Zum Um­gang mit ei­gen­wil­li­gen Ver­wand­ten und lie­bens­wer­ten Schlös­sern

Gesamterneuerung Bernisches Historisches Museum; Einstufiger Studienauftrag im selektiven Verfahren

Das Bernische Historische Museum braucht mehr Publikumsfläche und soll sich künftig zum geplanten Museumsgarten öffnen. Zwischen historischen Bauten und einer Erweiterung entsteht ein Experimentierfeld, das sich ­exemplarisch für die Konzeption ­denkmalpflegerischen Weiterbauens eignet.

Publikationsdatum
19-09-2024

Das heutige Haupthaus des Bernischen Historischen Museums entstand Ende des 19. Jahrhunderts nach Plänen von André Lambert. Als Konkurrenzprojekt zum Landesmuseum in Zürich entworfen, wurde es trotz verlorenem Standortwettbewerb realisiert und zu einem regionalen Museum umgewidmet. Es handelt sich um einen schlossähnlichen Komplex im Baustil des romantisierenden Historismus, der städtebaulich prominent am Ende der Kirchenfeldbrücke steht und als Schutzobjekt von nationaler Bedeutung eingestuft ist. Im rückwärtigen Bereich des Baus schliesst ein parkähnlicher Grünraum an, der zurzeit mit provisorischen Kleinbauten besetzt ist. In den frühen 1920er-Jahren wurde das Gebäude entlang der Mittelachse mit dem sogenannten «Moserbau» erweitert. Der historisierende Anbau steht an jener Stelle, an der das Museum gemäss seiner inneren Logik zum Parkraum geöffnet werden sollte.

Im Jahr 2009 ergänzte das Bieler Büro :mlzd das Ensemble mit einer Erweiterung in zeittypischer Handschrift. Der freistehende Baukörper steht auf einem verbindenden Sockelbau als kontrastierendes Abstraktum seitlich neben dem historischen Komplex. Entgegen seinem Namen «Kubus» ist der Neubau ein mehrfach abgeschrägtes Volumen – einseitig gefasst in verspiegeltem Glas, dreiseitig in strukturiertem Beton, der in seiner Farbigkeit und Oberfläche vermutlich an Sandstein erinnern soll.

Von Fast Fashion bis zu feinfühligem Weiterbauen

Beginnen wir die Betrachtung des Reigens von Lösungsversuchen im Wettbewerb um die Gesamterneuerung mit dem Vorschlag von Barozzi Veiga: Das Team entzieht sich der Auseinandersetzung mit einem der drei baulichen Ak­teure, indem es den Abbruch des «Kubus» vorschlägt und seine Baumasse in einem neuen Gebäude unterbringt. Wohlgemerkt: Es handelt sich beim «Kubus» um ein gerade mal 15 Jahre altes, funktionierendes Gebäude von beträchtlichem Volumen, aufwendig und hochwertig gebaut und von einem anerkannten Architekturbüro geplant.

Angesichts der heutigen Herausforderungen des Klimawandels, aber auch des Umgangs mit den für Kultur zur Verfügung stehenden Mitteln und der politischen Machbarkeit verbleibt der Vorschlag ein Gedankenspiel, das höchstens dazu anregt, über unseren Berufsstand, seine Zyklen und qualitätssichernde Verfahren nachzudenken. Können wir uns wirklich nach so kurzer Zeit ein kategorisches Urteil über eine nota­bene aus einem qualifizierten Konkurrenzverfahren hervorgegangene Arbeit erlauben? Können wir funktionierende Bauten, die erst kürzlich mit viel Energie, Material und Geld erstellt wurden, zu be­deutungsloser Wegwerfarchitektur degradieren, sodass sich deren Lebenszyklen jenen der schnell wechselnden Moden der Bekleidungs­industrie annähern?

