So­la­re Per­spek­ti­ve

100 % Stromversorgung aus erneuerbarer Energie – das ist machbar! In der Schweiz könnte bis zu einem Drittel des jährlichen Strombedarfs über Photovoltaik gedeckt werden. Zurzeit werden die Möglichkeiten für eine Gebäudeintegration von Photovoltaik im Rahmen von Stadterneuerungsprozessen im Bestand untersucht.

Publikationsdatum
15-06-2018
Revision
03-03-2019
Viola John
Redaktorin TEC21 / Konstruktion und nachhaltiges Bauen

Die Städte von morgen sind schon heute gebaut. Ein Grossteil des aktuellen Gebäudeparks der Schweiz sowie anderer europäischer Länder wird voraussichtlich auch in gut 30 Jahren noch stehen. Da bis dahin die Schweizer Ziele der Energiestrategie 20501 umgesetzt und der Gebäude­bestand energetisch ertüchtigt beziehungsweise selbst zum Erzeuger von ökologisch verträglichem Strom werden sollen, spielen Stadterneuerungsprozesse eine wesentliche Rolle für die zukünftige Entwicklung. Sollen Gebäude zu Kraftwerken werden, stellt die Nutzung von Photovoltaik (PV) im und am Gebäude eine vielversprechende Möglichkeit dar, um Bestandsbauten zu optimieren und fit für die Zukunft zu machen.

Auf dem Weg zur wichtigsten Stromquelle

Gemäss International Energy Agency (IEA) wäre es problemlos machbar, in der Schweiz einen Drittel des jährlichen Strombedarfs über PV-Anlagen zu decken.2 Eine aktuelle gemeinsame Studie der finnischen Lappeenranta University of Technology (LUT) und der internationalen Energy Watch Group (EWG) legt sogar nahe, dass eine weltweite Energiewende hin zu 100 % er­neuer­barer Stromversorgung – mit einem Schwerpunkt auf Solarenergie – keine Zukunftsvision, sondern greifbare Realität ist (vgl. «Globales Energiesystem, basierend auf 100% erneuerbarer Energie – Stromsektor», Kasten unten).3 Darüber hinaus entwickelt sich momentan die PV-Technologie in vielen Ländern zur wirtschaftlich günstigsten Möglichkeit, Energie zu erzeugen.4 Der Wettbewerb bei den Herstellern von Solarmodulen lässt seit Jahren die Preise sinken – und laut Prognosen der IEA wird Solarstrom in Zukunft noch günstiger produziert werden können als heute. Für eine globale solare Energiewende sind dies ökonomisch gute Voraussetzungen.

PV integriert in die Gebäudehülle

Wirtschaftlich vorteilhaft können insbesondere Building Integrated Photovoltaics (BIPV) sein – gebäude­integrierte PV-Anlagen. Als Aussenhaut angewendet bieten sie nicht nur den Vorteil der Energie­erzeugung, sondern bilden mittlerweile durchaus eine ökonomisch wettbewerbsfähige Alternative zu herkömmlichen Hüllmaterialien für Fassaden und Dächer. Zu diesem Ergebnis kommt das Forschungsteam eines von der Europäischen Union geförderten Kooperationsprojekts nach Abschluss der Testphase für ein Bürogebäude in Litauen.5 Darüber hinaus ermöglicht BIPV eine grossflächige Nutzung von PV am gesamten Bauwerk. Eingesetzt als Hüllmaterial und dezentraler Strom­erzeuger zur Gewinnung regenerativer Energie kann BIPV gleichzeitig den Einsatz von Baustoffressourcen und fossiler Energie sowie den Ausstoss von Treibhausgasen im Bausektor reduzieren. BIPV-Systeme bieten somit eine potenzielle Antwort auf viele Herausforderungen der Energiewende.

Bestandsbauten profitieren von BIPV

Ein interdisziplinäres Forschungsteam unter der ­Leitung des Labors für Architektur und nachhaltige Technologien (LAST) der EPF Lausanne geht in einem aktuellen Forschungsprojekt sogar davon aus, dass es für das Erreichen der Ziele der Schweizer Energie­strategie 2050 unverzichtbar ist, energetische Sanierungsprojekte mit der Integration von erneuerbaren Energien – insbesondere in Form von BIPV – zu kombinieren. Das Dämmen der Gebäudehülle allein genügt nicht. Vielmehr sollten BIPV-Systeme als Baustoff ­verstanden und wie jedes andere Hüllmaterial eingesetzt werden, sodass sie ­idea­lerweise herkömmliche Materialien der Gebäudehülle sukzessive konstruktiv ersetzen.

