Aus den Ge­ge­ben­hei­ten ent­wi­ckelt

Im Umfeld der geplanten Erweiterungsbauten am Imfeldsteig in Zürich stehen gute Vorbilder des preisgünstigen Wohnungsbaus. Die Gebäude verfügen über klare Grundrisse, harmonische Fassaden, eine solide ­Bauweise und viel Liebe zum Detail. Merkmale, die auch den zur ­Weiterbearbeitung auserkorenen Entwurf «Bellevue» auszeichnen.

Publikationsdatum
03-04-2025
Gerold Kunz
Architekt, Fachsekretär der Stadtbildkommission Basel und Mitherausgeber der Zentralschweizer Architekturzeitschrift «Karton»

Erweiterung und Instandsetzung Wohnhaus Imfeldsteig, Zürich-Wipkingen 
Projektwettbewerb im selektiven Verfahren

Für die Teilnahme am Wettbewerb um die Erweite­rung und Instandsetzung des Wohnhauses Imfeldsteig 1, das 1904 von Arnold Geiser erbaut wurde, haben sich fünf Generalplanungs­teams qualifiziert. Die im städtischen Vergleich kleine Parzelle ist mit einem Schutzobjekt bebaut und verfügt über grosse Aus­nüt­zungs­reserven. Die Teams mussten das Grundstück nicht nur stadträum­lich und architektonisch hoch­wertig ent­wickeln, sondern in ihrem Projekt auch die Kriterien für preisgünstigen Wohnraum und die hohen Nachhaltigkeitsziele der Bauherrin Liegenschaften Stadt Zürich berücksichtigen.

Das erfolgreich aus dem selektiven Verfahren hervorgegangene Projekt «Bellevue» des Teams um Atelier Candrian Meier schafft neuen Wohnraum für 38 Personen. Im Vergleich dazu bieten die ausgeschiedenen Projekte Raum für nur 25 bis 36 Personen an. Trotz der hohen Dichte ist das gewählte städtebauliche Konzept einfach zu verstehen: Das viergeschossige Bestandsgebäude wird um zwei Bauten ergänzt, die sich in Fussabdruck und Volumen deutlich unterscheiden.

Das grössere Volumen, ein Geschosswohnungsbau, wird rechtwinklig zum vorhandenen Gebäude und entlang des Imfeldsteigs platziert. Es übernimmt mit der Giebelseite die Gebäudeflucht des gegenüberliegenden Wohngebäudes, der 1926/27 von der Architektin Lux Guyer erstellten Frauenwohnkolonie «Lettenhof», und fasst mit dem Bestandsgebäude – auf dessen Giebelseite bereits 1940 Fenster ergänzt wurden – einen Vorplatz. Mit den Individualzimmern richtet sich der Ergänzungsbau nach Südosten und mit den Kollektivräumen zum Hof aus. Der zweite, im Volumen deutlich kleinere Neubau ist ein Doppelhaus. Es steht im Hof und nutzt die Gebäudelücke, um den Bewohnenden den Blick auf den Limmatraum zu öffnen. Die Wohnungen entwickeln sich über drei Geschosse, wobei das Erdgeschoss ohne Raumteilung als gemeinschaftlicher Bereich genutzt werden kann, während sich die kleinteiligeren Räume in den Obergeschossen befinden.

Städtebau vergangener Jahre

Die klare Anordnung der Volumen und die unterschiedlichen Gebäudegrössen vervollständigen das Ensemble zu einer Gebäudegruppe, die über die Einbettung in den Hang gefestigt wird. Das Projekt erinnert mit seinen Einzelbauten an den Städtebau vergangener Jahre. Auf historischen Aufnahmen ist im Umfeld des heutigen Schutz­objekts bereits eine ähnliche Baugruppe zu erkennen.

Einen anderen Städtebau verfolgten die beiden früh ausgeschiedenen Projekte «Me-You» von Clauss Kahl Merz Atelier für Ar­chitektur  + Städtebau zusammen mit Konstrukt sowie der Entwurf «IMBY» von Schneider Studer Primas. Beide Projekte bauen am Bestandsgebäude an und fassen den Hof mit einem Winkelbau. Die Jury lobt beim Projekt «IMBY» die gestaffelte Höhenentwicklung entlang des Imfeldsteigs, stört sich aber aus städtebaulichen Gründen an der Negativecke. Bei «Me-You» vermisst sie die erforderliche Qualität in den Grundrissen. Die Mankos zeigen sich im zweiten und dritten Obergeschoss bei der Anordnung von Küche und Bad auf der Südseite.

Mit einem im Ausdruck eigenständigen Anbau und einem zweiten, in der Gestaltung ähnlichen Baukörper loten Conen Sigl in ihrem Projekt «Specht» die Möglichkeiten einer Neuformulierung aus. Entlang des Imfeldsteigs entstehen zwei Stadtvillen, die ihr Formen­vokabular dem bürgerlichen Wohnungsbau entnehmen und den bestehenden Bau kontrastieren.

Das zweitrangierte Projekt «Ramones» des Teams um Atelier Scheidegger Keller geht eigenständige Wege: Drei unterschiedlich ausgearbeitete Volumen erscheinen lose auf der Parzelle verteilt. Mit den verglasten Ausbuchtungen erhalten die Baukörper eine spielerische Note und vermögen dank dem halbkreisförmigen Anbau auch den strengen Bestandsbau in das fluide Konzept miteinzubeziehen.