Wesentlich interessanter ist der affirmative Umgang mit dem «Kubus» des Teams um die ARGE Studio Gugger / Konstrukt: Es erhöht den Bau um ein Geschoss und interpretiert seine Gesamtwirkung neu, indem es die bislang abweisende Rückseite mit einer nahtlos angefügten, zeichenhaften Erweiterung zu einer glaubhaften Vorderseite umdeutet. Das Prinzip des Weiterbauens wird hier bei einem Bau der jüngsten Vergangenheit überzeugend vorgeführt und beweist, dass nicht immer alles neu sein muss, um neu zu funktionieren. Die zusätzlichen Ausstellungsflächen ordnet das Team unterirdisch an. Mit diesen beiden Massnahmen schafft es der Projektvorschlag, den Funktionsdruck auf den «Moserbau» als neuen Eingang zu verkleinern, die Eingriffe in den historischen Bestand deutlich zu minimieren und beide Bauten in ihrer ursprünglichen Konzeption weitgehend zu belassen. Die vorgeschlagenen Eingriffe in den historischen Bestand werden im Jurybericht als «mit der feinen Klinge geführt, verblüffend einfach und dabei sparsam» beschrieben. Hier beginnt Denkmalpflege mit klugen, strategischen Entscheiden.

Strategisch verwandt agiert das Team um Buol & Zünd Architekten. Der neue Eingang Süd wird in seinem Projektvorschlag nicht mit einem Umbau des «Kubus» erreicht, sondern mit einem tiefgreifenden, aber gekonnten und letztlich inte­grativen Eingriff in den «Moserbau». Das Sockel- und erste Vollgeschoss werden zusammengefasst, um eine hohe und architektonisch eindrückliche Eingangshalle zu generieren. Diese weist aufgrund der Lage des «Moserbaus» und im Gegensatz zum Projekt des Teams um Studio Gugger einen direkten räumlichen Bezug zum oberen Eingang Nord auf und vermeidet so einen der Hauptkritikpunkte am Projekt von Gugger.

Grosse Teile der Ausstellungsräume werden aber auch in diesem Vorschlag in einem neuen Untergeschoss angeordnet, was in betrieblicher Hinsicht und in Bezug auf den geschützten Baumbestand stark kritisiert wird. Die Eingriffe in den historischen Bestand konnten dagegen minimiert und auf hohem Niveau auf die Innenräume beschränkt werden. Sie zeugen von der gestalterischen Eigenwilligkeit von Buol & Zünd Architekten, die immer wieder überrascht und erfreut.

Implantate ins Schloss

Der Vorschlag des Siegerteams um Bellorini Architekten und Kast Kaeppeli verzichtet weitgehend auf unterirdische Räume und lässt den «Kubus» unangetastet. Hier wird ohne Berührungsängste direkt am historischen Bestand weitergebaut. Ein risikoreiches Vorgehen, das aber mit so grosser Raffinesse und Feingefühl vorgeführt wird, dass das Ergebnis umfassend zu überzeugen vermag. Bemerkenswert ist dabei, wie das Team funktionale Anforderungen, museumspädagogische Konzepte und den neuen Eingang Süd direkt in Architektur übersetzt. Hier zeigt sich die ganze Kraft und das Potenzial des «Weiterbauens», indem mit den gleichen Mitteln wie im historischen Bestand und damit direkt am architektonisch-räumlichen Gefüge des Museums operiert wird. So können betriebliche Proble­me unmittelbarer aufgelöst werden als mit einer peripheren Erweiterung, wie etwa in einem Untergeschoss oder im Nebenbau.

Zu diesem Zweck implantieren die Architektinnen und Architekten die neue Baumasse direkt ins Zentrum des bestehenden Ensembles. Zwei turmartige Ergänzungen und ein neuer Zwischenbau, der einen vorhandenen Hofraum nutzt, lösen die Anforderungen des Museumsbetriebs im Herzen des bestehenden Gefüges. Der westliche Turm stellt die in der heutigen Museumspädagogik geforderten Rundgänge sicher, indem er die bisherige Sackgasse auflöst und eine Brücke zurück in den Mitteltrakt schlägt. Der östliche Turm stellt strategisch geschickt dort zusätzlichen Raum zur Verfügung und Verbindungen her, wo diese gebraucht werden. Und nicht zuletzt regelt er den Bezug des historischen Baus zum «Kubus» neu, indem er näher an diesen heranrückt und mit einer gleichzeitig alten und neuen Architektursprache vielleicht sogar ein Gesprächsangebot an den eher abweisenden Bau darstellt.

