Der SIA setzt neue Massstäbe im kli­mas­cho­nen­den Bauen

Mit der Einführung der Norm SIA 390/1 präsentiert der SIA erstmals einen Absenkpfad bis ins Jahr 2050, der zu echten Netto-Null-Gebäuden führen soll.

Date de publication
20-03-2025
Katrin Pfäffli
dipl. Arch. ETH/SIA, Zürich, Sachbearbeiterin der Kommission SIA 390 Lebenszyklus von Gebäuden

Die Norm SIA 390/1 Klimapfad – Treibhausgasbilanz über den Lebenszyklus von Gebäuden wurde per 1. Februar 2025 publiziert und löst das Merkblatt SIA 2040 SIA-Effizienzpfad Energie aus dem Jahr 2017 ab. In der Debatte um die notwendige Transformation des Gebäudeparks in Zeiten des Klimawandels stellt die neue Norm ein Werkzeug zur Verfügung, das sachlich und unaufgeregt die Weichen für die Zukunft stellt. 

Die Norm bietet ein kohärentes, fundiertes und gleichzeitig gut handhabbares Regelwerk zur Bilanzierung der Treibhausgasemissionen über den ganzen Lebenszyklus von Gebäuden. Das Ziel ist die weitgehende Vermeidung von Treibhausgasemissionen im Gleichschritt mit den Reduktionszielen des Schweizer Klimaschutzgesetzes und den Schweizer Verpflichtungen im Pariser Klimaabkommen. Folgerichtig sind die Treibhausgasemissionen neu die Leitgrösse in der Norm, während für die nicht erneuerbare Primärenergie orientierende Richtwerte gelten. 

SIA-Klimapfad folgt den bewährten Ansätzen des SIA-Effizienzpfads

Wer das Merkblatt SIA 2040 kennt, wird sich in der Norm 390/1 schnell zurechtfinden. Das Herzstück der neuen Norm bleibt unverändert: Für die Bewertung eines Gebäudes ist die Summe der Emissionen über den ganzen Lebenszyklus entscheidend. Dieser Ansatz der SIA 2040 hat sich seit über einem Jahrzehnt bewährt. Bewusst werden keine Einzelanforderungen an die Erstellung oder den Betrieb gestellt. 

Weitere Beiträge des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins SIA finden Sie im digitalen Dossier.

Wie bisher berücksichtigen die Zielwerte der Norm 390/1 neben Erstellung und Betrieb auch die raumplanerisch und bezüglich Treibhausgasemissionen äusserst relevante Mobilität. In diesem Bereich die Zielwerte zu erreichen, ist in ländlichen Gegenden eine grosse Herausforderung. Die Zusatzanforderung beschränkt sich, ebenfalls wie bisher, auf die beiden gebäudenahen Bereiche Erstellung und Betrieb. An Standorten, die gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erschlossen sind, bildet die Zusatzanforderung die begrenzende Grösse.

Bei den gebäudenahen Bereichen Erstellung und Betrieb setzt auch die Definition des «Netto-Null-Gebäudes» an. Die Norm SIA 390/1 übernimmt diese aus dem Forschungsprojekt «Netto-Null Treibhausgasemissionen im Gebäudebereich» des Bundesamts für Energie. Ein «Netto-Null-Gebäude», wie es das Forschungsprojekt und die SIA 390/1 definieren, «weist ein Minimum an Treibhausgasemissionen für Erstellung und Betrieb über den gesamten Lebenszyklus auf und vermindert die verbleibenden schwer vermeidbaren Treibhausgasemissionen aus Erstellung und Betrieb durch anrechenbare Negativemissionen auf Netto Null». Die SIA 390/1 sieht für dieses Minimum an Treibhausgasemissionen zwei Ambitions­niveaus vor: 

  • Zielwert B als Basiswert, der sinngemäss den bisherigen Zielwerten in SIA 2040 entspricht.
  • Zielwert A als ambitionierter Wert, der die Grenzen des heute Realisierbaren auslotet. 

Die SIA 390/1 verzichtet auf Festlegungen zur Anrechenbarkeit und entsprechend auf die Anrechnung von Negativemissionen. Separat ausgewiesen wird biogen eingelagerter Kohlenstoff in verbauten Materialien. Denn dieser hat das Potenzial für eine Senkeinwirkung. Die Norm setzt somit konsequent auf die wirksamen und zielführenden Vermeidungsstrategien zur Senkung der effektiven Treibhausgasemissionen. 

Ganzheitliche Betrachtung als Alleinstellungsmerkmal

Ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal der SIA 390/1 ist die ganzheitliche Betrachtung von Erstellung, Betrieb und induzierter Mobilität über den ganzen Lebenszyklus von Gebäuden. Die Bilanzierung über Erstellung und Betrieb ermöglicht es, Umbau- und Neubauvarianten unvoreingenommen zu vergleichen. Dass Umbauten, die den Bestand wertschätzen und mit der vorhandenen Ressource geschickt weiterbauen, bei einer solch umfassenden Betrachtung oft geringere Treibhausgasemissionen verursachen als Ersatzneubauten, ist mittlerweile erkannt. 

Dies verdeutlicht, dass Klimaziele, Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft Hand in Hand gehen. Wo weiterbauen, erhalten, anpassen, weiterentwickeln und neuinterpretieren nicht möglich ist, verweist die Norm SIA 390/1 auf die Wiederverwendung und klärt die Bilanzierungsmethodik bei Re-Use-Bauteilen. Dieses Vorgehen birgt enormes Potenzial: Wiederverwendete Bauteile verursachen durch den Wegfall energieintensiver Herstellungsprozesse bis zu 80 – 90 % weniger Treibhausgasemissionen als neu produzierte Bauteile. 

Normenreihe SIA 390 als Wegweiser für ­klimaschonendes Bauen

Der Klimapfad begründet die neue Normenreihe SIA 390, die alle Normen zum Lebenszyklus vereint. Der Weg bis zur Publikation der Norm war anspruchsvoll. Während der Kommissionsarbeit, in der Vernehmlassung und im Einspracheverfahren gab es auch Kritik an der SIA 390/1. Durch das umsichtige Vorgehen und die sachlichen Argumente der Kommissionsmitglieder konnten diese Bedenken adressiert werden, was massgeblich zur Qualität und breiten Akzeptanz der Norm beitrug. Die Reaktionen zeigten auch: Die Bau- und Planungsbranche steht vor einem Wandel. Ein Umdenken ist notwendig. 

Die SIA 390/1 stellt sich den verschiedenen Herausforderungen mit dem Fokus auf das Ziel der Reduktion der Treibhausgasemissionen. Effiziente Ressourcennutzung, innovative Materialverwendung sowie Suffizienzstrategien sind gleichermassen zielführend und erwünscht. Zudem sollte in jedem Bauprojekt das Potenzial zur Beeinflussung der Mobilität ausgeschöpft werden. Diese Flexibilität in der Wahl der projektspezifisch besten Strategie bildet einen fruchtbaren Boden für innovative Lösungen. 

Der SIA und die Kommission SIA 390 sind gespannt auf die Antworten, die die Architektur und die weiteren Fachbereiche finden, und freut sich auf diese Beiträge zu einer zukunftsfähigen Baukultur.

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