10 Uhr: Teu­fels­kel­ler

Anfang Juni eröffnete in Spreitenbach das grösste Co-Working-Space der Schweiz. Das Angebot mit 340 Arbeitsplätzen im ehemaligen Globus-Zentrallager richtet sich vor allem an KMU. 

Publikationsdatum
25-06-2020

Vor drei Jahren ging die Zürcher Firma Office LAB mit ihrem ersten kommer­ziell vermarkteten Co-Working-­Space an den Markt: Das Gemeinschaftsbüro in der Liegenschaft «Baslerpark» in Zürich Altstetten startete im September 2017. Mit der neuen Fläche an der Industriestrasse in Spreitenbach gehören nun bereits fünf Standorte zum Portfolio; drei als Zwischennutzung angelegte Spaces – die Co-Working-Fläche im Smart City Lab auf dem Wolf-­Areal in Basel (vgl. TEC21-Sonderheft «SBB-Areale: vom Betrieb zur Stadt», 2018), die Alte Post in Zug und das Mythenschloss in Zürich – sind unterdessen schon wieder Vergangenheit.

Office LAB ist heute der grösste kommerzielle Anbieter von Co-Working-Spaces in der Schweiz und weiterhin auf Expansionskurs: Bis 2025 sind landesweit 25 bis 30 Standorte geplant, sagt CEO Roger Krieg – dies, um sich als Branchengrösster in Position zu bringen, und auch, um Mitgliedern die Vorteile einer Kette bieten zu können.1

Dafür akquiriert das Unternehmen auch aktiv geeignete Bürofläche. In Spreitenbach kam allerdings die Credit Suisse als Besitzerin der Liegenschaft auf die Firma zu. Nachdem die Warenhausgruppe Globus ihren Hauptsitz 2017 in die Zürcher Innenstadt verlegt hatte, standen dort rund 11 000 m² Bürofläche zur Verfügung – an gut erschlossener, wenn auch nicht an Toplage für die hiesige klassische Büronutzung. Hier kam das Co-Working-Modell ins Spiel: Die Credit ­Suisse hatte schon bei der Realisierung des «Baslerpark» mit Office LAB zusammengearbeitet und sah das Potenzial der Idee an diesem Ort.

Das zweite Obergeschoss des vierstöckigen Baus wird nun klassisch vermietet, das darüber liegende als Co-Working-Space betrieben – mit der Option, bei Erfolg nach unten zu expandieren. Erd- und 1. Obergeschoss belegt nach dem Verkauf von Interio das Möbelhaus Mömax. Auf 5500 m² Fläche stehen 340 Arbeitsplätze zur Verfügung, davon 25 im Open Space. 30 Räume sind als Teamoffice für bis zu 30 Personen angelegt. Das Raumangebot richtet sich aufgrund der Agglomera­tionslage weniger an Freelancer als an KMU mit 2 bis 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Dem ehemaligen Verteillager kommt dabei zugute, dass es Anfang der Nullerjahre zum Bürohaus umgebaut wurde, mit offenen Fassaden und Lichthöfen, die viel Helligkeit in das rund 60 m × 100 m grosse Volumen bringen. Tatsächlich wirken die Innenräume der Büros licht und luftig, die offenen Installationen anstelle einer abgehängten Decke bringen zusätzliche Raumhöhe. Der raue Gewerbegebietscharme der Umgebung ist hier nicht zu spüren, stattdessen geht der Blick weit hinaus ins Grün des Limmattals.

Die Inneneinrichtung würde sich auch in einer internationalen Hotelkette gut machen: ein bisschen hip, ein bisschen bunt, viel Holz, oft mit einem leichten Touch des Selbstgebauten und technisch auf dem neuesten Stand. An der Empfangstheke am Eingang begrüsst ein Concierge Besucherinnen und Besucher; die Post kann in entsprechenden Fächern abgeholt, Arbeitsausrüstung und persönliche Gegenstände in mietbaren Schliessfächern gesichert werden.

«Wir versuchen, jeden Standort individuell zu gestalten, mit Bezügen zum Ort und zur DNS des Gebäudes», sagt Roger Krieg bei der Besichtigung. Im Gegensatz zum Co-Working-Space im «Freiruum» in den ehemaligen Produktionshallen von Landis & Gyr in Zug oder jenem im Trafogebäude in Baden, beides ebenfalls Filia­len des Unternehmens, ist das im eher reizarmen Bau in Spreitenbach nicht ganz einfach. Subtile Hinweise liefern die Namen der variantenreich eingerichteten 20 Sitzungszimmer: Man kann sich hier beispielsweise im Franzosenweiher, im Buechbüel oder im Teufelskeller treffen – alles Flurnamen der Gemeinde.

Arbeitswelten statt Büros

Getreu dem Co-Working-Credo (vgl. «Weil es allein weniger Spass macht») hat Office LAB den Anspruch, mehr als nur Bürofläche zu bieten. Sobald die Nachfrage ausreicht, wird das interne Restaurant in Betrieb genommen. Auch eine gastronomische Zusammenarbeit mit dem Möbelhaus sei vorstellbar – und möglicherweise eine Kooperation für eine temporäre Kinderbetreuung.

Neben festen Mietern, die ihre Arbeitsplätze per Abo oder über eine Firmenmitgliedschaft mit Credits nutzen, gibt es auch die Möglichkeit, die Arbeitsplätze tageweise zu nutzen oder bei Bedarf ein Sitzungszimmer zu mieten. Den Firmen, die sich einmieten, bietet das Modell so grösstmögliche Flexibilität und – nicht zu unterschätzen – die jeweils aktuellste technische und räumliche Infrastruktur. Tatsächlich hat die Digitalisierung dem Geschäftsmodell einen Schub verliehen: Zum einen erlaubt erst sie eine dezentralisierte Arbeitsweise, zum anderen ist die Umsetzung beispielweise bei der Zugangskontrolle mit personalisierten Badges besser kontrollierbar als mit herkömmlichen Schlüsseln – eine Erkenntnis, die die Betreiber aus ehemaligen Zwischennutzungsprojekten mitnehmen konnten.

Ob sich das Modell in Spreitenbach durchsetzen wird, wird man in einigen Jahren sehen. Mit dem Neben- oder vielmehr dem Übereinander der verschiedenen Büromodelle ist jedenfalls ein Co-Habitat entstanden, das Platz bietet für alle Arten des Arbeitstiers.

Anmerkung

1 Office LAB ist ein Schwesterunternehmen des Zürcher Innenarchitekturbüros offconsult, das sich auf die Planung von Büros spezialisiert hat. 2002 entwickelte offconsult eine erste Testfläche für neue Arbeitsplatz­modelle (vgl. TEC21 22/2010). Um die Arbeitsplätze besser zu nutzen und zudem unter Echtbetrieb testen zu können, begann das Unternehmen 2012, die Flächen zu vermieten – das erste von der Firma betriebene Co-Working-Space war geboren.

Eine ausführlichere Version dieses Artikels finden Sie in TEC21 19/2020 «Die Auflösung des Büros».

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