an? Wie hoch ist die Wiederverwendung, zum Beispiel als Betonzuschlag?

Es werden zwischen 8 und 9 Millionen m3 Bauschutt, also gesprengter Fels, anfallen. Es sind keine grossen Mengen an Gestein zur Wiederverwendung vorgesehen. Dafür ist die Qualität nicht gut genug. Die Massen aus dem Tunnel werden für die Erschliessung von Gewerbegebieten als Seeschüttungen in Mekjarvik, Kvitsøy und dem Karmsund-Hafen verwendet.


Müssen im Zuge des Projekts ökologische Ausgleichs­massnahmen umgesetzt werden?

Es gibt keine Vorschriften für ökologische Ausgleichsmassnahmen im Zusammenhang mit Rogfast, ausser dass die Zerstörung korrigiert werden muss, wenn eines der benachbarten Sperrgebiete durch Schlamm beeinträchtigt wird. Die Seeschüttungen mit dem Ausbruchmaterial erzeugen Schlamm. Dies bedeutet, dass zunächst versucht werden muss, die Schäden zu beheben, oder aber Ausgleichsmassnahmen durchzuführen sind.
 

Hat der grosse Anteil an Elektrofahrzeugen auf Norwegens Strassen besondere Auswirkungen auf den Brandschutz im Tunnel?

Norwegen hat tatsächlich einen relativ hohen Anteil an Elektroautos. Statistisch gesehen gibt es keine Grundlage für die Behauptung, dass für die Nutzer von Rogfast mit einem höheren Anteil an Elektrofahrzeugen ein grösseres Risiko besteht. Fahrzeuge mit fossilen Brennstoffen fangen häufiger Feuer als batteriebetriebene Fahr­zeuge. Da es alle 250 m Querverbindungen zwischen den Tunnels gibt, ist es für die Verkehrsteilnehmer relativ einfach, sich in den sicheren Bereich, also in die andere Röhre zu retten, falls ein Fahrzeug Feuer fängt und sich ein Brand entwickelt. Die Feuerwehr und der Rettungsdienst müssen ein Feuer in einem batteriebetriebenen Fahrzeug nicht unbedingt löschen; es kann vorteilhaft sein, einfach zu warten, bis das Feuer von selbst erlischt. Es ist notwendig, eine etwas bessere Er­fahrungsbasis in Bezug auf die Reaktionsstrategie zu schaffen, um die optimalen Lösungen zu finden.


Für die E39 wurden innovative Konzepte angedacht, etwa eine abgetauchte Rohrbrücke. Wie ist hier der Stand der Dinge? 

Ein halb schwimmender Unterwassertunnel wurde für die E39 tatsächlich in Betracht gezogen, jedoch nicht in Verbindung mit Rogfast am Bokna­fjord. Es wurde relativ schnell geklärt, dass für die Fjordquerungen eine Lösung mit einer schwimmenden Brücke die geeignetere Lösung im Vergleich zu einem versenkten Tunnel ist. Ich denke, dass eine abgetauchte Rohrbrücke vorerst eine Idee bleibt. Norwegen hat nach und nach Erfahrungen mit dem Bau von schwimmenden Brücken gesammelt, und es ist wahrscheinlich einfacher, das Risiko – ­sowohl technisch als auch finanziell – mit einer schwimmenden Brücke zu bewältigen als mit einem versenkten Tunnel.


Von der E39 sind nur etwa 5 Millionen Menschen betroffen. Und die grösseren Orte mit Industrie haben Häfen für den Güterumschlag sowie Im- und Export. Wie wichtig ist die E39 tatsächlich für die Wirtschaft?

Die Autobahn E39 ist ein wichtiger Verkehrsweg in Norwegen und besonders wichtig für Süd- und Westnorwegen, also das Gebiet von Kristiansand bis Trondheim. Ein Grossteil der Wertschöpfung in Norwegen findet hier statt, etwa die Ölindustrie, Fisch- und Meeresfrüchtezucht, Landwirtschaft usw. Die, von Oslo abgesehen, drei grössten Städte Norwegens – Stavanger, Bergen und Trondheim – sind an die Autobahn E39 angeschlossen.


Sind die Fähren auf dem Gebiet der zukünftigen E39 staatlich finanziert oder Privatunternehmen? Gab es gegen das Projekt E39 Widerstände?

Die Fähren auf dem Bezirks- und Nationalstrassennetz werden mit öffentlichen Zuschüssen betrieben. Die Beschaffung von Fährdiensten erfolgt nach den geltenden Vorschriften, das heisst Ausschreibungsunterlagen mit Bewertung vor Vertragsunterzeichnung. Nicht immer gibt es eine vollständige Einigung über eine Fähr- oder Festlandverbindung. In den meisten Fällen ist jedoch eine relativ grosse Mehrheit für eine Festlandverbindung. Dies erklärt die vielen Unterwassertunnel in Norwegen sowie die grosse Anzahl von Brücken zu Inselgemeinden.

Wenn die E39 einmal im Betrieb ist, werden dann die entsprechenden Fährverbindungen eingestellt?

Ja, die Fähre auf der E39 zwischen Mortavika und Arsvågen wird mit der Eröffnung von Rogfast im Jahr 2033 geschlossen. Es ist denkbar, dass jemand ein privates Fährunternehmen auf der gleichen Strecke betreiben möchte, aber die Wahrscheinlichkeit dafür ist gering.


Stossen Grossprojekte in Norwegen auf Widerstand in der Bevölkerung?

In der Regel werden grosse Infrastruktur­einrichtungen bei ihrer Eröffnung gut angenommen. Wenn allerdings Mautgebühren festgelegt wurden, gibt es häufig Beschwerden, dass der Tarif zu hoch sei.


In der Schweiz ist derzeit der Fachkräftemangel ein grosses Thema, speziell auch in der Baubranche. Wie verhält es sich damit in Norwegen? 

Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften ist ein allgemeines Problem in Norwegen. Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge wird jedoch häufig von den Auftragnehmern verlangt, dass sie beispielsweise eine bestimmte Anzahl von Auszubildenden beschäftigen. Auf diese Weise wird ein gewisses Angebot an qualifizierten Arbeitskräften sichergestellt. Darüber hinaus ist es nicht ganz ungewöhnlich, dass qualifizierte Arbeitskräfte aus anderen Ländern in Norwegen Arbeit suchen. Dies variiert mit den Wirtschaftszyklen.

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