Um ­Möglichkeiten und Strategien zur Bestandssanierung mit BIPV-Systemen zu untersuchen, ana­lysieren die Wissenschaftler im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds SNF geförderten Forschungsprojekts ­«Active Interfaces»6, 7 in Neuenburg derzeit exem­plarisch archetypische Mehrfamilienhäuser aus verschiedenen Baujahren hinsichtlich ihres Potenzials für eine solare Stadterneuerung.8 Neben dem Baujahr fliessen unter anderem auch Informationen über den Standort sowie über die Eignung von Dach und Fassade für BIPV und etwaige Denkmal­schutz­auflagen in die Analyse ein.

Ausserdem werden verschiedene Sanierungsszenarien hinsichtlich ihrer Wirksamkeit mit­ein­ander verglichen:

  • Keine BIPV (S0): In diesem Szenario wird die energetische Performance der Gebäudehülle lediglich durch passive Strategien nach den Anforderungen der SIA 380/1 2016 verbessert, auf PV am Gebäude wird gänzlich verzichtet.
  • Erhalt (S1): In diesem Szenario wird das Aussehen des Gebäudes bewahrt, die Gebäudehülle nach SIA 380/1 2016 verbessert und BIPV an Dach und Fassaden eingesetzt (Abbildungen und Grafik).
  • Erneuerung (S2): In diesem Szenario werden die ­architektonisch prägenden Linien der Hülle erhalten, das Gebäude energetisch auf Minergie-Standard gebracht und BIPV an Dach und Fassaden installiert.
  • Transformation (S3): In diesem Szenario wird das Gebäude konform mit den Zielen der 2000-Watt-­Gesellschaft saniert und BIPV für eine maximale Strom­erzeugung am Gebäude vorgesehen. Hierfür sollen vorgefertigte, wärmegedämmte Elemente als hinterlüftete Fassade vor die bestehende Wand gehängt werden. In die opaken Bauteile wird BIPV integriert (Abbildungen und Grafik).

Innerhalb der drei Szenarien mit BIPV wird nochmals unterschieden in drei verschiedene Strategien:

  • 100 % der Gebäudehüllfläche als BIPV,
  • nur so viel anteilige BIPV-Hüllfläche, wie zur Deckung des Eigenenergiebedarfs des Gebäudes erforderlich ist,
  • die anteilige BIPV-Hüllfläche mit einer zusätz­lichen Batterieunterstützung für Optimierungen im Energiemanagement.

Erste Ergebnisse legen nahe, dass die drei ­Sanie­rungsszenarien mit BIPV im Vergleich zum Szenario ohne BIPV allesamt besonders kosteneffizient sind. Auch hinsichtlich Einsparungen des Treibhauspotenzials und der grauen ­Ener­gie bieten die BIPV-Szenarien Vorteile.

Ästhetik im Wandel

Einiges spricht also dafür, BIPV bei der Bestands­sanierung einzusetzen. Auch die technisch und ästhetisch entsprechend hohen Anforderungen an das ­Material werden schon heute von vielen auf dem Markt erhältlichen Produkten erfüllt. ­Photovoltaikmodule können mittlerweile in Vorhangfassaden, Fenster oder Dachziegel integriert und farblich nach Belieben ­gestaltet werden (vgl. «Rot ist gefragt», Kasten unten, und «Neues Farbenspiel»). So sind mit BIPV individuelle Erneuerungsstrate­gien von Bestands­bauten in Abhängigkeit von der jeweiligen Gebäude­typo­logie, den architektonischen Gestaltungszielen und dem Interventionsgrad umsetzbar.

Allerdings hätte der konsequente Einsatz von BIPV an sämtlichen Bestandsbauten zur Folge, dass sich ganze Stadt- und Ortsbilder in ihrer Ästhetik radikal wandeln würden. Die Abbildung rechts veranschaulicht, wie sich die ertragsorientierte Integration von Photovoltaik auf das Aussehen der Fassaden von Bestandsbauten auswirken könnte. Insbesondere bei baukulturell bedeutenden Bauwerken stösst man hier noch immer an Grenzen – Wunsch und Wirklichkeit liegen mitunter weit auseinander. Wenn BIPV sich in Zukunft auch bei solchen Bauwerken durchsetzen soll, sind Architekten, Forscher und Hersteller von PV-Modulen weiterhin gefordert, gemeinsam indivi­duelle und ästhetisch ansprechende Lösungen hierfür zu entwickeln.

Autark oder altruistisch in die Zukunft?

Letztendlich stellt sich allerdings auch die Frage, wohin die Reise der gebäudeintegrierten Photovoltaik in Zukunft gehen soll: Ist es sinnvoll und erforderlich, dass jedes Gebäude für sich genommen energieautark ist, um die Energieziele zu erreichen? Zielführender könnte es sein, in urbanen Energieclustern zu denken und damit dann auch flexibler über den Einsatz von BIPV im Stadtraum und am individuellen Bauwerk zu entscheiden (vgl. «Mein Haus ist mein Kraftwerk»).

