Ar­chi­tek­tur­bien­nale 2014: Fun­da­men­tals

Am 7. Juni 2014 hat die 14. Architekturbiennale Venedig ihre Tore geöffnet. Rem Koolhaas hat die Hauptausstellung zum Thema «Fundamentals» kuratiert und für die Länderausstellungen in den Pavillons ein weiteres Thema vorgeschlagen: «Absorbing Modernity 1914-2014». Das Ergebnis lohnt den Besuch.

Date de publication
10-06-2014
Revision
01-09-2015

Rem Koolhaas, internationaler Architekturstar und Pritzkerpreis-Träger 2000, ist einer der radikalsten Theoretiker der zeitgenössischen Architektur. Er hat eine Generation von mittlerweile ebenfalls weltweit tätigen Architekturschaffenden beeinflusst; deutliche Spuren seiner Gedanken finden sich unter anderem bei BIG, MVRDV oder Herzog & de Meuron. Noch mehr als seine Bauten sind es indes seine Bücher und Ausstellungen, die den architektonischen Diskurs seit drei Jahrzehnten inhaltlich und stilistisch prägen.

Auch an der Biennale Venedig war er mehrfach mit Ausstellungen präsent, vor vier Jahren erhielt er den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk. Daher kam seine Ernennung zum Kurator der diesjährigen Biennale wenig überraschend. Zu erwarten war auch, dass die Ausstellung vom gewohnten Schema – einer disparaten Werkschau von Stararchitekten, notdürftig unter einem möglichst allgemeinen Thema zusammengefasst – abweichen würde. Überhaupt waren die Erwartungen extrem hoch gesteckt. Koolhaas hat sie Teil erfüllt, auch wenn die vielleicht leise erhoffte Revolution ausfällt.

Arsenale: Italien in Stücken

Die Schau «Monditalia» im Arsenale ist als Stationenweg durch Italien organisiert. «Das Gebäude ist lang, und auch Italien ist lang», bemerkte Koolhaas trocken an der Eröffnung. Zudem sei Italien exemplarisch für die meisten anderen Länder unserer Welt: auf der Kippe zwischen Chaos und der bisher verpassten Chance, sein volles Potenzial auszuschöpfen. Die Aussage verspricht wenig Konkretes, doch Koolhaas’ Auseinandersetzung mit Italien ist tatsächlich sehenswert.

Man betritt die Austellung bzw. den Stiefel von Süden her und landet vorerst auf der Insel Lampedusa – zusammen mit unzähligen Bootsflüchtlingen aus Afrika, deren Elend einen gleich zu Anfang in eindrücklichen Filmsequenzen empfängt. Hier beginnen die zwei parallelen Stränge der Schau, die sich auf dem Weg von Süden nach Norden immer wieder thematisch und räumlich überschneiden: auf der einen Seite unterschiedliche Kapitel aus Italiens Architektur- und Kulturgeschichte, auf der anderen Seite Ausschnitte aus italienischen Spielfilmen, die an den besagten Orten spielen. So korrespondiert etwa «The Architecture of Hedonism – Three Villas on the Island of Capri» (Kurator: Martino Stierli) mit Ausschnitten aus Filmen wie Jean-Luc Godards «Le mépris», die in der Villa Malaparte spielt (Architekt: Adalberto Libera).

Die Auswahl der Stationen wirkt zuweilen etwas episodisch; sie scheint nicht nur durch die Dringlichkeit der Themen, sondern auch durch das Beziehungsnetz des Kurators gesteuert zu sein. Doch das ist an der Biennale ohnehin meist der Fall, da die schiere Grösse des Anlasses von einer Einzelperson nicht zu bewältigen wäre. Immerhin haben Koolhaas und seine Gäste eine eindrückliche Dichte an spannenden, provokativen und tiefgründigen Beiträgen zusammengestellt, die trotz ihrer Vielfalt ein Ganzes ergeben. Besonders erfreulich ist, dass die einzelnen Kapitel die Architektur stets im Zusammenhang mit sozialen, wirtschaftlichen und politischen Komponenten betrachten, ohne dabei ins Allgemein-Nichtssagende abzugleiten.

Als Dreingabe wird der theoretische Stationenweg durch eine Reihe von zusätzlichen Komponenten angereichert: Zum ersten Mal sind auch die anderen venezianischen Biennalen und Festivals – Tanz, Musik, Theater und Film – an der Veranstaltung beteiligt. Ob dies tatsächlich zu einem Erkenntnisgewinn beiträgt oder lediglich die Reizüberflutung steigert, bleibt abzusehen. 