Erweiterter ­Gemeinschaftsbereich

Entschieden wurde das Verfahren aber auf Grundlage der Grundrisse und der Anzahl Personen, die auf der Parzelle ihren künftigen Wohnraum finden. «Bellevue» bietet im Neubau pro Regelgeschoss zwei grosse Wohnungen mit bis zu fünf Individualzimmern an. Da das fünfte Zimmer von der Wohnraumfläche abgeht, dehnt sich der Gemeinschaftsbereich in den zentralen Korridor aus. Trotz der strengen Anordnung bietet der Grundriss individuelle Zimmer an, die sich in Form und Ausrichtung unterscheiden. Räume werden vom talseitig sichtbaren Untergeschoss bis zur Zinne untergebracht, immer in Kombination mit Aussenräumen. Das kompakte Volumen wird restlos ausgenutzt. Auch das Doppelhaus löst diesen Anspruch ein. Hier 
verbindet die Wendeltreppe, das Sinnbild einer raumsparenden Erschliessung, drei Geschosse. Im Ober- und im Dachgeschoss gehen vom minimal dimensionierten Vorplatz bis zu vier Räume ab. Auf engstem Raum wird hier viel individuell nutzbare Fläche erschlossen.

Im zweitplatzierten Projekt «Ramones» sind die Grundrisse trotz der spielerischen Anordnung der Neubauten in der Nutzung wesentlich starrer. Die freien Formen setzen sich im Innern fort, mit Bedingungen für die Raumfolgen. Der Korridor wird als Wohnzimmer genutzt, das in beiden Neubauten viel Fläche einnimmt; Küche und Esstisch geben die Nutzung des Wohnraums vor. Die Qualität des Projekts zeigt sich in der Raumfolge, wo das Spielerische erlebbar bleibt. Der Grundriss ist mit einer klaren Wohnvorstellung hinterlegt, was den Gestaltungsspielraum für unterschiedliche Wohnformen einschränkt. Eine spielerische Note ist auch im Projekt «Specht» vorhanden. Hier sind es die Zwischenbauten und die Dachterrasse auf dem Anbau, die dem Projekt eine eigene Prägung geben. Der Bestandsbau wird mit den Neubauten geschickt in Beziehung gesetzt. Die Massnahmen vermögen aber die Projektdefizite nicht zu beheben.

Mit dem Siegerprojekt wird nicht nur neuer, preisgünstiger Wohnraum geschaffen, sondern auch das Quartier weiterentwickelt. Die stadträumlichen Qualitäten liegen im Wechselspiel der drei Bauten, die durch die präzise formulierten Freiräume in Beziehung gesetzt werden. Die Herausforderung lag weniger beim Schutzaspekt als bei der Frage der angemessenen Verdichtung in einem heterogen bebauten Umfeld.

Jurybericht und Pläne zum Wettbewerb finden Sie auf competitions.espazium.ch

Rangierte Projekte

 

1. Rang / 1. Preis:  «Bellevue»
Atelier Candrian Meier, Zürich; BGS & Partner Architekten, Rapperswil; Eder Landschafts­architektur, Zürich; Moser Ar­chitektur, Zollikon

 

2. Rang / 2. Preis: «Ramones» 
Atelier Scheidegger Keller, Zürich; Monotti Ingegneri Consulenti, Gordola; Ganz Landschaftsarchitekten, Zürich; Raumanzug, Zürich

 

2. Wertungsrundgang: «IMBY»
Schneider Studer Primas, Zürich; BGS & Partner Architekten, Rapperswil; Kolb Landschaftsarchitektur, Zürich; Schnetzer Puskas Inge­nieure, Zürich; Eberle Engineering, Zürich; Bünder Hydroplan, Hochdorf; Durable Planung und Beratung, Zürich

 

1. Wertungsrundgang: «Me-You» (ex aequo)
Clauss Kahl Merz Atelier für Architektur + Städtebau, Basel / Konstrukt, Zürich

 

1. Wertungsrundgang: «Specht» (ex aequo)
Conen Sigl Architekt:innen, Zürich; Grünklang, Winter­thur; Seforb, Uster; Wirkungs­grad Ingenieure, Rapperswil; BGS & Partner Architekten, Rapperswil; B3 Ingenieure, Winterthur; Wichser Akustik, Zürich

 

Bauherrschaft

Liegenschaften Stadt Zürich

 

Bauherrenvertretung und Auslobung

Amt für Hochbauten

 

FACHJury

 

Benjamin Theiler, Amt für Hochbauten (Vorsitz) Mireille Blatter, Amt für Städtebau; Pascale Guignard, Architek­tin, Zürich; Daniel Hoffmann, Architekt, Zürich (Ersatz)

 

SACHJury

 

Annick Lalive, Liegen­schaften Stadt Zürich; Yvonne Züger, Liegen­schaften Stadt Zürich; Harald König,  Liegen­schaften Stadt Zürich (Ersatz)

Gerold Kunz ist selbständiger Architekt in Ebikon, Fachsekretär der Stadtbildkommission Basel und Mitherausgeber der Zentralschweizer Architektur­zeitschrift Karton. Von 2008 bis 2021 war er Kantonaler Denkmalpfleger von Nidwalden.

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