Was dabei entsteht, ist ebenso überraschend wie raffiniert, ebenso selbstbewusst wie subtil. Der ursprüngliche Bau, seine Erweiterung aus den 1920er-Jahren und die sanften Ergänzungen aus der nun anstehenden Bauphase gehen auf in einem neuen Ganzen, das seine integrative Kraft so weit ent­wickelt, dass auch der strategisch ganz anders operierende «Kubus» einbezogen und zu einem Teil der «Familie» wird. Oder, wie es im Jurybericht treffend formuliert ist: «Er wird zum Besten, was er sein kann: ein etwas eigenwilliger, aber liebenswerter Verwandter.»

Wenn wir in Zukunft nachhaltiger bauen wollen, brauchen wir Konzepte wie dieses. Konzepte, in denen funktionierende Bauten nicht abgerissen, sondern klug integriert werden. Konzepte, die es erlauben, dass die historische Substanz selbstverständlich und subtil uminterpretiert werden kann, sodass diese nicht nur erhalten wird, sondern auch dem neuen Zweck optimal dient.

Pläne und Jurybericht zum Studienauftrag finden Sie auf competitions.espazium.ch

Teilnehmende Teams

Siegerteam: Bellorini Architekten / Kast Kaeppeli 
ARGE Bellorini Architekten / Kast Kaeppeli Architekten, Bern; Kossmanndejong, Amsterdam; ASP Architekten, Bern; Christoph Schläppi, Bern; extra Landschaftsarchitekten, Bern; WAM Planer und Ingenieure, Bern; Grolimund + Partner, Liebefeld; WSP | BG Ingenieure und Berater, Bern; Gruner, Köniz; fux & sarbach Engineering, Bern

Team: Barozzi Veiga 
Barozzi Veiga, Barcelona /  Chur; Duncan McCauley, Berlin; Pro­planning, Basel; Ulaga Weiss, Basel; xmade, Basel; Enercom, Bern; HKG Engi­neering, Bern; Kopitsis, Wohlen; Quantum, Basel; mati Lichtgestaltung, Adliswil; Studio Celine Baumann, Basel; Robin Winogrond Landscape, Zürich

Team: Buol & Zünd ­Architekten
Buol & Zünd Architekten, Basel; ARGE Gillmann / Schnegg, Basel; Weber ­Brönnimann Bauingenieure, Bern; Waldhauser + Herrmann, Münchenstein; Weber Brönnimann Landschaftsarchitektur, Bern; Risam, Basel

Team: Studio Gugger / Konstrukt
ARGE Studio Gugger, Basel / Konstrukt, Zürich; Belprat Partner, Zürich; WH-P Ingenieure, Basel; IBG, St. Gallen; Eicher + Pauli, Liestal; Maurus Schifferli Landschaftsarchitekt, Bern; Amstein + Walthert Sicherheit, Buchs; Quantum Brandschutz, Basel; Gartenmann Engi­neering, Basel

Fachjury

Thomas Blanckarts, Architekt, Riehen; Elisabeth Boesch, Architektin, Zürich; Jean Daniel Gross, Architekt, Denkmalpfleger Stadt Bern; Thomas Pfluger, Architekt, Stadtbaumeister Stadt Bern; Paul Spies, Kunsthistoriker (Museumsgestaltung), Direktor Stiftung Stadt­museum, Berlin; Sibylle Aubort Raderschall, Landschaftsarchitektin, Meilen (Ersatz)

Sachjury

Luc Mentha, Stiftung BHM, Präsident (Vorsitz); Daniel Kramer, BHM, Stiftungsrat; Aline Minder, BHM, Leiterin Fachbereich Programm, GL; Thomas Pauli-Gabi, BHM, Direktor; Frerk Froböse, Konzeptentwickler, Zürich (Ersatz)

Lukas Imhof ist Architekt mit eigenem Büro in Zürich, doziert an der Technischen Universität Graz und schreibt für Fachzeitschriften.

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