Italienischer Pavillon: Gebäude in Stücken

Der zweite grosse Brocken der Biennale, die Ausstellung im ehemaligen italienischen Pavillon in den Giardini, ist ebenso straff kuratiert wie die Schau im Arsenale. «Elements of Architecture» ist das Ergebnis einer zweijährigen Untersuchung der Harward Graduate School of Architecture und weiterer Partner aus Forschung und Industrie.

Wie in «Monditalia» gibt es auch hier klar definierte Kapitel, diesmal zu verschiedenen Bauteilen wie Boden, Wand, Decke, Dach, Türe, Fenster, Fassade, Balkon, Korridor, Feuerstelle, Toilette, Treppe, Rolltreppe, Lift, Rampe. Doch hier vermisst man immer wieder die inhaltliche Tiefe und die fantasievolle Betrachtungsweise, die im Arsenale mehrheitlich vorherrscht und die Koolhaas selbst in seinem Buch «Delirious New York» (1978) im Zusammenhang mit dem Lift fulminant vorgeführt hat.

So gibt es wunderbare Exponate wie alte russische Fenster aus Birkenrinde oder einen Korridor, der mit seinem flimmernden Licht und seinem dumpfen Spannteppich das Zeug dazu hat, klaustrophobische Schübe auszulösen. Doch die theoretische Stringenz fehlt bei den meisten Stationen ebenso wie beim zwar sehr unterhaltsamen, doch letztlich etwas beliebig wirkenden Zusammenschnitt von Filmszenen zu den verschiedenen Bauteilen. 

Länderpavillons: Die Moderne in Stücken

Viele Länder haben Koolhaas’ Themenvorschlag «Absorbing Modernity 1914-2014» dankbar aufgegriffen und die Gelegenheit genutzt, einen Rückblick auf die letzten hundert Jahre Architektur zu werfen. Einige haben ihre Archive geleert und einen umwerfenden Reichtum an schönen Projekten zutage gefördert: Italien und Brasilien natürlich, aber auch die Dominikanische Republik, die Türkei, Bahrain oder der Iran.

In einigen Pavillons ist die Schau unüberhörbar durch politische Untertöne geprägt. Dies ist etwa im serbischen Pavillon der Fall, wo die Auswahl der Projekte von einer beunruhigenden panslawischen Haltung zeugt; oder auch in den Pavillons von China, Korea (goldener Löwe 2014 für den besten Länderpavillon) und Hongkong, die sich mit einer unüberschaubaren Flut von Grossprojekten gegenseitig zu übertrumpfen versuchen. Eher fantasielos fällt die Zusammenstellung im spanischen Pavillon aus, während Ungarn sich auf vormoderne Bauten konzentriert und Österreich mit einer Sammlung von Regierungsbauten recht verwirrend auftritt.

Im Gegensatz zu diesen auf Vollständigkeit fokussierten Ausstellungen stehen Beiträge, die sich differenziert mit ausgewählten Aspekten der jüngeren Architekturgeschichte beschäftigen. Wegen seiner inhaltlichen Qualität und poetischen Inszenierung hervorzuheben ist beispielsweise der Pavillon der skandinavischen Länder, wo es um die Beziehung des Nordens zu westafrikanischen Ländern wie Tansania geht; oder der israelische Pavillon, in dem Plotter städtebauliche Planungen in den Sand zeichnen, um sie anschliessend wieder wegzufegen und immer wieder neu zu zeichnen; oder der belgische Pavillon, wo die Überlagerung der Moderne durch spätere Eingriffe anhand von innenarchitektonischen Elementen gezeigt wird. Der kanadische Pavillon zeigt die Entwicklung der Inuit-Gebiete im Norden des Landes. Auch im Schweizer Pavillon (Kurator: Hans-Ulrich Obrist) geht es um eine Reflektion der Moderne, personifiziert durch Lucius Burkhardt und Cedric Price; der Zusammenhang zwischen diesen beiden Figuren ist allerdings kaum auf Anhieb ersichtlich und wird auch in der Ausstellung nicht wirklich vermittelt.

Und dann gibt es, wie jedes Jahr, die Trouvaillen. Darunter ist einmal mehr der japanische Pavillon mit einer Sammlung von Fundstücken, die die Modernisierung des Landes nach dem Zweiten Weltkrieg illustrieren. Grossbritannien wirft einen humorvollen Blick auf sein bauliches Erbe, doch spätestens bei den (realen) Drehorten für «Clockwork Orange» bleibt einem das Lachen im Hals stecken. Russland präsentiert eine bitterböse Parodie einer Baumesse: Empfangen von adretten, rosa uniformierten Hostessen, darf der Besucher sich an den Ständen mit traditionellen Werten eindecken oder im Roulette einige Investitionsmillionen verspielen. Eine kleine Abwechslung für alle, die sich von der unglaublichen Menge an inspirierenden, lehrreichen und eindrücklichen Ausstellungen etwas erholen müssen...

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