Während exemplarische Betrachtungen des BIPV-­Potenzials einzelner Bestandsgebäude eine wichtige Grundlage in der Forschung darstellen und das Durchspielen von Szenarien im kleinen Massstab ermöglichen, ist es wichtig, die gewonnenen Erkenntnisse in der Folge auch auf grössere Stadträume anzuwenden. So können Potenziale von BIPV innerhalb von urbanen Energie­clustern und in Kombination mit anderen erneuerbaren Energietechnologien identifiziert werden. Werden dabei ökologische, ökonomische und gesellschaftliche Aspekte gleichwertig berücksichtigt, kann BIPV im Rahmen von Stadterneuerungsprozessen auch im Bestand eine nachhaltige Perspektive für die Zukunft bieten.

Anmerkungen
1 Bundesamt für Energie BfE: Energiestrategie 2050; Zürich 2014.
2 International energy agency IEA: Potential for Building Integrated Photovoltaics, Report PVPS T7-4; Switzerland 2002.
3 M. Ram et al.: Global Energy System based on 100% Renewable Energy-Power Sector. Study by Lappeen­ranta University of Technology and Energy Watch Group; Lappeenranta, Berlin, November 2017.
4 International Energy Agency IEA: World Energy Outlook 2017.
5 SmartFlex Solarfacades: EU SmartFlex project finishes reference solar façade; www.smartflex-solarfacades.eu/press
6www.activeinterfaces.ch/de
7www.pnr70.ch/de/Seiten/Home.aspx
8 S. Aguacil Moreno, S. Lufkin, E. Rey: Influence of energy-use scenarios in Life-Cycle Analysis of renovation projects with Building-Integrated Photovoltaics; International Conference for Sustainable Design of the Built Environment SDBE; London 2017.


Globales Energiesystem, basierend auf 100% erneuerbarer Energie – Stromsektor

Erneuerbare Energien und die Technologien dahinter, inklusive Stromspeicherungssysteme, haben das Potenzial dazu, Strom effizient und sicher zu erzeugen und damit den weltweiten Energiebedarf bis 2050 zu decken.

Bis 2030 wird Windenergie 32% des Strombedarfs weltweit decken. Allerdings wird nach 2030 Photovoltaik wettbewerbsfähiger. Daher steigt der prozentuale Anteil von Photovoltaik im globalen Stromsektor von 37% im Jahr 2030 auf 69% im Jahr 2050.

Strom aus erneuerbarer Energie wird billiger. Die Durchschnittsstromkosten für 100% erneuerbare En­ergien belaufen sich auf 52 Euro/MWh im Jahr 2050 (dies be­inhaltet Kosten für Abregelungen, Speicher und Netz), während es im Jahr 2015 noch ­70 Euro/MWh waren.

Dank stark fallenden Kosten werden Photovoltaik und Bat­teriespeicherung im Jahr 2050 die wichtigsten Pfeiler des ­erneuerbaren Energiesystems sein. Photovoltaik wird 69%, Windenergie 18%, Wasserkraft 8% und Bioenergie 2% des globalen Strommix ausmachen.

Batterien werden im Jahr 2050 die Schlüsseltechno­logie für Photovoltaik darstellen. 31% des globalen Strom­bedarfs wird von Speichern abgedeckt, wovon wiederum 95% durch Batteriespeicher bereitgestellt wird. Batteriespeicher werden vor allem die täglichen Schwankungen ausgleichen, während Gas, aus erneuerbaren Energien erzeugt, die saisonale Speicherung decken wird.

Als Resultat dieser Entwicklungen werden sich die weltweiten Treibhausgasemissionen drastisch reduzieren: von ungefähr 11 Gt CO2eq im Jahr 2015 hin zur emis­sionsfreien Energiegewinnung bis 2050 oder sogar ­früher, während die durchschnittlichen Strom­kosten im Stromversorgungssystem sinken.


Rot ist gefragt

Wirtschaftswissenschaftler der Universität St. Gallen haben Schweizer Eigenheimbesitzer nach ihren Prä­ferenzen bei der Auswahl von PV-Modulen befragt. ­Danach scheinen Farbe sowie Herstellungsland die wichtigsten Aspekte bei der Kaufentscheidung zu sein: Rot ist die beliebteste Farbe, und in der Schweiz her­gestellte PV-Systeme werden bevorzugt gekauft. Ebenfalls beliebt sind schwarze oder in Deutschland her­gestellte PV-Module. Am wenigsten gefragt sind blaue PV-Module und solche, die in China produziert wurden. Ein weiteres Ergebnis ist, dass es bei den Befragten eine Bereitschaft gibt, bis zu 22% mehr für ein Dach mit BIPV-System zu bezahlen gegenüber einem nicht in die Dachhaut integrierten PV-Dach gleicher Herkunft und Farbe.1 (Viola John)

Anmerkung
1 S. Hille et al.: Red is the new blue – The role of color, building integration and country-of-origin in home­owners’ preferences for residential photovoltaics. Energy and Buildings Vol. 162, S. 21–31; 2018.

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